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Mehr als nur Symbolpolitik?

Am 21. September 2018 trafen sich in Berlin Spitzenpolitiker der Bundesregierung mit Vertretern von Verbänden, Gewerkschaften und dem Mieterbund zum grossen Wohnungsgipfel. Gemeinsam wollte man neue Massnahmen gegen die prekäre Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt beschliessen. Allein, wirklich Neues wurde kaum auf den Weg gebracht. Stattdessen wurden im 13 Seiten starken Eckpunkte-Papier vor allem Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag bekräftigt und bereits verabschiedete Gesetze aufgelistet.

 

Text: Julian Bruns – 7. Oktober 2018
Foto © Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat

 

Die Ausgangslage
Bereits in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD im März 2018 war die Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt Thema. Denn Experten beziffern den Bedarf an neuen Wohnungen in Deutschland auf 1,9 Millionen (siehe hierzu: Hannah Knoop, «Schieflage», auf: archithese.ch). Erschwerend kommt die blühende Bodenspekulation hinzu: Die Grundstückpreise und Mieten steigen immer weiter und Wohnungen werden als Wertanlage gehortet. Es kommt zur Verdrängung niedriger und sogar mittlerer Einkommen aus den Grossstädten. Die seit Jahren sinkenden Zahlen staatlicher Sozialwohnungen tut dabei ein Übriges und verschlimmert die Situation gerade für Geringverdiener.
Bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode in 2021 hat sich die Bundesregierung deshalb hohe Ziele gesteckt: 1,5 Millionen neue Wohnungen und Eigenheime – oder anders gesagt: 375 000 jedes Jahr – sollen entstehen. Zur Einordnung: 2017 wurden 285 000 Wohnungen fertiggestellt. Zwar ist das die höchste Zahl seit 2002, doch liegt sie um 90 000 unter dem anvisierten Soll. Der Trend zeigt indes nach oben: Im ersten Halbjahr 2018 wurden schon 200 000 Baugenehmigungen erteilt.
Die Erwartungen an den Wohnungsgipfel waren entsprechend hoch. Zumal Angela Merkel im Vorfeld den Wohnungsbau zur «wichtigen sozialen Frage» erklärte und Bauminister Horst Seehofer nachlegte, indem er die «Wohnraumoffensive» der Bundesregierung als «die grösste Anstrengung, die in Deutschland je unternommen wurde, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen» wertete.

 

Neuer Aufguss alter Ideen?
Doch bei parallelem Studium von Koalitionsvertrag und Gipfelergebnissen fällt auf: Vieles ist – teilweise sogar wörtlich – aus ersterem übernommen worden, Neues hingegen rar. Beispielsweise war bereits im März 2018 beschlossen worden, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) bundeseigene Grundstücke für den Zweck des sozialen Wohnungsbaus vergünstigt an Kommunen oder private Dritte vergibt. Auch das für Ende 2018 angekündigte Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der Plan das Energieeinsparungsgesetz, die Energieeinsparverordnung und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz gemäss den Forderungen der EU in einem Gebäudeenergiegesetz zusammenzuführen waren bereits bekannt. Hier ein Überblick zu aktuellen Gesetzesvorhaben:

 

Private Initiative fördern
Von den anvisierten 1,5 Millionen neuen Wohnungen wird der Bund nur 100 000 als Sozialwohnungen selbst errichten. Dafür nimmt er 5 Milliarden Euro in die Hand. Wichtiger scheinen der Regierung Anreize für Kommunen und private Investoren, die vermehrt (günstige) Mietwohnungen bauen sollen. Hierin zeigt sich das grosse Vertrauen, welches die Bundesregierung immer noch in den Markt und private Initiative setzt. Am weitesten fortgeschritten ist der Gesetzesentwurf einer steuerlichen Sonderabschreibung für Investoren, die erschwingliche Wohnungen schaffen. Davon profitieren soll auch, wer bestehende Dachgeschosse aus- oder Gewerbeimmobilien umbaut. Dies wurde bereits kurz vor dem Gipfel vom Kabinett beschlossen, muss aber noch Bundestag und Bundesrat passieren.
Neben dem Mietwohnungsbau soll auch die Eigentumsbildung gefördert werden. Schon jetzt können Anträge auf das im Koalitionsvertrag versprochene Baukindergeld gestellt werden. Damit sollen Familien mit Kindern auf dem Weg in die eigenen vier Wände unterstützt werden. Auch die Fortführung der Wohnungsbauprämie wurde beschlossen. Damit sollen junge Leute zum frühzeitigen Sparen angeregt werden. Von alldem werden leider vor allem mittlere und gehobene Einkommen profitieren. Zudem wird die Zersiedelung durch Einfamilienhaussiedlungen gefördert. 

 

Schneller, günstiger und seriell bauen
Die Bauordnungen der Bundesländer sollen weiter einander angeglichen und dabei vereinfacht werden. Noch in diesem Jahr sollen eine effizientere Gestaltung, Kostenoptimierung und die vollständige Digitalisierung des Genehmigungsprozesse angestossen werden. Ausserdem möchte die Bundesregierung eine «Typengenehmigungen» einführen: Künftig soll die Genehmigung von Systembauten, die in ganz Deutschland identisch zu errichten sind, erleichtert werden. Bemerkenswert: Fortan soll der Bund bei seinen Bauvorhaben modular und seriell fabrizierte Bauten durch ein neues Ausschreibungsverfahren bevorzugen. 

 

Mieterschutz
Auch die Mieterrechte sollen gestärkt werden. So wird die Mietpreisbremse nachgebessert, indem der Betrachtungszeitrum für den Mietspiegel von vier auf sechs Jahre erhöht wird und die Vermieter künftig verpflichtet sind, den Mietzins der Vormieter ungefragt offenzulegen. Ebenso wird es schwieriger Wohnungen aus Eigenbedarf zu kündigen. Auch soll unterbunden werden, Modernisierungskosten auf die Bewohner abzuwälzen oder diese gar mit dem Argument eines anstehenden Updates vor die Tür zu setzen. Das neue Mieterschutzgesetz soll Anfang 2019 in Kraft treten. 
Auch eine Reform und Erhöhung des Wohngelds zum 1. Januar 2020 wurde angekündigt. Bereits seit Anfang August können Eigentümer und Mieter Zuschüsse für altersgerechte Umbauten, den Barriereabbau und Massnahmen zum Einbruchschutz beantragen. 

 

Attraktive ländliche Räume als Lösung?
Ein interessanter strategischer Ansatz der «Wohnraumoffensive» ist die Stärkung der ländlichen und (momentan) schrumpfenden Regionen, um künftig Druck von den Ballungsgebieten zu nehmen. Zwei konkrete Massnahmen gibt es dazu: Einerseits wird die Städtebauförderung auf einem Rekordniveau von 790 Millionen Euro fortgeführt. Das Geld ist beispielsweise für die Revitalisierungen von Stadt-, Ortskernen und Quartieren sowie die Umnutzungen von innerörtlichen Brachflächen vorgesehen. 
Andererseits soll ein «durchdachtes Mobilitätskonzept», die Menschen ermutigen aufs Land zu ziehen und die Entstehung neuer Arbeitsplätze fördern. Dafür wiederum stellt der Bund den Ländern 9 Milliarden Euro zur Verfügung. Da beide Programme allerdings schon einige Jahre laufen ohne grosse Durchschlagskraft zu entfalten und lediglich fortgeführt werden, scheinen die immensen Summen nicht auszureichen oder falsch eingesetzt zu werden. Unter den Ergebnissen des Gipfels ist kein Vorschlag, wie neuartiges Mobilitätskonzepte konkret aussehen könnte. Auch neue Strategien für eine gesteigerte wirtschaftliche Attraktivität ruraler Gebiete fehlen. Übrigens ebenso, wie ein Ansatz zur Bekämpfung der Bodenspekulation.
Fraglich also, ob das Beschlossene liberale Programm reicht, um die «soziale Frage» von der Frau Merkel spricht zu lösen.

 

> Zum Wohnungsbau in Deutschland, Österreich und der Schweiz lesen Sie archithese 2.2018 Wohnungsbau.

> Am 21. Juni 2018 veranstalteten archithese und das ETH Wohnforum ein gemeinsames Symposium zum Schweizer Wohnungsbau. Dieses kann filmisch nacherlebt werden.

> Die Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt war eines der bestimmenden Themen an der Konferenz Architecture Matters, die im März 2018 in München stattfand.

> Im Juni 2017 widmete das Vitra Design Museum neuen Wohnformen und -konzepten die Schau Together!