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Las Vegas Reloaded

leg godt ist Dänisch und heisst «Spiel gut!». Heute wie vor siebzig Jahren erfreut sich das originäre Spielzeug höchster Beliebtheit: Während das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt zur kultigen «Legobaustelle» einlädt, wird im kommenden Jahr 700 Kilometer nördlich der europäischen Finanzmetropole im dänischen Billund BIG's Lego House eröffnet. Der Neubau greift die Form des modularen Stecksystems auf, das er zum locker gestapelten Ensemble verschachtelt. So entsteht nicht nur eine formale Assoziation mit strukturalistischen und metabolistischen Architekturen. Darüber hinaus ermöglicht das Lego Experience Center in seiner plakativen bildhaften Übersetzung der Legosteine in ein Gebäude eine zweite Lesung im Geiste Robert Venturis.

 

Text: Anna Valentiny
Visualisierungen und Modell © BIG

Das Piktogramm
Auf der Website der dänischen Bjarke Ingels Group (BIG) wird jedes Projekt als Piktogramm präsentiert. Auf seine essentiellen Wesens-, oder besser, Gesichtszüge reduziert, soll Architektur so zum allgemein verständlichen und wiedererkennbaren Icon werden.
Im Falle des Lego Experience Center geht die Rechnung auf. So erkennt der Besucher in den überlappenden kubistischen Volumen, die zur pyramidenartiger Stapelung wachsen, die Proportionen des frühen, klassischen Lego Universums – die Grundbausteine mit 2x2 und 2x4 Noppen. Und tatsächlich: In den Visualisierungen, die dem Klick auf das Icon folgen, stellt sich das aus weissen Boxen komponierte Raumgefüge als megalomane Interpretation des modularen Stecksystems heraus.
Der BIG-Neubau lädt auf rund 12 000 Quadrametern zum Spielen, Verweilen und Kaufen ein. Das Ensembe gliedert sich im Erdgeschoss auf acht Cluster. Nach oben hin verjüngt sich die Komposition und bietet den 1,65 Millionen Besuchern, die bisher jährlich das 1968 eröffnete Legoland besuchen, Ausstellungsflächen und Spielbereiche. Den Gipfel der terrassierten Komposition bildet ein voll ausgeführter Legostein. Vier mal zwei kreisrunde Oberlichter vervollständigen das Abbild des 1932 vom dänischen Tischlermeister Ole Kirk Christiansen erfundenen Legobausteins.

 

Die dänische Ente
An dieser Stelle tun sich offensichtliche Parallelen zur von Robert Venturi und Denise Scott Brown entworfenen Theorie von «Duck» und «Decorated Shed» aus dem Klassiker «Learning from Las Vegas» auf, der 1972 erschien und den postmodernen Architekturdiskurs, wie die theoretische Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt bis heute beeinflusst.
Dabei ist das bekannteste Beispiel, welches vom Team als Aufhänger ihrer Untersuchung benutzt wird der «Big Duck» in Flanders / New York. Der Farmer Martin Maurer errichtete dort 1931 ein Geschäftslokal in Form einer weiss gestrichenen, 5.5 Meter breiten, 9 Meter langen und 6 Meter hohen Stahlbeton-Ente, in der er selbiges Tier und seine Eier verkaufte. In Anlehnung an diesen Bau hat sich seit dem Erscheinen der Theorien Venturis und Scott Browns für die symbolischen Form einer Architektur, die sich aus der Funktion des Baus ableitet, die Bezeichnung «Duck» durchgesetzt.
In Billund ist es einzig die Reduktion der Legostein-Farbpalette von Rot, Blau, Gelb und Weiss auf letzteren Kontrast, der die zu offensichtliche Allusion beruhigt und die Architektur als abstrahiertes Skulptur/Monument von seiner Funktion Abstand und Eigenständigkeit gewinnen lässt.

 

Das Dorf - von Billund zurück nach Montreal und schliesslich nach Siena
Parallel zur Postmoderne in den Vereinigten Staaten entwickelte sich in Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Strukturalismus als Reaktion auf den Funktionalismus der Moderne. Während sich die Amerikaner das Spielen erlaubten, und in ihren teils absurden Formenwelten alle zuvor geltenden Grenzen und Regeln der Komposition hinter sich liessen, entwickeln die Strukturalisten eine Architektur, welche als Abbild gesellschaftlicher Strukturen, das Potenzial des stetigen Wandels in sich tragen und das soziale Zusammenleben der Menschen verbessern wollten.
Aus diesem weiteren Korrektiv der Moderne ging in den 1960er-Jahren beispielsweise das Habitat 67 hervor, welches vom Architekten Moshe Safdie in den Jahren 1966 bis 1967 als Wohnbaukomplex anlässlich der Weltaustellung in Kanadas Hauptstadt entworfen wurde. Während die Ähnlichkeiten des Habitat zu BIG's Entwurf in Billund sich allein durch die Aussage des Architekten erklärt liesse, er habe ebenfalls Legosteine im Entwurfsprozess benutzt, ist die eigentliche Parallele inhaltlicher Natur: An old African saying says: It takes a village to raise a child. The Lego house could be conceived as a village for playing and learning - an urban space as much as architecture. Mit diesen Worten beschreibt die Bjarke Ingels Group ihren Entwurf in Dänemark. Wie man den Satz auch dreht und wendet – interessant bleibt die Idee des Dorfes, auf die sich die Gestalter berufen.
Tatsächlich referieren BIG und Moshe Safdie zu unterschiedlichen Zeiten an das Ideal der kontinuierlich gewachsenen Dorftopographie, welche sie plakativ mit dem Legostein, als kleinste Einheit des solitären Hauses entwickeln.
So entwerfen die Architekten das Herzstück eines Freizeitparks und einen Wohnkomplex in Mitten einer Metropole in Form eines intakten Gefüges, das an die frühen, unabhängigen Stadtstaaten Italiens, verstreut auf den Kuppen der hügeligen Landschaft der Toskana denken lässt. Und ist das Zitieren einer kulturell etablierten Stadtmorphologie nicht neben dem Thema der Typologien das Merkmal der Postmoderne?
Beispiele wie BIG's Lego House werfen die Frage nach der Postmoderne neu auf: Sie begreifen die Fülle des kulturelle verankerten Formenrepertoires als immer aktuelles Thema, das im Laufe der Architekturgeschichte wieder und wieder die Oberfläche des Zeitgeistes durchdringt und dessen Verwendung immer aufs Neue verhandelt werden muss.

 

Die im August erscheinende archithese wird sich mit Architektur und Theorie der 1970er und 1980er-Jahre und der Frage nach dem Wirkungsgrad der Postmoderne bis in den heutigen Architekturdiskurs hinein beschäftigen.

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archithese 4.2010

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