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Faszination Ruine

In Berlin widmet sich das Kindl–Zentrum für zeitgenössische Kunst der Faszination von Zerstörung und Verfall. Mit Ruinen der Gegenwart ist bis Februar 2018 eine Ausstellung zu sehen, die ruinöse Bauwerke im Spannungsfeld von politischen, wirtschaftlichen oder ökologischen Prozessen befragt.

 

Text: Cyrill Schmidiger – 30.11.2017

 

Offenheit schaffen
Ruinen der Gegenwart ist eine Zusammenarbeit zwischen Kai 10/Arthena Foundation aus Düsseldorf und dem Berliner Kulturzentrum Kindl. Vom 24. Juni bis zum 1. Oktober 2017 war die Schau bereits in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt zu sehen. Die beiden Kuratoren Ludwig Seyfarth und Julia Hörner interessieren sich nicht für eine Betrachtung der Ruine, die gedankenverloren über eine ferne Vergangenheit sinniert. Stattdessen zeigen sie beispielsweise urbanen Interventionen von Gordon Matta-Clark: Im Film Day’s End (1975) wird gezeigt, wie der Künstler gemeinsam mit weiteren Aktivisten Teile aus der Hülle eines leer stehenden Lagerhauses in New York aussägt und dadurch spektakuläre Ausblicke auf den Hudson River und den Himmel schafft. Auch in Paris griff Matta-Clark in ein zum Abriss bestimmtes Gebäude ein – aber anders als in New York mit der Genehmigung der Stadt.

 

Imagination stimulieren
Auch Arata Isozaki, dessen Heimatstadt Hiroshima 1945 atomar zerstört wurde, setzte sich mehrmals mit dem Thema der Ruine auseinander. 1968 – in einer heissen Phase des Kalten Kriegs – collagierte er mehrere Gebilde des zerbombten Stadtzentrums. Sie oszillieren zwischen den Zuständen des Zerstörten und des Unfertigen. Isozaki nannte diese Arbeit Re-ruined Hiroshima, doch diese Strukturen lassen sich nicht nur als blosse Ruinen lesen: Vielmehr öffnen sie neue, imaginierte Welten und stimulieren Ideen für zukünftige Entwicklungen. 1985 fertigte der Japaner zudem drei Siebdrucke an, in denen er sein zwei Jahre zuvor fertiggestelltes Tsukuba Center in Ibaraki in grellen Farben als Ruine darstellte. Gebaute Realität und narrative Funktion verweben sich hier, gleichzeitig wird eine ungewisse Zukunft sichtbar gemacht.

 

Chancen(los)
Inhaltlich setzt sich die Ausstellung bis in die jüngste Zeit mit dem Phänomen Ruine auseinander. So werden einerseits die Zerstörungen archäologischer Artefakte im Mittleren Osten diskutiert, andererseits der Niedergang der Schwerindustrien mit den daraus resultierenden Brachen: Vielerorts verwandelten sich einst florierende Gegenden in verlassene Geröllwüsten mit leerstehenden und ramponierten Gebäuden. Nicht immer bieten Ruinen Spielraum für Neues, was Ryuji Miyamoto mit seiner Serie Kobe 1995. After the Earthquake von 2006 demonstriert. Der kurze Erdstoss kostete damals 5 500 Menschen das Leben. 280 000 Personen wurden obdachlos.
Im Katalog erfahren die Besucher mehr zur Architektur und der Darstellung von Ruinen in der Kunst. Ausserdem wird der Zusammenhang von Körper und Ruine untersucht sowie das fragmentierte Menschenbild der Moderne diskutiert, das seine Entsprechung in der Erscheinung der Ruine hat.

 

Die Ausstellung Ruinen der Gegenwart läuft bis zum 11. Februar 2018 in Berlin-Neukölln im Kindl–Zentrum für zeitgenössische Kunst.

 

> Am 7. Dezember 2017 hielt Arno Brandlhuber einen Werkvortrag im Schaudepot des Vitra Design Museums und zeigte auf, dass das Weiterbauen an Ruinen eine nachhaltige architektonische Praxis ist.

> Ilka Brinkmann beschreibt in archithese 4.2017 Ruinen Gordon Matta-Clarks Konzept der «Anarchitecture» und zeigt sein Potenzial für die zeitgenössische Kunst und Architektur auf.

> Andri Gerber und Philippe Koch schreiben im selben Heft über die politische Dimension von beschädigter oder obsoleter Architektur.

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