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Spiessige Städter

Thomas Kessler geht als Leiter der Basler Stadtentwicklung am 8. Februar von Bord. In einem lesenswerten Interview mit dem Tages-Anzeiger nimmt er mahnend zur Entwicklung von Stadt und Agglomeration Stellung und die neue Spiessigkeit vieler Städter unter Feuer.

 

Text: Elias Baumgarten – 19.1.2016

Seit vergangener Woche herrscht Aufruhr im politischen Basel. Denn mit Thomas Kessler nimmt einer der profiliertesten Verwaltungsangestellten der Stadt nach neun Jahren seinen Hut, in denen er keine Auseinandersetzung mit Vorgesetzen und Regierung scheute. Nun gab er Philipp Loser und Alan Cassidy vom Tages-Anzeiger ein lesenswertes Interview.

 

Wohnt der wahre Bünzli in der Stadt?
Auf die Stadtentwicklung der letzten zwanzig Jahre angesprochen betonte Kessler, das ländliche Ideal wie der Wunsch nach sauberer Luft und ruhigem Verkehr hätten in die helvetischen Städte Einzug gehalten – «ländliche und städtische Probleme werden austauschbar». Was positiv tönt führt zu einer schwierigen, ja zunehmend schrulligen Anspruchsmentalität der Stadtbewohner. Man schreie immer mehr nach Ruhe, dulde keine fröhlichen Emissionen mehr, kein Lachen und kein Feiern nach 22.00 Uhr, fordere Flughafennähe ohne Fluglärm und beklage sich über spielende Kinder auf Schulhöfen in der Nachbarschaft. In Basel müsse gar auf zu laute Putzfahrzeuge der Stadtreinigung verzichtet werden. Städter, deren politische Präferenz links oder grün sei, zeigten sich «im Grunde ihres Herzens konservativ».

Doch was wie humorigen Anekdoten daherkommt ist laut Kessler ein ernstes Problem für Schweizer Städte. Denn würde auf jeden Störfaktor im öffentlichen Raum mit Wehklagen und dem Ruf nach neuen Regeln oder der Polizei reagiert, statt Interessenskonflikte auszudiskutieren, so könnten Städte auch zu ruhig werden – zu Sanatorien. Der wichtigste Standortfaktor Lebensqualität beginnt zu leiden.

 

Mehr Dialog!
Doch was hilft gegen diese Tendenzen? Die Vollkaskomentalität wieder ablegen und sich auf die traditionell starke Schweizer Zivilgesellschaft besinnen. Es brauche Neugierde, Engagement und Risikobereitschaft, um Konflikte wieder durch Verhandlung und Dialog zu lösen. Was man dagegen gar nicht brauche, so Kessler mit Blick auf die SVP, seien grenzwertige Initiativen, welche die Bundesverfassung entwürdigten.

Wichtigstes Ziel müsse indes sein, die Probleme der Agglomerationen zu lösen und zu verhindern, dass mittlerer und unterer Mittelstand dort weiter unter Druck gerieten und vom sozialen Zug abgekoppelt würden.

 

Optimistische Zukunftsperspektiven für die Agglomerationen
Laut Kessler droht ein fünftel der Schweizer Bevölkerung den sozialen Anschluss zu verlieren. In den Städten und auf dem Land könne ihnen geholfen werden, denn dort sei genügend Geld zur Unterstützung beziehungsweise leistungsstarke soziale Strukturen vorhanden. Doch wie können künftig sozialschwache Agglobewohner abgeholt werden? Wichtig sei entlang der Verkehrsachsen attraktive Arbeitsplätze zu schaffen und dabei werde die Digitalisierung helfen, so Kessler zuversichtlich. Wie für die Städte sei auch für die Agglomerationen die Lebensqualität entscheidend im künftigen Standortwettbewerb. Das bedeute Wohnqualität, Sicherheit, Sauberkeit, soziale Aufstiegschancen sowie Kultur- und Freizeitangebote.

Durch die Frage nach den Gründen für seinen Rücktritt lies sich Kessler nicht aus der Reserve locken. Ruhig und diplomatisch antwortete er: «Das offizielle Statement ist eindeutig: Wir beenden die Legislatur einvernehmlich und gemeinsam, und über die Vereinbarung gilt Stillschweigen.» Bald sei er nicht mehr Teil, sondern Zuschauer des (politischen) Theaters.

 

Thomas Kessler war seit 2009 Stadtentwickler in Basel. Zuvor engagierte er sich als grüner Kantonsrat in Zürich (1987-1991) und war danach Drogen- und Migrationsbeauftragter des Kantons Basel-Stadt.

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