Was wäre die Architekturdebatte ohne den Bilddiskurs? Jahrhundertelang über Zeichnungen und Stiche transportiert, hat inzwischen – im Zeitalter von Blogs und Newsportalen – das Foto einen exponentiellen Bedeutungszuwachs erfahren und ist zum Informationsträger schlechthin avanciert.
Es wundert also nicht, dass sowohl der Aufwand bei der Erstellung der Aufnahmen als auch deren Professionalität stetig steigt. Zahlreiche langfristige und feste Kollaborationen zwischen Architekten und Fotografen stehen sinnbildlich für die verstärkte Konzentration auf eine professionelle Bildproduktion. Künftige Monografien antizipierend, wird über Jahre ein kongruentes Bildwerk zusammengetragen. Doch dies resultiert nicht zwangsläufig in inspirierenden Bildwelten und einem konstruktiven Diskurs.
Das Modell, nach dem Fotos entstehen, ist in der Regel folgendes: Das Büro beauftragt einen Fotografen und kauft zugleich die Nutzungsrechte an den Bildern. Mit sichtbaren Auswirkungen – denn wer die Musik bestellt, bestimmt bekanntlich, was gespielt wird. Architekturfotografie wurde so vielerorts zur Auftragsarbeit degradiert; vorgegebene Blickwinkel und Motive sollen das gewünschte Bild des Gebäudes vermitteln und die Auswahl, welche die (Fach-)Presse schliesslich erhält, ist vorselektiert und wird parallel auf den Bürohomepages verbreitet und in Blogs gestreut.
Das ist für die Redaktionen bequem, hat aber einen grossen Haken, denn so verflacht der Bilddiskurs und verschwimmt vollends mit dem Marketing. Dies ist auch den Redaktoren bewusst. Ihre Kritik an Fotos entzündet sich meist an denselben Punkten: Unerwünschter Kontext wird ausgeblendet; weite Kamerawinkel lassen die Innenräume unrealistisch grosszügig erscheinen; mit Bildbearbeitungsprogrammen wird nachgebessert, montiert, retuschiert und aufgehellt.
Gibt es Alternativen, und welche Rolle müssen oder können Fotos in Architekturzeitschriften überhaupt noch spielen, wenn sie ohnehin zuhauf im Internet abrufbar sind? Diese Fragen plagen die Redaktion der archithese insbesondere beim Erstellen der Swiss Performance jedes Jahr ein wenig mehr, und auch die Fotografen fühlen sich an der kurzen Leine der Architekten zunehmend unwohl. Aber wie können Fotografen wieder Bildgestalter sein statt blosse professionelle Dienstleister?
archithese versucht mit der Swiss Performance einen Reset und probiert ehrgeizig, gleich zwei Schritte auf einmal zu nehmen. Statt Fotografen zu beauftragen und mit den Intentionen der Redaktion zu briefen, haben wir für diese Ausgabe Cartes blanches verteilt: Lernende Fotografinnen und Fotografen der Berufsschule für Gestaltung Zürich haben unter Leitung von Gunnar Remane die Herausforderung angenommen, sich den im Heft vorgestellten Bauten fotografisch zu nähern und damit eine eigene Position zu formulieren – ein Experiment mit unvorhersehbarem Ausgang.
Die Ergebnisse liegen mit diesem Heft in Auszügen vor. Es sind vielfältige Arbeiten entstanden; einige präzise und klassisch, andere experimentell, ungewöhnlich und rätselhaft.
Ein roter Faden sind motivnahe Standpunkte und menschlichere Blickwinkel, wodurch die Gebäude mehr als komplexe Persönlichkeiten denn als glatte Charaktere in Erscheinung treten. Der Betrachter befindet sich meistens «im Raum»; der Anspruch auf die vollständige Lesbarkeit eines Bauwerks ist damit aufgegeben. Das macht Zeichnungen und Plandarstellungen wieder bedeutender – ein positiver Nebeneffekt, der zur Rückbesinnung auf das zentrale Medium der Entwerfer zwingt.
Da nicht alle Arbeiten im Heft Platz finden konnten, sind weitere vom 10. bis 15. März in der Zürcher Galerie BALTSprojects zu sehen. Mehr Informationen dazu finden Sie im Ausklapper. Das Experiment ist der Beginn einer Serie: archithese möchte künftig jedes Jahr Fotografen oder -schulen einladen, eigene Positionen zur Architekturfotografie zu formulieren, damit die Swiss Performance ab jetzt in jedem Frühjahr zu einer doppelten Entdeckung wird!