Das aktuelle Heft: Grosswohnsiedlungen
In den 1920er-Jahren gab es den Plan Voisin von Le Corbusier und später andere Ideen, das Problem des Wohnungsbaus im grossen Massstab anzugehen. Die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg verhinderten allerdings derartige Projekte, so sie überhaupt je realistisch waren.
Sprechen wir heute über Grosswohnsiedlungen, so meinen wir damit Ensembles, die zumeist in den 1960er- und 1970er-Jahren realisiert wurden – und die nur in seltenen Fällen in den Zentren der Städte, zumeist aber an deren damaligen Rändern entstanden. Infolge der Ölkrise 1973 und eines mentalen Wandels war zunächst erneut Schluss mit der Idee vom Städtebau im grossen Massstab – auch wenn manche Projekte erst im Verlauf der nächsten Dekade fertiggestellt wurden.
Alle der damals entstandenen Bauten sind inzwischen in die Jahre gekommen – will heissen: Sie werden saniert, ertüchtigt, mitunter auch abgerissen. Das negative Image, das vielen der Projekte seit Jahren anhängt, scheint sich indes zu wandeln, auch wenn die Anerkennung als baukulturelles Erbe sich nicht immer als einfach erweist. Grundsätzlich ist aber eine Diskrepanz zwischen Binnen- und Aussenwahrnehmung zu konstatieren: Die Zufriedenheit der Bewohnenden mit ihrer Umgebung ist häufig hoch, während negative Stimmen eher von aussen herangetragen werden.
Die Anzahl potenzieller Beispiele für grossmassstäblichen Wohnungsbau ist schier unermesslich. Wir haben den Fokus unserer Betrachtung – ausgehend von der Schweiz – auf Europa konzentriert, um eine gewisse Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Auch hier konnte natürlich nur paradigmatisch vorgegangen werden, weshalb bestimmte, in der Vergangenheit intensiv behandelte Themen – so die Plattenbauten der ehemaligen DDR – weitgehend ausgeblendet bleiben. In der Zusammenschau der verschiedenen Beiträge hofft archithese, Antworten auf wichtige Fragen zu finden: was die Qualitäten der jeweiligen Siedlung ausmacht, ob sich Rezepte finden lassen, die zu einem Erfolg oder einem Scheitern geführt haben, und wie angemessene Sanierungsstrategien aussehen könnten.
Einige Beispiele aus Literatur und Film, die wir zum weiteren Studium als hilfreich erachten, werden eingangs im Ausklapper vorgestellt. Die wichtigste Auseinandersetzung ist aber die Anschauung vor Ort. Insofern soll das Heft zu einer Reise durch die Schweiz und durch Europa anregen, auf der es themenspezifisch noch viele weitere Objekte zu entdecken gibt.
Die Redaktion
> Die aktuelle archithese 3.2024 Grosswohnsiedlungen ist ab heute im Onlineshop erhältlich.