archithese 2.1998

Neues Entwerfen mit alter Substanz

CHF 28.00, ISBN 978-3-03862-116-4, 22.5×29.7cm

Editorial

Als Folge gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Umwälzungen kam es Mitte der 1970er-Jahre zu einer Abkehr vom Technik- und Fortschrittsglauben. Es setzte eine Rückbesinnung ein, welche auch die Architektur beeinflussen sollte. Das Bewusstsein für die Beziehung zwischen alt und neu hat sich damals nachhaltig verändert. Seither gewinnt der sorgsame Umgang mit bestehender Substanz zunehmend an Bedeutung, begünstigt auch durch ökonomische und ökologische Überlegungen. Erst wurde im Entwurf – nach sorgfältiger Analyse – meist Wert auf grösstmöglichen Kontrast zum alten Bestand gelegt. In jüngerer Zeit lässt sich nun ein verändertes, zunehmend unverkrampftes Verhältnis zur alten Substanz beobachten – handle es sich nun um wertvolle Baudenkmäler oder um anonyme Alltagsarchitektur. Dieser wiederentdeckte Ansatz – bis zur Industrialisierung eine Selbstverständlichkeit – nähert sich dem historischen Objekt selbstbewusst und ohne Scheu. Nicht schulmeisterliches und eindimensionales Beharren auf dem grösstmöglichen Gegensatz zwischen alt und neu – womöglich fein säuberlich getrennt durch eine Fuge –, sondern der intelligente Diskurs gleichwertiger, autonomer baulicher Partner interessiert uns in diesem Heft. In den ausgewählten Beispielen werden bewusst unspektakuläre Um-, An- und Einbauten gezeigt, bei denen – gewissermassen in didaktischer Vereinfachung – die Verfahren sichtbar werden, mit denen alt und neu zueinander in Beziehung gesetzt sind. Wir glauben darin eine echte Wertschätzung für den alten Bestand zu erkennen – die Grundvoraussetzung für einen Dialog. Damit kann sich auch die Rolle des Denkmalpflegers wandeln: vom Anwalt des Denkmals hin zum Partner des Architekten.
Aber: Es soll hier keineswegs der Verwischung der Grenzen, der platten Imitation oder gar der Rekonstruktion ganzer Bauwerke implizit das Wort geredet werden. Daher hat die Diskussion dieser Themen gleich in mehreren, zum Teil kontradiktorischen Aufsätzen Eingang gefunden.

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