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Auf der Ferieninsel Rügen trotzt in Prora ein zweieinhalb Kilometer langer Gebäudekoloss dem stürmischen Wetter der Ostsee – Ein Mahnmal aus der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Hitlers Vision war ein gigantisches Seebad für 20 000 Gäste. Doch der Krieg verhinderte die Fertigstellung der Anlage. Nach dem Ende des Dritten Reichs übernahm die DDR den Rohbau und nutzte Teile als Kaserne. Seit 2009 lassen Investoren die Bauten nun im grossen Stil zu Luxuswohnungen umbauen. Ethische und moralische Fragen bleiben dabei auf der Strecke. Markus Georg Reintgen greift deshalb zur Kamera, um die riesenhafte Architektur einzufangen und auf ganz eigene Weise zu dokumentieren.

 

Text: Anne-Dorothée Herbort – 17.1.2018
Fotos: Markus Georg Reintgen

 

Das braune Seebad
Das KdF-Seebad – heute als Prora bekannt – ist eines der imposantesten realisierten Monumentalprojekte der Nationalsozialisten. Der Bau folgte der Sozialpolitik und dem Grössenwahn Hitlers. Denn nach der «Machtergreifung» zerschlugen die Nationalsozialisten die Gewerkschaften und ersetzten sie durch die deutschen Arbeiterfront (DAF). Im Rahmen der DAF wurde auch die Organisation «Kraft durch Freude» gegründet, welche die Freizeit von Arbeiterschaft strukturieren und gleichschalten sollte. Zum Programm gehörte der KdF-Wagen, insgesamt fünf Seebäder und eine Flotte von Kreuzfahrtschiffen. So wurde die volkswirtschaftliche Produktion angekurbelt, die Arbeiter zugleich aber bei Laune gehalten und ans Regime gebunden.
Auf Rügen plante die Freizeitorganisation ein gigantischen Baderesort, in dessen spartanisch eingerichteten kleinen Hotelzimmern die 20 000 Badegäste ihre Ferien verbringen und ideologisch indoktriniert werden sollten. Die Pläne für den ursprünglich viereinhalb Kilometer langen Hotelkomplex stammten zum grössten Teil aus der Feder von Clemens Klotz, der seinem Namen alle Ehre machte: Acht schmale, identische Blöcke im Baukastenprinzip mit sechs Etagen und 550 Meter Länge sollten die 10 000 Zimmer mit Meerblick aufnehmen. Senkrecht zu den Schlafräumen waren die Treppenhäuser und die sanitären Anlagen geplant. Gastronomieräume, Kegelbahnen, Leseräume, Kinos und sogar eine beheizbare Liegehallen waren vorgesehen, die einen Ganzjahresbetrieb ermöglichen sollten. Diese Räume sollten das Gemeinschaftsgefühl stärken. Das grossdeutsche Volk sollte in der gemeinsam verbrachten Freizeit zu einer starken und anderen Völkern überlegenen Gemeinschaft zusammengeschweisst werden. Eine Festhalle und ein Paradeplatz waren geplant, um die Monumentalität zu stärken und zugleich die Uniformierung und Militarisierung der Gesellschaft zu artikulieren und zu ästhetisieren. 1936 begannen die Bauarbeiten. Bis Kriegsbeginn konnte nur der Rohbau der Wohneinheiten fertiggestellt werden und so «erbte» die DDR ein gigantisches Betonskelett.

 

Sperrgebiet
Während dem Krieg diente ein Teil der Anlage als Ausbildungsstätte für Luftwaffenhelfer und zur Unterbringung von ausgebombten Hamburgern. Gegen Ende des Krieges wurden die Strukturen dann als Lazarett genutzt. Nach 1945 übernahmen die Sowjets die Anlage und nachdem anfänglich Grossgrundbesitzer interniert und Heimatvertriebene untergebracht wurden, demontierten sie grosse Teile der Anlage als Kriegspreparationen. Ab 1948 wurden massive Sprengungen durchgeführt. Zwei Jahre später baute das Militär mit 19 000 Helfern fünf der zerstörten Blöcke wieder auf und verpasste ihnen ein graues Kasernenantliz. Die restlichen zwei Kilometer des Hotels blieben Ruine. Vom Seebad ist also heute kaum noch originale Substanz aus dem Dritten Reich vorhanden. Über das gesamte Gebiet wurde eine Militärsperrzone verhängt. Bis zu 10 000 NVA Soldaten sollen in Prora stationiert gewesen sein.

 

Mahnmal oder Geschichtsklitterung?
Private Investoren begannen nach dem Jahrtausendwechsel die Blöcke aufzukaufen. Mit Unterstützung durch den Bund, der für Eigentumswohnungen in Denkmälern grosszügige Steuerabschreibungen zulässt, wird seit 2009 der Betonkoloss erneut rigoros umgebaut. Eine Jugendherberge, Luxuswohnungen und Hotelzimmer mit gläsernen Balkonen sollen nun nach achtzig Jahren wieder Badegäste an die Prorer Wiek locken. Denn die Aussicht und Rügens lange Sandbank sind einmalig. Ein Yachthafen und weitere Badeinfrastrukturen werden die Anlage komplettieren. 
Doch kann und soll der frische weisse Putz die Vergangenheit des wohl imposantesten Gebäudes in Nordostdeutschland übertünchen? Denkmalpfleger und Historiker schlagen die Hände über den Köpfen zusammen und unterstellen den privaten Investoren und Initianten der Wiederauferstehung des KdF-Seebads Geschichtsklitterung. Sie fordern, dass zumindest der fünfte Block in seiner Originalsubstanz erhalten bleibt und als Informations- und Kulturzentrum an die vergangenen Zeiten der Anlage erinnert. So sollen der nationalsozialistische Grössenwahn und die Kasernenarchitektur der DDR auch für zukünftige Generationen erlebbar bleiben. 
Doch weitere Immobilienfirmen möchten in Prora investieren und auch den letzten Block transformieren. Sie sehen in der Landschaft und in der vorhandenen Struktur ein grosses ungenütztes Potenzial das Rügen als Feriendestination noch besser positionieren könnte. Und zudem liesse das Grossprojekt die ursprüngliche Nutzung als Seebad wieder aufleben – argumentieren die Befürworter. 
Welche Nutzung kann diesen geschichtsträchtigen Strukturen wirklich gerecht werden und ist zugleich moralisch vertretbar? Soll der Koloss als blosse Struktur –  wie sie das NS-Regime bei Kriegsbeginn hinterlassen hatte – ungenutzt dem Zahn der Zeit ausgesetzt zur Ruine zerfallen? Oder wären besser Familien mit Kindern in Sozialwohnungen im ehemaligen Seebad untergebracht? Wäre dies weniger bedenklich als die luxuriösen Eigentumswohnungen?
Klar ist, dass die ideologisch gewollte Monumentalität und Monotonie die der Komplex durch seine schier unfassbare Grösse und serielle Gleichförmigkeit ausstrahlt auch mit überformten Fassadenbild  und an die heutigen Bedürfnisse stark angepassten Grundrissen unantastbar bleiben wird. Der Architektur Proras wird die Ideologie der Nationalsozialisten immer inhärent bleiben und der Einzelne Tourist wird in ihrer Masse und in ihren Dimensionen verschwinden und sich dem Kollektiv einordnen.

 

Bilder, welche die Megalomanie einfangen
Auch der Fotograf Markus Georg Reintgen hat sich seit fast zehn Jahren eingehend mit der Geschichte des KdF-Seebads auseinandergesetzt. Auf unkonventionelle Weise zeigt er den laufenden Wiederaufbauprozess des Resorts. Vom Rollstuhl aus versucht er die monumentale Architektur als Fotopaare mit einer Mittelformatkamera für einen 6 x 6 Zentimeter Rollfilm der Marke ADOX aus den 1950er-Jahren einzufangen. Die mit einem sehr einfachen Objektiv und einer maximalen Offenblende von 6.3 aufgenommenen, schwarzweiss Bilder zeigen ungewohnte Perspektiven und wirken im Gegensatz zu digital Aufnahmen grafischer und kontrastreicher, was die Stärke und Monumentalität des Baus weiter unterstreicht. Der Mainzer Fotograf möchte mit seinen Fotos eine ganz persönliche Sicht der Bauten vermitteln und entwickelte dazu eine eigene Methodik. Alle fotografischen Entscheidungen trifft Reintgen vor dem Druck auf den Auslöser: Perspektive, Ausschnitt und Belichtung ermittelt Reintgen im Vorfeld in einem komplexen und eigens entwickelten Punkte-Linien Schema. Reintgen legt dabei zunächst die grossen Eckpunkte der Architektur für beide Ausschnitte fest und ermittelt anhand von verknüpfenden «Sehlinien» seinen Standpunkt. Durch diese Gedankenstütze lässt sich die Position der Kamera und der Bildausschnitt vorgängig bestimmen. Sie erlaubt ihm zudem das Bilderpaar gleichzeitig aufzunehmen, ohne die Fotos nach dem Entwickeln mit einer analogen oder digitalen Schere zuschneiden zu müssen.
Es entstehen kraftvolle schwarzweisse Bildkompositionen. Professor Gregor Wedekind vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Mainz erkennt in den extremen Untersichten und Achsenverschiebungen in Reintgens Bildern Elemente der Fotografie des Neuen Sehens, welche mit dem Namen Alexander Rodtschenko verbunden werden können. Die starken Kontraste von Licht und Schatten in seinen Bildern erinnert Wedekind an die Fotos von Lucien Hervé und die Bildsegmente an die Straight Photography eines Paul Strands. 

Die Fotos von Markus Georg Reintgen sind noch bis zum 25. Juni 2017 im arp museum in Remagen zu sehen.

 

> Der Umgang mit Bauten aus dem Dritten Reich führt immer wieder zu Kontroversen. So auch in München, wo das Haus der Kunst von Paul Ludwig Troost saniert wird.

> Mehr zur politischen Dimension von Ruinen lesen Sie in archithese 4.2017 Ruinen, die am 1. Dezember 2017 erschienen ist.

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