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Peter Eisenman diskutiere mit Kurt W. Forster, Jacques Herzog und Philip Ursprung. (Foto: Frida Grahn)

«Ist die Theorie tot?»

fragte Philip Ursprung zur Eröffnung des Podiumsgesprächs zwischen Peter Eisenman, Jacques Herzog und Kurt W. Forster zum 50. Jubiläum des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich. Es entwickelte sich eine unterhaltsame Debatte, die jedoch wenig Neues zutage förderte.

 

Text & Foto: Frida Grahn – 3.10.2017

 

Die Geschichte des Instituts gta wird im Herbst mit einer Ausstellung, die unter dem Titel Phantom Theorie segelt, beleuchtet. Die Schau soll die Architekturtheorie, einen der Grundpfeiler und Forschungsschwerpunkte des Instituts, als unsichtbares Ideenkonstrukt anhand von Archivalien, Publikationen und Filmen greifbar machen. Für viele das Highlight – und neben der Ausstellung der Grund auf den Hönggerberg zu kommen – war die von Philip Ursprung moderierte Debatte zwischen Peter Eisenman, Jacques Herzog und Kurt W. Forster unter dem Titel The End of Theory? 
Das Institut gta könne als eine Person gesehen werden, so Urspung. Als eine Fünfzigjährige stelle man sich viele Fragen: Sind die goldenen Jahre schon zu Ende? Oder kommt das Beste noch? Kurt W. Forster, Gründer des Getty Research Centers in Los Angeles und ehemaliger Professor für Kunst- und Architekturgeschichte am Institut gta, schlug in die selbe Kerbe als er fragte, ob der Anlass die Bestattung oder die Feier der Theorie sei. Er monierte, dass eine Feier nicht in den Vorlesungssaal E4 gehöre, sondern draussen am Buffet und stattfindet sollte. Vielleicht wäre es aber sogar noch besser gewesen einen ganz anderen Ort aufzusuchen, um zu signalisieren, dass Theorie kein scheues Geschöpf im Elfenbeinturm ist?

 

Lyrik statt Architekturtheorie?
Peter Eisenman, Gründer des in New York beheimateten Institute for Architecture and Urban Studies (1967–1985), machte im Gespräch klar, dass er fünfzig Jahre lang mit der Frage nach dem Ende der Theorie konfrontiert worden sei: «There is no end of theory», gab er zu Protokoll. Der immer wieder spürbare Widerstand gegen Theorie habe vielmehr mit ihrer Endlosigkeit zu tun, so Eisenman weiter. Das Nachdenken über Architektur ist demnach ein unendlicher Prozess.
Jacques Herzog gab zu, dass er hinsichtlich der Theorie unschlüssig sei. Auf der einen Seite erschrecke es ihn, wie wenig heute über Architektur nachgedacht werde. Auf der anderen Seite gäbe es wichtigere Fragen, da die Theorie kaum Einfluss auf die Architektur von heute habe. Vielmehr erscheine sie ihm zunehmen von der Wirklichkeit abgewandt. «In der Regel interessiert man sich nachher nicht für das alte Blatt Papier», so Herzog, «ein Gebäude aber muss für immer inspirieren.» Architekten sollten deshalb statt theoretischer Texte lieber Lyrik lesen, da ein Gedicht dauerhaft von Wert sei. 
Für Peter Eisenman gibt es indes zwei Typen von Architekten: den Entwerfer und den Denker. Es gäbe ganz viele Gestalter, die ohne ihr geschriebenes Werk bedeutungslos wären, sagte er mit breitem Grinsen.
Kurt W. Forster sieht zwischen Theorie und Realität kein Widerspruch. Die Realität sei sogar von ihrer Beschreibung abhängig: «Sie ist was du sagst, dass sie ist.» Erst in der Theorie würde die Untersuchung der Wirklichkeit ermöglicht.
Jacques Herzog konterte: Der Zauber der Architektur bestehe doch darin, dass die Realität eines Gebäudes in Worten eigentlich gar nicht wiedergegeben werden könne. Ein Bauwerk sei als Kunst zu verstehen und als Kunst oder wie ein guter Wein zu geniessen. Zu viel Vorkenntnis kann das Erlebnis seinem Dafürhalten nach sogar negativ beeinflussen.
Forster  konnte indes nicht nachvollziehen, wie es zur grossen Variation im Œuvre von Herzog & de Meuron  gekommen sei. Wahrscheinlich, so vermutete er, liege es am Fehlen einer fixen theoretischen Position. Im Gebauten blieben eben nur Spuren der übergreifenden, aber oft hinreissenden Ideen, so Foster.
Eisenman besänftigte und meinte bezogen auf Herzogs Statement, dass einmal erworbenes theoretisches Wissen nicht mehr abgestreift werden könne, so wie das Wissen um den Geschmack einer teuren Flasche Wein: «I pay too damn much for the bottle of Petrus», lachte er.

 

Unterhaltung statt neuer Erkenntnisse
Das Gespräch war feierlich, kumpelhaft und als Show sehr unterhaltsam – Gedränge und Wachpersonal inklusive. Grosse Fortschritte waren von so einer Debatte nicht zu erwarten. Die Standpunkte, verfestigt in langen Karrieren, werden sich nicht mehr ändern. Sie wurden lediglich zur Schau gestellt. Die Auseinandersetzung hatte etwas Symbolhaftes; das Treffen der Ikonen als Ritus, der neben den ironisch wirkenden goldenen Vorhängen dem Abend Glanz verlieh. 

 

 

> Ist die Theoriebildung in der Architektur ein Auslaufmodell? Karsten Schubert widerspricht mit seinem Buch Körper Raum Oberfläche.

> Welche Rolle spielt die Theorie in der Architekturausbildung heute? Lesen Sie dazu in archithese 2.2016 Bildungslandschaften den Essay «Abandon your Pencils» von Christoph van Gerrewey.

> Auch die Denkmalpflege kommt nicht ohne Theorie aus. Dies zeigt archithese 11.1974 Denkmalpflege. Theorie.

 

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