Zukunft 2005–2025
Ein Symptom von Clubsterben und Kulturverdrängung in Zürich?
Nele Rickmann im Gespräch mit Michi Vollenweider
Die Zukunft in Zürich war für viele nicht nur Kulturlokal, sondern auch Zufluchtsort. Nach 20 Jahren musste der Club an der Dienerstrasse 33 im Kreis 4 aufgrund von Abriss und Neubau schliessen. archithese-Redaktorin Nele Rickmann diskutiert mit Michi Vollenweider, Mitgründer der «Zuki», über Kulturverdrängung, steigende Mieten und mögliche Kriterien, die auch einen Neubau für eine Clubnutzung interessant machen könnten.
Nele Rickmann: Am 22. März 2025 hattet ihr euer Abschiedsfest, das von solch einem Andrang geprägt war, dass man es wohl eher Strassenfest nennen müsste, da es sich bis zur Langstrasse vorzog. Hunderte verabschiedeten sich an diesem Samstag von der «Zuki», die tags darauf ihr Ende fand. Aber lass uns eingangs zurück zum Anfang gehen: Wie und warum habt ihr die Zukunft gegründet?
Michi Vollenweider: Gegründet haben wir die «Zuki» Anfang der 2000er im Kollektiv. Das waren Alex Dallas und Markus Ott, die vom Club Dachkantine kamen, der damals aufgrund des Umbaus des Toni-Areals für die ZHdK vor der Schliessung stand – sowie Dominik Müller und ich, wir waren vorher im Club Bogen 13 tätig, der ebenfalls schliessen musste, da das Viadukt renoviert wurde, wo sich jetzt Markthalle und Läden befinden. Alex Dallas ist durch ein Inserat auf die Dienerstrasse 33 aufmerksam geworden, wo sich zuerst ein Milieulokal und dann später ein Konzertlokal befand, das aber nicht gut lief. Die Betreiber haben aufgehört und wir ergriffen die Chance, denn die Räumlichkeiten waren offiziell schon für einen solchen Zweck umgebaut, was für uns sehr vorteilhaft war. Wir schlossen uns mit Sacha Winkler, bekannt als DJ Kalabrese, und Miguel Castro zusammen – wir waren letztlich sechs Gründungsmitglieder, die die «Zuki» 2005 ins Leben riefen.
NR: Ich höre immer wieder, wie schwierig es heute ist, einen Club oder Veranstaltungsort neu zu gründen – vor allem wegen den Mietpreisen und diversen Regularien. Du blickst auf 25 Jahre Erfahrung zurück. Was hat sich verändert?
MV: Jeder von uns musste damals nur 4000 Franken mit einbringen, damit wir eine GmbH gründen konnten. Das ist heute so sicher nicht mehr möglich. Man braucht entweder sehr viel Glück oder Kapital, damit man in Zürich etwas hochziehen kann. Wir mussten damals nicht einmal Schlüsselgeld zahlen. Ausserdem nutzten wir zuerst nur die Räume im Untergeschoss, denn erst später kamen die Bar 3000 und die Waxy Bar dazu.
NR: Das heisst, ihr habt die anderen Räume über die Zeit mit angemietet?
MV: Genau, damals haben wir einfach eine eigene Anlage mitgebracht und in den Räumen des ehemaligen Konzertlokals im Untergeschoss losgelegt. Das ganze Quartier um die Langstrasse war zu der Zeit aber noch ein anderes – mit mehr Milieu, Drogen und Prostitution. Das ist heute immer noch so, aber anders als vor 20 Jahren. Was heute die Langstrasse ist, war zu der damaligen Zeit eher das Niederdorf, die Altstadt, denn Geschichten über die Hells Angels und Schutzgeld im Kreis 4 machten die Runde. Im Erdgeschoss war über der Zukunft zuerst noch ein Telefondienst, der vermutlich aufgrund skurriler Geschäfte hochging. Wir haben ihn dann dazu gemietet und die Bar 3000 installiert. Wir nahmen richtig Geld in die Hand und setzten den Deckendurchbruch von der Bar in den Club um, der bis zum Ende bestehen blieb. Irgendwann zogen auch die Mieter aus den Obergeschossen sowie aus der Dienerstrasse 29 aus, die Räume dort nahmen wir vor allem aus lärmschutztechnischen Gründen dazu und mieteten sie an Bekannte unter. 2023 richteten wir im ersten Obergeschoss der Dienerstrasse 33 die Waxy Bar ein und ins zweite Obergeschoss zügelten wir unser Büro und die Garderobe. Wir mieteten am Ende das Gebäude komplett, wussten aber, der Mietvertrag läuft irgendwann aus.
NR: Ab wann wusstet ihr, dass ihr raus müsst? Und ist die Verwaltung immer die gleiche gewesen?
MV: Die Verwaltung war immer die gleiche, ja. Bereits 2017 kam sie auf uns zu, um uns mitzuteilen, dass sie einen grossen Neubau bis vor zur Langstrasse 94 planen, also bis zur Piazza Cella und der Piranha Bar. 2018 oder 2019 erfuhren wir dann, dass wir 2024 ausziehen müssen, was sich dann wiederum um ein Jahr verzögerte bis zum letztlichen Ende im März 2025.
NR: Was war euer Eindruck vom Haus? Gab es grössere Mängel?
MV: Nein, wir waren eigentlich sehr zufrieden. Die Lüftungsanlage hatten wir 2012 austauschen lassen und für uns war es eigentlich perfekt – die Lage, die Räume. Beide Gebäude, also Dienerstrasse 33 und Langstrasse 94, waren in einem guten und für ihre Nutzung ausreichenden Zustand. Nach fast 15 Jahren hätte man vielleicht wieder in die Haustechnik, speziell in die Heizung, investieren müssen.
NR: Wie hat sich der Mietpreis über die Jahre verändert? Und hat man euch ein Angebot gemacht, wie es nach dem Abriss weitergehen kann?
MV: Die Mieten sind über die Jahre teurer geworden, was sicher auch mit der Gentrifizierung des Quartiers und der Langstrasse einhergeht, die vor allem durch die Europaallee befeuert wurde. Vorher war das Quartier eigentlich vom Zentrum und Zürich HB recht abgeschottet; die Europaallee machte die Langstrasse zu einem zentralen Ort und brachte Expats von Google & Co in die direkte Umgebung, die sich teurere Mieten leisten können. Wir konnten uns allerdings immer gut über Wasser halten. Selbst in Corona-Zeiten waren wir durch unsere Versicherung, die auch Pandemie-Schäden abdeckt, abgesichert – was ein grosser Vorteil war im Gegensatz zu anderen Kulturbetrieben, die in dieser Zeit teilweise schliessen mussten. Als dann klar war, beide Häuser werden abgerissen, bot man uns an, in den Neubau zu ziehen und direkt an der Piazza Cella ein Lokal im Erdgeschoss zu mieten. Das Projekt war schon ziemlich konkret ausgearbeitet mit Restaurant/Bar und Club – so eine Hybrid-Geschichte. Als es dann um die Mietpreise ging, war uns allerdings klar, dass wir das nicht finanzieren können und wollen. Wir haben dann abgewunken.
NR: In den Medien las ich, dass dort nun wahrscheinlich ein weiterer Coop einziehen soll. Das ist dann, glaube ich, der dritte an der Langstrasse.
MV: Nicht der dritte, das wäre dann, glaube ich, eher der fünfte! Das finde ich sehr bedenklich, wenn nicht sogar tragisch. Und es beschweren sich Anwohner, dass es zu laut ist, wenn die Leute auf der Strasse stehen und trinken. Das ist eine Grundsatzfrage: Will man, dass die Leute in Räumen Party machen? Oder sollen sie das auf der Strasse tun? Mit Ghettoblaster und dann liegen überall leere Flaschen, Zigistummel und anderer Abfall rum … Ich glaube für die Anwohner*innen des Quartiers, wie übrigens auch ich, ist es angenehmer, wenn die Leute in einem Lokal Party machen, statt vor dem Supermarkt mit Drinks auf der Piazza zu sitzen. Nicht nur lärmtechnisch, sondern auch abfalltechnisch und mit Blick auf Aggressionen, für die wir ein Awareness-Konzept im Club hatten.
NR: Man liest immer wieder, der jungen Generation ist es oft zu teuer, in den Club zu gehen. Der Eintritt und die Getränke sind teurer geworden. Viele gehen dann eher auf die Strasse oder auf illegale Raves. Was ist dein Gefühl, wie hat sich das Club- oder Partyverhalten in den letzten 20 Jahren verändert?
MV: Alles, was du sagst, kenne ich. Es hat aber meiner Meinung nach nicht nur mit Geld, sondern auch mit einem gesünderen Lebensstil zu tun. Eher Fitnessstudio und Sonntagmorgen früh in die Berge als verkatert im Bett liegen – das sind heute so die Themen. Jedoch haben wir auch während Corona gesehen – zu einer Zeit, als niemand ausgehen und Freunde oder Fremde treffen konnte –, welche Wichtigkeit solchen Begegnungsorten zukommt. Als wir nach Corona wieder öffneten, war der Andrang enorm gross, es kam ein richtiger Schub, weil alle so verzweifelt waren. Wir müssen anfangen, uns ernsthaft damit auseinanderzusetzen und das Nachtleben wertzuschätzen, anstatt es unter den Tisch fallen zu lassen.
NR: Den Club Zukunft im Neubau anzusiedeln, ist, wie du beschrieben hast, gescheitert. Wollt ihr woanders weitermachen?
MV: Alex Dallas überlegt, im ehemaligen Roland-Kino an der Langstrasse etwas auf die Beine zu stellen. Die anderen und ich haben uns aber dazu entschieden, nach mehr als 20 Jahren eine Denkpause einzulegen. Ich werde mich den Rest des Jahres wieder mehr auf meine Familie konzentrieren und herausfinden, wie und wo ich weiter machen will. Der Club EXIL, den ich 2009 mitgegründet habe und an dem ich noch beteiligt bin, läuft auch ganz gut ohne mich. [lacht]
NR: Es gibt auch andere Kulturprojekte, die aufgrund von Abriss und Neubau auf der Kippe stehen: Sei es der Club X-tra im Limmathaus, das unter Denkmalschutz steht und saniert werden soll, die Maag-Hallen, die abgerissen werden sollen, die Zentralwäscherei, die offiziell als Zwischennutzung ausgewiesen ist – oder das Koch-Areal, das seit 2023 in Transformation begriffen ist. Mit Blick auf die Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt, um neue Veranstaltungsorte zu gründen, ist das keine rosige Zukunft.
MV: Ich bin mir immer nicht sicher, ob es da wirklich nur um Rendite geht, so nach dem Motto: «Wir wollen Geld machen und die Kultur muss raus.» Uns wollte man ja eigentlich auch nicht rausschmeissen, wir konnten die Mieten im Neubau nur nicht zahlen … Natürlich spielt Geld da eine Rolle; mit teuren Wohnungen verdient man wahrscheinlich mehr als mit einem Club und hat vor allem weniger Umtriebe. Gleichzeitig ermöglicht die Stadt die Zentralwäscherei oder auch die Rote Fabrik, die seit einer Ewigkeit am Zürichsee angesiedelt ist. Die Frage ist vielleicht eher: Braucht Zürich wirklich mehr Orte? Oder sind die Orte, die bereits existieren, vielleicht nicht richtig ausgenutzt? Ich kann mich nicht erinnern, dass – ausgenommen die Post-Corona-Situation – die Clubs so voll waren, dass man nicht mehr reinkam. Wir sollten eher überlegen, ob die, die da sind, richtig genutzt beziehungsweise programmiert werden. Und da muss ich sagen, dass da einige auch subventionierte Venues sicher noch viel Luft nach oben haben.
NR: In der Basler Zeitung las ich einen Artikel zur 2024 in Kraft getretenen Trinkgeld-Initiative, die eine breitere Kulturförderung ermöglicht. In Zürich gibt es eine Diskussion über die sogenannte Clubstiftung auf Initiative von SP und Grünen zur Förderung von lokalen Veranstaltungsorten. Apropos Basel: Wir haben in der letzten archithese Swiss Performance 2025 einen dortigen Clubneubau publiziert, das Projekt Kuppel.
MV: Die Kuppel kenne ich, da war ich früher mal!
NR: Nehmen wir mal an, die Mietkosten im Neubau wären bezahlbar. Könntest du dir vorstellen, in einem Neubau einen Club hochzuziehen?
MV: In dem Stil, wie wir die Zukunft gegründet haben – ich nenne es mal «kommerziellen Underground» – kann ich mir das nicht vorstellen, nein. Neubauten sind wahrscheinlich zu steril, als dass man da Lust hätte, einen Club einzurichten, und unser Publikum sich da wohl fühlen würde. Es kommt natürlich auch auf das Genre, die Grösse und die Nutzung an – zu Pop passt das vielleicht besser als zu Techno oder Rock. Das Einzige, was ich mir vorstellen könnte, wäre eine Art Do-It-Yourself-Ausbau – also, dass der Rohbau da ist, wir aber selbst ausbauen können. Dann wäre es vielleicht möglich, da man erstens Geld spart und zweitens alles eine individuelle Handschrift trägt.
NR: Wie kamt ihr eigentlich auf den Clubnamen «Zukunft»?
MV: Ich fand den Namen von Anfang an immer so ein bisschen dekadent, ein bisschen hoch gepokert. Die Idee, die vom Künstler Alan Kupper kam, war natürlich schon eine Art Wortspiel, also: Wo sehen wir uns? In der Zukunft. Wo gehst du hin? In die Zukunft. Das war dann doch ganz lustig. Und gleichzeitig hatten wir auch den Ansporn, wenn wir uns «Zukunft» auf die Stirn schreiben, dann müssen wir auch was dafür tun, dürfen nicht stehen bleiben und nicht zur Vergangenheit werden.
NR: Ihr wart schon immer auch mehr als ein Club. Ihr wart stark in der Grafik- und Kunstszene Zürichs verwurzelt, hattet am Anfang ein Magazin und bis zum Ende ein digitales Zine.
MV: Wir haben immer versucht, uns möglichst divers und vielfältig aufzustellen, da auch unsere Interessen entsprechend sind. Klar war die Zukunft hauptsächlich als Ort für elektronische Musik bekannt. Es fanden aber immer schon Konzerte und diverse Events im Kultur- und Kunstbereich statt und deshalb hat die Zukunft auch immer Gäste und Freunde aus diesen Bereichen angezogen. Mit der Waxy Bar ab 2023 war die Dienerstrasse 33 dann sicher mehr ein Kultur- als ein Partyort.
NR: Ich nehme das Wortspiel von vorhin auf: Gibt es etwas, das du dir für den Kulturbetrieb in der Zukunft wünschen würdest?
MV: Ich würde mir wünschen, dass die Leute wieder ein bisschen offener werden für Konzerte oder auch Ausstellungen. Es geht immer mehr in die Richtung: «Zu dem, was ich kenne, gehe ich hin.» Aber auf das Unbekannte lassen sich die wenigsten ein. Ich habe das Gefühl, die Leute sind nicht mehr so offen wie früher und gehen, wenn sie denn ausgehen, auch immer zu den gleichen Orten. Dabei hatten wir beispielsweise in der Waxy Bar auch einen Soli-Preis von 13 Schweizer Franken pro Konzert, was wirklich wenig ist, damit sich mehr Menschen angesprochen fühlen, auch einfach mal so spontan kommen und sich überraschen lassen können.
NR: Die Zukunft ist zu Ende gegangen – und die «echte» Zukunft ist unvorhersehbar, so wie ihr auf eurer Webseite schreibt: «The only constant is change». Wer weiss, vielleicht lassen sich ja einige Bauherrschaften oder Architekt*innen von deinem Vorschlag inspirieren!
Das Interview wurde durchgeführt am 10.4.2025.
> Weitere Informationen zur Zukunft auf: zukunft.cl
> Mehr zur Kuppel in Basel in: archithese 1.2025 Swiss Performance.