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Zurückschauen und Weiterbauen
Wie soll mit jahrhundertealter Bausubstanz von hohem kulturellen Wert umgegangen werden? Bereits seit den frühen 1990er-Jahren befassen sich die Österreicher Christian Jabornegg und András Pálffy immer wieder mit dem Weiterbauen an historischer Bausubstanz. Dabei legen sie Wert auf zeitgemässe, klar erkennbare Eingriffe und kraftvolle architektonische Setzungen. In der von ihnen sanierten Klosteranlage Altenburg in Niederösterreich zeigen sie derzeit 40 Architekturmodelle, um ihre Arbeitsweise und Gestaltungsmethoden einem interessierten Publikum nahe zu bringen.
Text: Anne-Dorothée Herbort – 27.4.2017
Neuer Rahmen für historische Bausubstanz
Das barocke Benediktinerstift Altenburg liegt in Niederösterreich, zirka 90 Kilometer nördlich von Wien. Im Dreissigjährigen Krieg wurde die Anlage stark beschädigt. Danach entschied man ihre Ruine einzuschütten und auf dem so entstandenen Plateau ein neues Kloster im Stil des Barock zu errichten. Doch der Erddruck der Schüttung begann über die Jahrhunderte die umlaufende Stützmauer zu destabilisieren und schliesslich ins Wanken zu bringen. Um Abhilfe zu schaffen, wurde im Jahr 2000 ein Teil der Schüttung ausgehoben und so die Struktur entlastet. Durch diesem Eingriff kamen Teile der mittelalterlichen Klosterruine wieder zum Vorschein. Jabornegg und Pálffy machten diese begehbar und bauten archäologische Schauräume ein. Zudem etablierten sie eine Verbindung zwischen diesen und den damals bereits bestehenden Ausstellungsflächen im barocken Hauptbau. Die Architekten gestalteten überdies eine schützende Einhausung für die mittelalterlichen Überreste, welche sich gestalterisch an der barocken Anlage orientiert.
Mehr als objekthafte Präsenz
Die derzeit im Rahmen der Ausstellung Retroperspektive im Stift Altenburg gezeigten Projekte, legen einen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit historischer Bausubstanz. Alle entstammen dem Portfolio von Jabornegg und Pálffy und werden ausschliesslich über Modelle vermittelt. Das Wiener Büro versteht seine Arbeiten als ein Weiterbauen an bestehender Substanz, die aber zugleich zeitgemäss und klar als Eingriffe erkennbar sein sollen.
Zugleich ist die Bezugnahme auf den Kontext für die beiden wesentliche Grundlage ihrer Gestaltungen. Sie sehen in ihren Projekten «nicht mehr die Aura einer objekthaften Präsenz, die im Mittelpunkt der Wahrnehmung steht, sondern vielmehr das tatsächliche Potential eines Eingriffes in seine Umgebung. Das Ergebnis dieser Bemühungen resultiert letztlich in einer Eigenständigkeit und Spezifizität, die nur mit erheblichen Einschränkungen wiederholbar ist.»
Respektvoller Umgang oder kraftvolle Handschrift?
Die Architekten versprechen kraftvolle Eingriffe, die jedoch den historischen Bestand nicht überformen oder in den Schatten stellen sollen. Doch wie gut gelingt ihnen dieser Balanceakt? Das Duo arbeitet am Bestand häufig mit physischen Fugen oder Materialbrüchen, welche neu eingefügte Elemente deutlich von älteren Schichten scheiden und so verschiedene Zeitschichten ablesbar machen. Doch zugleich haben sie eine Vorliebe für glatte Oberflächen, klare Linien und ein einheitliches Gesamtbild. Innerhalb der denkmalgeschützten Hülle der Dokumenta X – den Räumen der ehemaligen Poststation im Südflügel des Hauptbahnhofes in Kassel beispielsweise – wurden sämtliche Einbauten entfernt, die nicht dem ursprünglichen Zustand entsprachen und in allen Räumen eine Estrichoberfläche eingebracht, die nicht nur die Nutzlast aufnimmt, sondern auch einen zusammenhängenden Eindruck vermittelt. Allerdings versprühen die Räume dadurch leider eine fast klinisch saubere Atmosphäre und die Handschrift der Architekten stellt – auch wenn die Geste klein ist – den Bestand leider doch in den Schatten.
Zeitgenössische Statements
Die Idee vom «Weiterbauen», welche die beiden propagieren korrespondiert indes mit der Haltung des österreichischen Denkmalpflegers Alois Riegel. Jener weitete am Anfang des 20. Jahrhundert den Denkmalbegriff aus, in dessen Zentrum er den «Alterswert» sah. Riegl unterscheidet in seinem ideellen Wertesystem zwischen «Gegenwartswerten» und «Erinnerungswerten». Zu Ersteren zählte er den Gebrauchswert und den relativen Kunstwert; zu den «Erinnerungswerten» den historischen Wert und den von ihm besonders hervorgehobenen «Alterswert». Damit sind in seinem Sinne nicht nur Patina und Gebrauchsspuren, sondern viel mehr die Geschichtlichkeit als zentrale geistige Dimension des Denkmals gemeint. Der «Alterswert» macht das Denkmal, laut Riegl, als Menschenwerk begreifbar. Von dieser Warte aus müssen Denkmäler nicht ewig erhalten bleiben; vielmehr soll der Kreislauf von Werden und Vergehen nicht durchbrochen werden und darf sichtbar sein. Riegl betont, dass nicht ein bestimmtes Stadium des Denkmals konserviert werden soll. Vielmehr soll das Denkmal in den Entwicklungsprozess der Gesellschaft einbezogen werden. Demnach dürfen auch kulturell bedeutsame Bestandsbauten angetastet werden. Dieser Prämisse folgend versuchen Jabornegg und Pálffy alte Bauwerke heutigen Bedürfnissen anzupassen und sie zugleich als identitätsstiftende Objekte zu erhalten.
Die Ausstellung Jabornegg & Pálffy. Retroperspektive. Architekturprojekte im historischen Kontext ist vom 1. Mai bis zum 26.Oktober 2017 täglich zwischen 10.00 und 17.00 Uhr im Stift Altenburg zu sehen. Christian Jabornegg und András Pálffy führen am 24. Juni sowie am 16. September jeweils um 15.00 Uhr persönlich durch die Schau. Bitte melden Sie sich via Email unter kultur.tourismus@stift-altenburg.at an.
> Im Dezember 2017 widmet archithese dem Thema Ruinen ein eigenes Heft.