Zwischen den Welten
Nächstes Jahr öffnet das Musée Yves Saint Laurent seine Türen in Marrakesch. Zeitgleich werden auch die, zu Schau- und Ausstellungsräumen um- und ausgebauten Ateliers des französischen Modelabels und Sitz der Fondation Pierre Bergé - YSL in der Pariser Avenue Marceau 5 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Der Neubau des Studio KO in der «Roten Stadt» bedient sich traditioneller Bauweisen, wählt regionale Materialien und fügt sich so harmonisch in den umliegenden Kontext, während sich von der Verschachtelung der kubistischen Figuren bis hin zum Grundriss des Museums Parallelen zur späten Moderne eines Charles-Édouard Jeanneret auftun.
Text: Anna Valentiny – 5.7.2016
Von der Avenue Marceau zur Rue Yves Saint Laurent
Yves Saint Laurent beschloss früh seine Kreationen, von der ersten Skizze über die geschneiderte Haute Couture, bis hin zur Dokumentation seiner Shows aufzubewahren und legte so den Grundstein für die spätere Fondation Pierre Bergé - Yves Saint Laurent. Seit 2004 ist die Hauptmission der Stiftung das Erbe des Modeschöpfers, bestehend aus über 5000 Einzelstücken, 15 000 Accessoires und 10 000 Zeichnungen, zu konservieren und zu verwalten.
An den Knotenpunkten seines Lebens, in Paris und Marrakesch werden ab Herbst 2017 zwei Museen dem Universum Yves Saint Laurent Raum schaffen. Dazu werden die Ateliers von Szenographin Nathalie Crinière und Dekorateur Jacques Grange umgestaltet. Hier werden die Ausstellungsflächen verdoppelt und in ursprünglicher Atmosphäre inszeniert.
Zeitgleich entwerfen die Architekten Olivier Marty und Karl Fournier des französischen Studio KO einen 4 000 Quadratmeter grossen Neubau im Südwesten Marokkos. Der Komplex wird neben einer dauerhaften Schau, Räume zur Präsentation temporärer Ausstellungen, ein Auditorium, eine Bibliothek und ein Restaurant beinhalten.
Voyages Imaginaires?
Yves Saint Laurent wurde im August 1936 in Oran in Algerien, geboren, das damals zusammen mit den anschliessenden Maghreb Staaten Tunesien und Marokko die Kolonien Frankreichs auf dem afrikanischen Kontinent bildete. Er begann seine Karriere bei Christian Dior in Paris, einen Steinwurf von seinem späteren Atelier in der Avenue Marceau entfernt und wurde nach dessen Tod im Alter von nur 21 Jahren Art Director des Modelabels. Yves Saint Laurent wusste um sein Können und beschrieb es als Natur gegebenes Talent zu spüren, was Frauen wünschen – und das zur richtigen Zeit. Dazu brauche er, fügte er hinzu, nicht rauszugehen und zu reisen. Tatsächlich aber führte der Modeschöpfer über seine Fantasie und die erträumten Reisen um den Globus und seine Kreation hinaus, ein Leben zwischen den Welten.
Die Oase vor den Mauern der «Roten Stadt»
Yves Saint Laurent und sein Lebensgefährte und Geschäftspartner Pierre Bergé erwarben 1980 den Parc Majorelle in Marrakesch. Die Gärten wurden in den 1920er-Jahren vom namensstiftenden Maler Jacques Majorelle rund um seine Villa und sein Atelier ausserhalb der von den Stadtmauern ummantelten Medina angelegt.
Yves Saint Laurent und Bergé bezogen das Haus des Künstlers und tauften es auf Villa Oasis. Jährlich verbrachte der Designer im Dezember und Juni jeweils 15 Tage in seiner zweiten Residenz, wo er zeichnete und entwarf, um in der Folge in das Modehaus und die Ateliers der Avenue Marceau zurückzukehren.
Die Gärten bilden heute mit dem Berber Museum und 700 000 jährlichen Besuchern eine hoch frequentierte Attraktion Marrakeschs. In unmittelbarer Nähe zum Park wird das neue Museum an der Rue Yves Saint Laurent entstehen.
Politische Mode = Politische Architektur?
Yves Saint Laurents Arbeiten gelten als politische Statements. Wenn Bergé bezeichnend sagt, Coco Chanel habe den Frauen die Freiheit, Yves Saint Laurent habe ihnen die Macht gegeben, spricht er vom Trench Coat (1962) oder dem Smoking Femme (1966), von Symbolen der männlichen Autorität, die den Frauen über die Mode erschlossen wurden.
Während das Studio KO seinen Entwurf als Symbiose zwischen Kurve und gerader Linie, einer Folge aus lockerem und sauberem Schnitt – einer Dualität die die Architekten in den Kreationen Yves Saint Laurents zu entdecken glauben – erklärt, forciert die Tatsache einer politischen Mode eine zweite Lesart der Architektur.
Das Museum in Marrakesch erinnert in Materialität und Plastik, im Spiel zwischen Licht und Schatten unweigerlich an zwei Meisterstücke der Moderne: Die Aussenfassade und der Grundriss des Neubaus des Musée Yves Saint Laurent in Marrakesch scheint sich stark an den organischen Brutalismus des späten Le Corbusier, wie man ihn in Chandigarhs Palace of Assembly von 1947 findet, anzulehnen. Die geometrische Komposition in Verbindung mit dem Terrakottaziegel Mauerwerk evoziert Vergleiche mit Louis Kahns Jatiya Sangsad Bhaban in Bangladesh.
Archaischer Moderne
Eine inhaltlich interessante Komponente des Neubaus ist die Analogie zu historischen Vorbildern, die in ihrer – damals – radikalen Neuheit von einem Glauben an Veränderung, stetigen Wandel und Fortschritt zeugten und in deren Fahrwasser sich die Architekten von Studio KO bewegen um dem Meister, dessen Karriere in den 1950er-Jahren begann ein Denkmal zu setzen. Gespannt darf man auf die Ausführung des Baus sein, der regionalen Terrakotta, erdfarbenen Terrazzo und Sichtbeton paart und einen monumentalen und doch geerdeten Pathos im richtigen Kontext etabliert.