Aus welchem Land kommen Sie?


Mischen ist possible.

Derzeit häufen sich negative Berichte über die Unterkünfte geflüchteter Menschen in der Schweiz. Die Errichtung der neuen Bundesasylzentren wird mitunter durch Rekurse der Anwohner verzögert. Besonders deprimierend war ein Video der Gruppe keinegrenzeseebach, das Zürcher Notunterkünfte zeigt, in denen abgewiesene Flüchtlinge – teilweise in Bunkern und fernab der Städte untergebracht wurden. 
Doch es gibt auch positive Beispiele: hoffmannfontana Architekturen versetzten eine bestehende Asyl-Siedlung im Auftrag der Fachorganisation AOZ und erweiterten sie mit zusätzlichen Modulen und Nutzungen. Die Stadt Zürich verknüpft somit erstmals Wohnraum für Asylsuchende und Flüchtlinge mit weiteren Nutzungen, ein neuer Ansatz zur Integration von Personen in städtischer Zuständigkeit am Vulkanplatz in Zürich-Altstetten. Im bald fertiggestellten «Fogo» sollen Menschen leben, bis sie sich auf dem Zürcher Arbeits- und Wohnungsmarkt alleine zurechtfinden. Der Architekt Sebastian Hoffmann hat archithese das Projekt erläutert.

 

Interview: Julian Bruns mit Sebastian Hoffmann – 15.2.2019
Fotos: Emil Blau

 

Julian Bruns: Sie stellen derzeit das Fogo in Altstetten fertig. Erläutern Sie uns bitte das Projekt.

Sebastian Hoffmann: Fogo kombiniert ab 2019 Bildungsangebote, Gastronomie, Kulturproduktion mit Flüchtlingsunterbringung und Wohnraum für junge Erwachsene in Ausbildung.Das Fogo ist somit neben verschiedenen anderen Nutzungen eine Unterkunft für rund 150 Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene, die Unterstützung benötigen, da sie noch nicht auf dem Wohnungsmarkt integriert sind. Die AOZ (Asyl-Organisation Zürich) hat den Auftrag von der Stadt Zürich, Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen Personen Wohnraum zur Verfügung zu stellen und sie in ihrer Integration zu unterstützen.  Das Fogo soll ein Sprungbrett in ein eigenständiges Leben sein. Nach den Erfahrungen der AOZ leben Menschen in der Regel zwei bis drei Jahre dort. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben strukturierte Tagesabläufe, müssen ihre Zeit also nicht mit Warten oder Nichtstun verschwenden. Die Menschen die dort leben gehen zur Schule, in Sprachkurse, machen eine Lehre oder arbeiten bereits. Im März diesen Jahres sollen die Wohnungen bezogen werden.

 

Wie sind Sie an den Auftrag gekommen und wie war die Aufgabe formuliert?

Schon länger interessieren wir uns im Büro für die Frage, wie man öffentliche Räumen durch die Erdgeschossnutzungen aktivieren kann. Ich habe zum Beispiel die Baugenossenschaft «Mehr als Wohnen» bei ihrer Siedlung auf dem Hunziker-Areal in Zürich bei der Vergabe der Ladenflächen unterstützt. Dort hat unter anderem die AOZ ein Restaurant geplant. Nach der guten Zusammenarbeit haben wir den Auftrag für das Fogo erhalten. Wichtig zu wissen ist: Es ist keine neue Siedlung, sondern der «Umzug» einer bestehenden aus Zürich-Leutschenbach. Diese war eine temporäre Siedlung aus alten Metallcontainern in der Leutschenbachstrasse 72, die wir zusätzlich erweitert haben.  Die Siedlungen werden nur temporär erstellt und müssen, wenn die Stadt das Land für andere Zwecke braucht, wieder zurückgebaut werden. In diesem Falle wurde entschieden, die Siedlung auf die Baulandreserve am Vulkanplatz umzusiedeln, da die Stadt Zürich der AOZ dieses Land für mindestens 15 Jahre zur Verfügung stellt.

 

War es möglich, die Siedlung einfach wie Lego-Steine zu versetzen – abbauen, verladen und neu stapeln? 

Bei so einem «Umzug» zeigt sich ein Paradox von temporären Bauten: All das, was normalerweise am längsten hält in einem Gebäude – Fundamente, Erschliessung, Haustechnik und so weiter – muss bei einem Umzug komplett erneuert we rden. Baurechtlich gilt ein «umgezogenes» Gebäude als Neubau. Daher mussten wir alle Anforderungen erfüllen. In diesem Fall war die hohe Lärmbelastung durch die Bernerstrasse und den Verkehr auf der Europabrücke ein grosses Problem. Gleichzeitig ist es städtebaulich eine komplizierte Situation. Einerseits stehen dort der «Westlink» der SBB mit über 45 000 Quadratmetern Nutzfläche, andererseits grosse, ältere monofunktionale Büro- und Industriebauten. Wir konnten auf unser immerhin 10 000 Quadratmeter grosses Grundstück jedoch nur 4 000 Quadratmeter Nutzfläche planen. Das entspricht der Dichte von Einfamilienhaussiedlungen. Da wir keine neun Meter hohe Lärmschutzwand bauen wollten und das Fogo kein Fremdkörper im Quartier werden sollte, haben wir nach Möglichkeiten gesucht, den trotz der hohen Dichte oft unbelebten Vulkanplatz auch ausserhalb der Mittagspausen zu aktivieren. Daraus haben wir eine Mantelnutzung entwickelt: Zwei neue Riegel in Holzmodul- und -elementbauweise schützen die Wohncontainer vor dem Verkehrslärm. Darin befinden sich Ateliers, Werkstätten oder Musikzimmer. Es gibt auch Gastro- und Eventflächen, die gemeinschaftlich genutzt werden können. So hat die notwendige Auseinandersetzung mit dem Lärmschutz zu neuen Räumen für die Kreativszene geführt. Das daraus resultierende Angebot wird hoffentlich das Quartier beleben – auch abseits der üblichen Geschäftszeiten. Doch das Spannendste ist, dass unser Projekt Möglichkeiten des Austausches zwischen Flüchtlingen und den Stadtbewohnern beziehungsweise dem Publikum anbietet. Bei der AOZ haben wir mit unseren Vorschlägen oftmals offene Türen eingerannt und konnten das Konzept dank umfangreicher Unterstützung weiterentwickeln. Die ersten Ateliers wurden bereits Anfang Februar bezogen.

 

Wie soll das Zusammenleben von Flüchtlingen und Gewerbetreibenden beziehungsweise Ateliernutzern konkret aussehen? Und mit welchen architektonischen Lösungen moderieren Sie es?

Im Verlauf der Planung haben wir gelernt, dass die Vorstellungen vieler Architekten von gemeinschaftlichem Zusammenleben im Kontext von Geflüchteten etwas naiv oder romantisch sind. Wir konnten von den Erfahrungen der AOZ profitieren. So wünschen sich die meisten Flüchtlinge keinen privaten oder halbprivaten Aussenbereich, beispielsweise in Form eines überbreiten Laubengangs. Sie bevorzugen «normale» Wohnungen und grosse Aussenräume, wo sie sich treffen können. Das soziale Leben findet im öffentlichen Raum statt. Daher haben wir die Struktur aus Leutschenbach angepasst: Die Erschliessungsflächen wurden optimiert. Aus Kostengründen sind es zwar immer noch aussenliegenden Erschliessungen, aber nun wesentlich kompakter. Dafür haben wir die Aussenbereiche erweitert. Es gibt gedeckte und offene Holzdecks, sowie Spiel- und Sitzplätze zum Treffen.
Anders hingegen bei den Ateliers: Dort haben die Mietenden jeweils einen eigenen Aussenbereich, der individuell gestaltet werden kann und damit eine schnellere Aneignung und Aussendarstellung ermöglichen soll. Zudem gibt es  Orte mit verschiedenen Qualitäten für informelle Begegnungen, sodass ein Austausch zwischen den Bewohnern und den Gewerbenutzern entstehen kann. Dies soll aber «freiwillig» geschehen. So gibt es oft mehrere Erschliessungen, um entweder den Kontakt zu suchen oder sich aus dem Weg gehen zu können.

 

> Die Flüchtlingskrise ist immer auch eine Wohnungsfrage. Doris Kleilein und Friederike Meyer fordern die Architektenschaft heraus, sich zu positionieren. 

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