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Unkritische Wiedergutmachung

Im Wien Museum ist noch bis September 2020 eine Schau über das Lebenswerk Richard Neutras zu sehen. Sie bietet neue Einblicke in Leben und Werk des berühmten Architekten und zeigt die Aktualität seiner Arbeiten auf. Man kann sie als gelungene Annäherung werten, denn der in Wien geborene und in die USA emigrierte Neutra ist in seiner Heimatstadt vielen noch immer unbekannt. Doch weil die Ausstellung das Wunschbild der Villa im Grünen re-etabliert, befeuert sie leider zugleich die Zersiedelung und wirkt damit anachronistisch.

 

Text: Martin Kohlberger – 22. Juni 2020

 

Flucht und Aufbruch
Die Ausstellung Richard Neutra. Wohnhäuser in Kalifornien im Wien Museum illustriert das Leben und Werk des in Wien geborenen Architekten. Fünfzig Jahre nach dessen Tod würdigt man in der Schau eine Auswahl seiner wichtigen Werke. Das ambivalente Verhältnis des späteren Star-Architekten zu seiner Geburtsstadt spielt darin eine besondere Rolle.
Die von Andreas Nierhaus und David Schreyer kuratierte Ausstellung gliedert sich in zwei Teile. Die erste setzt den Schwerpunkt auf die Biografie Neutras. Auf gelben Platten, die auf einer Holzkonstruktion liegen, werden Modelle von Gebäuden und Dokumente aus seiner Zeit in Wien gezeigt. Immer wieder war Neutra mit judenfeindlichen Anfeindungen konfrontiert. Das zeigen beispielsweise eine Beschreibung des Antisemitismus von Otto Wagner, der keine jüdischen Schüler aufnehmen wollte und ein Brief Neutras an seinen Freund Rudolph Schindler. Damit werden die Beweggründe für Neutras Immigration – nach Stationen in Zürich, Berlin und Luckenwalde – nach New York im Jahre 1923 nachvollziehbar. Die Besucher erhalten über die gezeigten Dokumente zugleich en passant ein Stimmungsbild der 1920er-Jahre in Wien, das – bereits vor dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich – stark von Antisemitismus geprägt waren.
Richard Neutra liess mit Österreich auch das Rote Wien hinter sich, in dem er als Teil der Bauschule von Adolf Loos, die die Form des politischen Stadtbau-Programms ablehnte, nie Fuss fassen konnte. Für ihn verkörperte das Roten Wien eine traditionalistische Formensprache, die seinem modernen und technischen Denken widersprach. Neutra setzte hingegen auf eine effiziente und kostengünstige Bauweise ohne Schnörkel.

 

Architektonische Wunschbilder von damals und heute
Die zweite Ebene der Ausstellung zeigt einige Werke Neutras, darunter viele Einfamilienhäuser. Auf Stellagen entlang der Wände sind grossformatige Fotos befestigten. Zu sehen ist beispielsweise Material zu den der unter dem Label Case Study Houses bekannt gewordenen Bauten in und um Los Angeles. 12 Villen und ein Apartmenthaus der über 300 von Neutra realisierten Bauwerken werden mit Bildern, kurzen Magazin-artigen Texten und Grundrissen vorgestellt. Darunter auch das 1939 fertig gestellte McIntosh House, das mit 3 800 USD (entspricht heute 70 000 USD) in der von Neutras entwickelten Ständerbauweise sehr günstig hergestellt wurde, oder das berühmte Miller House (1937). Die für die Ausstellung angefertigten zeitgenössischen Fotografien zeigen das derzeitige Leben in den minimalistischen doch äusserst grosszügig erscheinenden Räumen mit ihren reduzierten Inneneinrichtungen. Dass die neuen Fotografien von David Schreyer aus ähnlichen Blickwinkeln aufgenommen wurden, wie Aufnahmen, die in den 1950er- und 1960er-Jahren in verschiedenen Lifestyle Magazinen zu sehen waren, lässt sie zeitlos erscheinen.

 

Hedonismus oder soziale Agenda?
In einem einleitenden Text – montiert auf einer Staffage beim Eingang – werden Neutras Bauten als «sozial» beschrieben. Das wirft Fragen auf, denn eine Erklärung, was genau dieser Aspekt sei, bleibt die Ausstellung leider schuldig. Zwar wird darauf hingewiesen, dass Richard Neutra ein Interesse an Psychologie, insbesondere für die Verhaltenspsychologie hatte, und immer wieder versucht habe, daraus Leitideen für sein Bauten abzuleiten. Dies sei vor allem in den fliessenden Überleitungen von Innen- und Aussenräumen, zur Natur und Landschaft und die Verwendung einfacher Formen abzulesen. Auch die Versiertheit Neutras auf günstige Materialien, Standardisierung und Vorfertigung wird erwähnt. Doch neben diesen bereits bekannten Aspekten bleibt die Ausstellung eine kritische Reflektion der Einfamilienhäuser schuldig, die in erster Linie Häuser für die US-amerikanische Oberschicht waren und nicht als Lösungen für soziale Fragen herangezogen werden können. Die Sehnsucht nach einem individuellen Leben, abseits der dichten Städte ist der Traum, den Neutras Bauwerken beinahe perfekt erfüllt haben. Wie in seiner Architektur Zeitgeist und Sehnsüchte kulminierten, machen auch die Magazin-Bilder der Villen aus den 1960er-Jahren deutlich. Und vergleicht man sie mit den Häusern, die aktuell in Lifestyle-Magazinen zu sehen sind, wird klar, dass seine Ideen und Vorstellungen erstaunlich aktuell sind und eigentlich noch immer den vorherrschenden Wunschvorstellungen der Bevölkerung entsprechen. Nachhaltig ist das nicht. Darüber müsste man noch einmal – und zwar viel kritischer – reden…

 

Die Schau Richard Neutra. Wohnhäuser in Kalifornien ist im Wien Museum MUSA bis zum 20. September 2020 zu sehen.

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