Die Port City Colombo, die Forest City in Johor, Pluit vor Jakarta, die Inselstadt BiodiverCity vor Penang, die massive Vergrösserung von Gwadar, Alaro City und Eco Atlantic in Nigeria, die New Administrative Capital bei Kairo und die Hope City in Ghana – das ist nur eine schnelle Auswahl rasch heranwachsender neuer Städte, die derzeit in Afrika und Südostasien aus dem Boden gestampft oder auf aufgeschüttetem Meeressand in die Höhe getrieben werden. Zu diesen Grossprojekten werden verheissungsvolle Visualisierungen verbreitet; Werbevideos mit pompöser Musik und Feuerwerk, das sich in den Glasfassaden von Hochhauspanoramen spiegelt, versprechen den künftigen Bewohnenden eine smarte, steuervergünstigte Zukunft in Wohlstand. Und laut der gängigen Narrative werden sie auch den Menschen der betreffenden Länder insgesamt viele Vorteile bringen, denn als Wirtschaftsmotoren mit Warenumschlagsplätzen, Forschungs- und Bildungshubs, Fabrikationsstandorten und Tourismusdestinationen sollen sie die Bruttoinlandsprodukte in die Höhe schnellen lassen. Shenzhen und Dubai sind wichtige Leitbilder hierfür. Warum sollten sich diese erfolgreichen Modelle nicht auch andernorts adaptieren lassen? Doch sind die Konditionen wirklich vergleichbar? Und wie viele Sonderzonen verträgt die Weltwirtschaft, bis aus dem freien Handel ein grotesk verzerrtes Gebilde ungleich behandelter Territorien wird? Werden tatsächlich breite Schichten davon profitieren, oder sehen wir lediglich erste Indizien einer zukünftigen Welt, die in privilegierte Wohlstandsinseln und abgehängte Peripherien auseinanderdriftet?
Die neuen Städte werden aus vertrauten Typologien zusammengesetzt: Hochhäusern, Malls, Central-Parks, Uferpromenaden und Golfplätzen, umringt von Villengürteln in Form von Gated Communities. Diese werden über Highways, Häfen, Bahntrassen, Flughäfen und leistungsstarke Informations- und Energienetze effizient verknüpft. Das Vorgeschlagene und Umgesetzte wirkt architektonisch seltsam vertraut und zugleich befremdlich, denn diese Städte sind Echos von Idealbildern, die, im Westen entwickelt, nun vom Osten und Süden aufgegriffen und in neuen Dimensionen und mit hoher Geschwindigkeit multipliziert werden. Der Rausch der Bilder verfliegt also schnell, und selbst ein paar eingestreute ikonische Bauten aus den Federn renommierter Architekturbüros können nicht verhindern, dass die neuen Städte nicht als world class, sondern als global generic erscheinen.
archithese spürt den Triebkräften und Akteuren hinter diesen neuen dynamischen urbanen Entwicklungen nach – mit einem Fokus auf den ihnen zugrunde liegenden geopolitischen Mechanismen und Agenden. Da die USA und der Westen insgesamt weltpolitisch allmählich an Einfluss verlieren, während Staaten wie China, Indien, Iran, Brasilien sich neu positionieren, wechselt auch die Regie über die Urbanisierungsprozesse vom globalen Norden zum globalen Süden. Im Ringen um Macht, Einfluss und Ressourcen ist Geoökonomie das Instrument unserer Zeit. In diesem Heft werden verschiedene Fallbeispiele diskutiert, die aufzeigen, wie durch das Bauen von Infrastrukturen und Architekturen oder die damit in Zusammenhang stehende Kreditvergabe Macht und Einfluss ausgeübt werden. Diese Beispiele werden – so gut dies mit den Methoden des Architekturdiskurses möglich ist – kritisch hinterfragt.
Dabei geht es auch darum, die Schattenseiten zu beleuchten, denn im Strudel von Euphorie, Propaganda und Marketing bleibt bislang weitestgehend unsichtbar, was ausserhalb der – häufig als Sonderwirtschaftszonen – errichteten neuen Städte und Handelsknoten passiert. Wie jede Gründerzeit wird auch diese in den entsprechenden Ländern und Regionen zwar die Wirtschaftsleistung, das Bildungsniveau und den Wohlstand allgemein heben, nicht aber ohne den Preis sozialer Verwerfungen und ökologischer Belastungen. Diese gilt es abzufedern. Was kann Architektur in diesem Zusammenhang leisten? Sie müsste zwischen den neuen Wohlstandsinseln und den entstehenden informellen Peripherien stadträumlich vermitteln und Porosität herstellen – doch erteilt ihr dazu überhaupt jemand den Auftrag oder stellt entsprechende Mittel bereit? Die Defizite wachsen und es werden sich vielfältige Problemstellungen rund um die neuen urbanen Zentren ergeben. Das mag uns Architekturschaffende – sofern wir uns (noch oder wieder) als politische und soziale Agent*innen verstehen – überwältigen und ernüchtern. archithese möchte dennoch dazu ermutigen, nach Verbesserungsansätzen aus der Disziplin der Architektur heraus zu suchen, auch wenn sie sich bislang nur als zarte, die – auch in diesem Heft – nur an wenigen Stellen spriessen.