In ganz Europa ist eine Debatte über die Zukunft der Architekturausbildung in vollem Gange – angestossen durch die Bologna-Reform und weiter in Fahrt gekommen durch die veränderten ökonomischen, technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
Es besteht beinahe Einigkeit darüber, dass der Architekt ein Generalist sei und es auch bleiben müsse. Doch resultiert daraus nicht automatisch eine einheitliche Vorstellung von der Ausbildung. Geht es den einen darum, die Bedürfnisse von Markt und Industrie möglichst ideal zu bedienen, sehen andere die Hochschule als Ort des Experimentierens und des Widerstands, an dem eine eigene Agenda formuliert und verankert werden muss.
Mal sind die Stimmen voller Hoffnung, dass die jetzige zumeist hohe Qualität der Lehre gegen alle Widrigkeiten erhalten oder gar ausgebaut werden kann. Und doch gibt es auch Pessimismus: Wie sollen Architekten Generalisten bleiben, wenn vielerorts die Rolle als Mastermind an Planer und Projektmanager verloren ging und lediglich die des raumgestalterischen Beraters oder Fassadendesigners übrig bleibt? Und wie realistisch ist es, Generalisten ausbilden zu wollen, wenn die Studiengänge bei einer Dauer von drei bis fünf Jahren bereits inhaltlich hoffnungslos überfrachtet sind und paradoxerweise zugleich als unvollständig gelten?
In der Schweiz ist ein einschneidender Generationswechsel innerhalb der Professorenschaft in vollem Gange. Die alten Meister von Tendenza, Minimalismus, Bündner Schule und Analoger Architektur erreichen das Pensionsalter. Nun wäre es an ihren Kindern, die Lehrstühle zu erobern. Doch einige Schulen sind unsicher, ob sie mit Lehrern aus der Generation des anything goes ihre bisherigen prägnanten Profile erhalten können. Daher gilt es nicht nur, neue Profesorinnen und Professoren mit erfolgreichen Büros zu finden, sondern auch Persönlichkeiten anzustellen, die wichtige Traditionslinien aufrechterhalten oder – vielleicht noch wichtiger – prägnante neue Akzente setzen. Und wie ist es dabei um die Parität der Geschlechter bestellt? Nicht gut – mehr dazu im beiliegenden Sonderheft.
In den vergangenen Monaten haben wir in einer Tour de Suisse Hochschulen in der Schweiz und in Liechtenstein besucht sowie diversen Schlusskritiken gelauscht. Unser besonderes Augenmerk galt dabei der Arbeit junger Dozenten. Wo wir Spannendes fanden, haben wir gegraben und einige der Studios im Heft mit doppelseitigen Porträts skizziert. Auch ein paar alte Hasen haben wir untergemischt, wenn sie uns mit innovativen Lehransätzen überrascht haben.
Man darf bei diesen Untersuchungen nicht aus dem Auge verlieren, dass über Curricula zu sprechen hoch politisch ist. Schliesslich befinden sich die Schulen im Wettbewerb um Studierende, Budgets und Drittmittel. Das war uns bereits bewusst, als wir das Thema wählten, und bei Erstellung des Heftes haben wir es dann im Detail erfahren. Um uns nicht vor diverse Karren spannen zu lassen, haben wir gar nicht erst versucht, alle akuten Fragen stellen oder gar beantworten zu wollen. Stattdessen haben wir in der Tradition unserer Schriftenreihe zur Architekturtheorie thematische Schwerpunkte ausgewählt und uns von persönlichen Interessen leiten lassen. Uns beschäftigt die Rolle der Theorie und die kniffelige Definition des Begriffs «Forschung». Wir haben das derzeit florierende Phänomen vom 1:1-Bauen an den Hochschulen untersucht und die Beweggründe hinter der Neugründung von Architekturschulen in Basel, St.Gallen und Chur beleuchtet. Und, obwohl wie so oft stark auf die Schweiz fokussierend, haben wir auch ausgewählte Beispiele aus dem europäischen Ausland eingestreut.
Wir hoffen, die Debatte inspirieren zu können!