Tatiana Bilbao Estudio im Museum für Gestaltung Zürich
Vom 23. Februar bis 2. Juni 2024 zeigt das Museum für Gestaltung Zürich im Toni-Areal Arbeiten des mexikanischen Architekturbüros Tatiana Bilbao Estudio. In Zusammenarbeit mit der Kuratorin Karin Gimmi ist die sehenswerte Ausstellung Tatiana Bilbao Estudio – Architektur für die Gemeinschaft entstanden, welche uns an die sozialen Qualitäten der Architektur und analoge Arbeitsmittel in der Gestaltung heranführt. Das Museum für Gestaltung Zürich wagt mit dieser Ausstellung nicht nur einen Schritt hin zur monografischen Architekturausstellung, sondern ist auch die erste Institution in der Schweiz, welche sich ausschliesslich dem Œuvre der Architektin Tatiana Bilbao und ihres Teams widmet.
Text: Nele Rickmann, 04.03.2024
Die Arbeiten von Tatiana Bilbao Estudio sind vielfältig und ziehen sich seit der Gründung des Büros 2004 in Mexiko-Stadt mittlerweile über eine Schaffensperiode von 20 Jahren. Wie ein roter Faden lässt sich durchweg die Ambition der Architekt*innen erkennen, welche sich zum Ziel gesetzt haben, anhand kollaborativer Arbeitsweisen Architektur mit und für die Menschen zu gestalten. Insgesamt acht Werke des Estudios werden derzeit im Toni-Areal gezeigt: Von einem der ersten Projekte, dem Jardín Botánico in Culiacán (2005) über den bekannten sozialen Wohnungsbau in Acuña (2016) und La Confluence in Lyon unter der Federführung von Herzog & de Meuron (2019) – bis hin zu einem noch nicht realisierten Entwurf eines Zisterzienserklosters im deutschen Brandenburg, der momentan in Zusammenarbeit mit den Architekt*innen von DOGMA aus Brüssel und MAIO aus Barcelona erarbeitet wird. Aufgrund einer innovativen Herangehensweise an die Architektur, in der das prozesshafte Denken und Handeln in einem Netzwerk von Menschen und Orten im Fokus steht, ist es nicht verwunderlich, dass die ästhetischen Arbeiten von Tatiana Bilbao Estudio bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden: 2012 mit dem Kunstpreis Berlin, 2014 mit dem Global Award for Sustainable Architecture, 2022 mit dem Richard Neutra Award – um hier nur einige zu nennen.
Zur Eröffnung in Zürich am 23. Februar war Tatiana Bilbao persönlich anwesend, wie auch fünf ihrer Kolleg*innen des insgesamt rund 40-köpfigen Teams. Gemeinsam mit der Kuratorin Karin Gimmi führte sie durch die Ausstellung, die sich auf einen langen Hauptraum konzentriert. Es werden ein Film, der das Estudio im alltäglichen Arbeitsprozess begleitet, sowie sieben bereits realisierte Projekte gezeigt. In zwei angegliederten Nischen sind das noch nicht realisierte Klosterprojekt in Brandenburg ausgestellt, in der anderen liegt eine Auswahl an Materialproben und Mustern aus, die einen haptischen Eindruck der Architektur vermitteln sollen. Den Hauptraum wiederum prägt eine begehbare Collage, die in Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin und Theatermalerin Stefanie Kuklinski sowie Vera Egli realisiert wurde. Diese raumgreifende Installation schafft gekonnt die Verbindung von den an der einen Wand gezeigten Projekttexten und Plandarstellungen – wohlbemerkt händisch auf die weisse Wand gezeichnet –, und dazugehörigen, an der gegenüberliegenden Wand gestellten, grossformatigen Fotografien. Die Raumcollage besteht aus losgelösten architektonischen Elementen, welche die sieben Projekte wiederum auszeichnen und prägen. Deren Materialität steht lediglich visuell im Fokus; Backstein oder Beton sind hier nur inszeniert. Auch der Massstab variiert und ist für die künstlerische Wirkung von Element zu Element frei gewählt. Der szenografisch inszenierte Hauptraum wird so zu einer Assemblage aus Farben, Texturen und Formen. Während des Hindurchwanders hat man das Gefühl, einen kleinen Eindruck von den Raumwirkungen in den einzelnen Gebäuden zu erhaschen, auch wenn man sie selbst nicht vor Ort gesehen hat.
Am Ende des Raumes angelangt, erwartet die Besuchenden eine Wand voller Collagen, Bilder und Handzeichnungen; davor ein Modell, das wie eine kleine Theaterszenerie bespielt werden kann. Von Tatiana Bilbao möchte ich wissen, wie sie die Collagen versteht, wirken sie doch gerahmt an der Wand wie vollkommene Kunstwerke. «I want my architecture to be a platform for anyone to create their own way of living. I think a collage accepts all of those personalities, diversities and complexities that are not only my ideas.» Klar wird im weiteren Gespräch, dass die Collagen und Modelle im gemeinschaftlichen Prozess entstehen. An ihnen wird weiter gebaut, weiter gebastelt, weiter gedacht. Gerahmt seien sie nur für die Ausstellung, im Büro in Mexiko würden sie wie Skizzen an der Wand hängen. Ob sie damit nie vor kommunikativen Herausforderungen stehen würde, frage ich weiter. Haben doch Investoren und Klientinnen oft nicht so ein kreatives und abstraktes Verständnis von Architektur – bevorzugt sei das realistische Rendering, oder etwa nicht? Ja das komme vor, erklärt Bilbao. Nicht jedes Projekt haben sie so gewinnen können. Dennoch: Das abstrakte Bild sei oftmals ein Mittel, die Dinge assoziativ zu verstehen, um gerade im frühen Entwurfsprozess Ideen weiterzuentwickeln. Erst durch die finale Nutzung der Menschen liesse sich der erfahrbare Raum konkretisieren.
Der augenscheinlich bildhafte Schwerpunkt des Architekturbüros mag kritisiert werden, dennoch eröffnet er im Toni-Areal der Zürcher Hochschule der Künste die Möglichkeit, ebenfalls Nicht-Architekt*innen anzusprechen und sie von den Qualitäten sowie den diversen Herangehensweisen an die Architektur zu überzeugen. Die Bilder dienen jedenfalls nicht dazu, Architektur hinter einer schönen Abbildung zu verstecken. Im Gegenteil: auch die architektonische Qualität überzeugt. «I wish my architecture to be human, social, individual, communal, and beautiful», so die Architektin. Ich jedenfalls verlasse die Ausstellung mit einem guten Gefühl und freue mich, etwas mitgenommen zu haben von diesem Bewusstsein und der Sensibilität, mit denen Architektur hier begegnet wird.
Rahmenprogramm im Museum für Gestaltung Zürich:
21.03.2024, 18 Uhr: Karin Gimmi im Gespräch mit Tatiana Bilbao und Anna Piugjaner (MAIO), Professorin für Architektur und Care, ETH Zürich
23.03.2024, 14 Uhr: Architektur und Collage mit Tatiana Bilbao (Workshop)
> Weitere Informationen zu der Ausstellung und den Terminen auf museum-gestaltung.ch.