A Lot With Little
Im ZAZ Bellerive Zentrum Architektur Zürich kann bis 31. März 2024 das Filmprojekt A Lot With Little besichtigt werden. Gefilmt wurden zehn Projekte weltweit agierender und durchaus bekannter Architekturbüros. Gezeigt werden soll, dass Nachhaltigkeit als logische Konsequenz der Entwurfsphilosophie verstanden werden kann. Die Kuratorin Noemí Blager und der Architekt und Filmemacher Tapio Snellman waren im Zuge der Vernissage am 25. Januar im ZAZ Bellerive anwesend und schilderten ihre hinter dem Projekt stehende Intention: Architektur kann sich einer ökonomischen, sozialen wie auch ökologischen Verantwortung nicht mehr entziehen. Der Film soll nach Aussage der Kuratorin inspirieren, doch gelingt ihm das?
Text: Nele Rickmann, 08.02.2024
A Lot With Little feierte bereits im September 2023 am Carnival Mini-Film Festival im Teatro Piccolo Arsenale im Zuge der Architekturbiennale Venedig Premiere. Im ZAZ Bellerive wird das Filmprojekt nun erstmals im mitteleuropäischen Raum gezeigt, welches von vornherein als Wanderausstellung konzipiert war. Nicht nur begünstigt das digitale Medium Film eine weitgehend von Kosten, Aufwand und CO2-Emission befreite Logistik, sondern auch ein zeitgleiches Zeigen des Projekts an unterschiedlichen Orten ist so möglich. A Lot With Little wird geplant auch im CAMP (Prag), DAZ Deutsches Architektur Zentrum (Berlin) und im Umfang der Guangzhou Design Triennial zu sehen sein; bis 27. Januar wurde der Film im MAS Context (Chicago) gezeigt. Dabei werden sich die Institutionen an den einzelnen Orten eine eigene Ausstellungsgestaltung überlegen müssen – ob das vorteilhaft ist, bleibt fraglich. Im Teatro Piccolo Arsenale war der als Dreikanal-Videoinstallation angelegte Film auf einer grossen Leinwand zu sehen. Im ZAZ Bellerive zeigen die Verantwortlichen ihn in einem der beiden kleinen Räume im Erdgeschoss auf drei nebeneinanderstehenden Screens in Dauerschleife; im zweiten Raum vis-à-vis auf der anderen Seite der zentralen Halle erhält man anhand von Plandarstellungen, Kurztexten und knappen Diashows einen groben Überblick über die zehn Projekte. Vom Filmemacher Tapio Snellman erfahre ich, dass das Filmprojekt von ihm als begehbare Installation gedacht war, mit drei Screens, die im Raum verteilt sind und durch die man sich hindurchbewegt. Vielleicht ein Verweis auf die in der Medienmitteilung als «immersiv» beschriebene Filminstallation? Von dieser ist im zentral ausgerichteten Kino-Format im ZAZ Bellerive leider wenig zu spüren. Ob es in Prag und Berlin anders gezeigt wird, bleibt abzuwarten. Dort wird A Lot With Little im Februar und März zu sehen sein.
Der insgesamt circa 60-minütige Film, bestehend aus zehn Sequenzen zu den einzelnen Projekten, ist im klassischen Stil gefilmt. Man könnte sagen: unaufgeregt. Die Projekte werden portraitiert und teilweise mit atmosphärischer Musik des Komponisten Daniel Nolan oder Interviewstimmen der Architekt*innen ergänzt. Die Kamera schenkt langsam durch die Räume, in denen sich Menschen bewegen. Drohnenaufnahmen zeigen Fassaden und verweisen auf den jeweiligen Kontext. Es fehlen jedoch Spannungsbögen oder eine etwas abstraktere, vielleicht sogar experimentelle Herangehensweise an das Medium Film. Handelt es sich um dokumentarische – vielleicht sogar pädagogisch gedachte – Portraits, oder um poetische Momente? Ergänzend dazu ist zu sagen, dass viele der Projekte bereits durchaus und nicht gerade wenig bekannt sind. Gefilmt wurde über zwei Jahre hinweg, die Fertigstellung vieler Gebäude liegt daher schon eine Weile zurück. Die Bauten wurden im Kontext der «Nachhaltigkeit» bereits mehrmals genannt respektive publiziert. Das einzige zum Drehzeitpunkt noch nicht fertiggestellte Projekt ist der Palais des Expo in Charleroi (Belgien) von AJDVIV Architekten Jan de Vylder Inge Vinck. Der Umbau soll in diesem Jahr offiziell eröffnet werden und archithese wird im Länderheft 4.2024 Belgien darüber ausführlich berichten.
Die im Film gezeigten Projekte werden von Noemí Blager den Themen «Transformation», «Wohnen», «Bildung» und «Katastrophenhilfe» zugeordnet. Gemäss diesen Kategorien sind sie im zweiten Raum des ZAZ Bellerive präsentiert (von den sichtbar geklebten Klebestreifen zur Hängung sei an dieser Stelle hoffentlich bald Abschied genommen). Gemeinsam ist den Projekten die Idee, den Mangel an Ressourcen – sei er materiell, sozial oder ökonomisch bedingt – durch kreativen Einfallsreichtum zu überwinden. Es geht um Wechselbeziehungen von Nutzerschaft, Stadt, Natur und Bauwerk sowie räumliche Überlegungen zu Anpassungsfähigkeit, Partizipation und zur Freiheit der Bewohnerschaft. Das gelingt allen nahezu gleichermassen gut; schlechte Architektur bekommt man hier nicht zu sehen. Interessant ist auch die Verortung im jeweiligen kulturellen Kontext. Gezeigt werden Projekte von fünf Kontinenten – Nordamerika, Südamerika, Afrika, Asien sowie Europa – und von den folgenden Architekturbüros: Lacaton & Vassal, AJDVIV (beide mit je zwei Projekten), Taller de Arquitectura Maurice Rocha, Marina Tabassum Architects, Shigeru Ban Architects, Semillas, Jopoi de Arquitectura, Peris + Toral Arquitectes, Atelier Masōmi und Francis Kéré.
Da die Bauindustrie für fast 40 Prozent der weltweiten CO2-Emission verantwortlich ist – so wird es im Text zur Ausstellung geteasert –, könnte man meinen, nachhaltige Architektur wie sie im Film gezeigt wird, geht uns alle etwas an, also auch diejenigen, die per se nicht mit Architektur vertraut sind. Auch Noemí Blager und Tapio Snellman haben sich mit A Lot With Little zum Ziel gesetzt, Nicht-Architekt*innen anzusprechen und auf überdurchschnittlich gute und erstrebenswerte Architektur aufmerksam zu machen, die Lösungen für eine andere Zukunft bietet. Die Frage ist nur, schafft A Lot With Little das? – Und hier liegt womöglich der Knackpunkt des Projekts. Für Architekt*innen scheint der Film zu sanft, zu plakativ oder auch durch die bereits existierende Bekanntheit der Projekte zu wenig informativ. Die grosse Mehrheit der Allgemeinheit wiederum wird ihn wahrscheinlich nicht zu sehen bekommen, da die wenigsten sich an solch spezifische Orte wie das ZAZ Bellerive oder das DAZ Deutsches Architektur Zentrum verirren werden. Schön wäre es, aber am Abend der Vernissage wurden wir bereits eines Anderen belehrt.
Rahmenprogramm im ZAZ Bellerive:
22.02.2024, 19:00 Uhr: Vortrag Jan de Vylder (AJDVIV)
> Weitere Informationen zur Ausstellung auf zaz-bellerive.ch.