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Gratwanderung

Text und Fotos: Jørg Himmelreich – 27.9.2019

 

Pfade finden
Punta Pite ist Teresa Møllers bekannteste Arbeit. Sie ist Teil einer gated community bei Papudo, einer Bebauung von 29 (Wochenend-)Häusern nahe dem Pazifische Ozean. Møllers Arbeit umfasst einen 1,5 Kilometer langen Küstenstreifen unterhalb der Villenkolonie, bestehend aus Wegen, Plattformen und Treppen, die eine fragmentierte Promenade durch die zerklüftete Felslandschaft bilden. «Es ist eine Stelle, an der sich Ozean und Land berühren; ein schöner, aber aggressiver Ort. Die Elemente wurden nur dort platziert, wo es nötig war. Wenn der Felsen will, dass man auf ihm läuft, haben wir nichts hinzugefügt», erklärt Møller. Sie schlägt den Besuchern einen Pfad vor, lässt ihnen zugleich aber offen, sich eine eigene Passage zu suchen und lädt förmlich dazu ein, Umwege und Entdeckungen zu machen. Dieses Diskontinuierliche fordert auf, die Landschaft als Abfolge von vielfältigen Räumen und Oberflächen zu lesen. Teresa Møller sieht die Promenade als Metapher des Lebens: «Mal wird man geführt; mal muss man selber suchen und entscheiden.»

 

In situ
Lineare und rechtwinklige Elemente treten in einen spannungsvollen Dialog mit den komplexen Figuren der vom Wasser gerundeten Felsen. Die Wege und Treppen wurden mit einer gewissen Varianz und formalen Vielfalt gestaltet, sind aber nie zu vordergründig, um von der eigentlichen Attraktion – den Felsen, den Einschnitten, dem gischtenden Wasser, den in Spalten spriessenden Calandrina und anderen robusten Pflanzen und Flechten – abzulenken.
Punta Pite wurde bis 2005 während zwei Jahren in situ gebaut. Møller nennt den Prozess einen «Dialog mit den Steinen». Erst nachträglich wurde ein Plan gezeichnet. Die Landschaftsarchitektin markierte die Positionen der Plattformen und Treppen zuerst mit Bambusstöcken, in einem zweiten Schritt mit Stahlstäben und Seilen. Für bestimmte Elemente arbeitete sie mit dem Bildhauer Gerardo Ariztía zusammen. Der gelernte Steinmetzmeister führte mit vier Gruppen aus jeweils zehn Arbeitern das Projekt aus. An unterschiedlichen Stellen hat er zudem kleine Findlinge mit der Säge geteilt, die Schnittflächen poliert und sie horizontal wie Tische ausgerichtet.

 

Hineinführen
Etwas oberhalb der Küste wurde ausserdem ein kleiner Park angelegt. Ursprünglich sollte auch dieses Grundstück verkauft und bebaut werden. Doch Møller überzeugte die Entwickler, es frei zu lassen. Der Parque de la Punta bietet einen grossartigen Blick über den Ozean und kann von den Bewohnern der Siedlung als Gemeinschaftsfläche bespielt werden. Im Schatten alter Zypressen, die von Wind gebeugt sind, wachsen Orchideen und andere ortstypische Pflanzen. Die Eingriffe in die Landschaft wurden gering gehalten. Lediglich zwei sich kreuzende steinerne Linien mit jeweils einer Rinne in der Mitte strukturieren ihn. Vom Park führt ein versteckter Weg hinunter zum Strand. 

 

> Wer mehr über die Arbeit und Haltung von Teresa Møller erfahren möchte, dem sei der umfassende Essay von Jørg Himmelreich in der neuen Chile-archithese empfohlen. Bestellen Sie das Heft in unserem Web-Shop!

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