Zürich-Konferenz – eine Rückschau
Sei es das Planen mit Bildern oder die Kleinstadt versus Metropole, urbane Qualitäten oder der Massstab und die Mischung: In vier Themenrunden rückten die Teilnehmer der archithese Konferenz «Zürich – Räumlicher Stand der Dinge» am 30. Oktober 2015 individuelle Haltungen, Erfahrungen, Beobachtungen, Kritik und Fragestellungen ins Zentrum, um einen Tag lang gemeinsam über die städtebauliche Zukunft der Stadt Zürich und hinaus zu diskutieren. Lesen Sie hier Zusammenfasungen der einzelnen Panels.
Autor: Richard Zemp – 11.11.2015
Fotos: Andréa Zemp Nascimento
Foto Panel 2: Elias Baumgarten
Planen mit Bildern
Zielbild, Leitbild, Stadtbild, Entwicklungsbild: Das Bild ist in der heutigen Planungspraxis allgegenwärtig. Unter der Moderation von Jørg Himmelreich (von links nach rechts) diskutierten Frank Argast vom Amt für Städtebau der Stadt Zürich, Astrid Staufer von Staufer & Hasler Architekten in Frauenfeld, Peter Staub von der Universität Liechtenstein und Architekt Ingemar Vollenweider vom Architekturbüro Jessenvollenweider in Basel. Argast gab einen Einblick in seine Arbeit im Amt für Städtebau, wo mit digitalen Stadtmodellen und virtuellen Bildwelten gearbeitet werde. Nicht immer sei deren Abstraktionsgrad für Laien verständlich. Andererseits sehe er im hohen Detaillierungsgrad heutiger Bildvorgaben durchaus die Gefahr der Vereinheitlichung, weshalb er sich in Zukunft eher städtebauliche Regelwerke, statt Leitbilder wünsche. Auch Astrid Staufer und Ingemar Vollenweider wünschen sich in der Planung weniger Hochglanz-Renderings und plädieren für die Arbeit mit physischen Modellen: «Bilder zwingen zu verfrühten formalen Aussagen in einer Phase, in der es primär um räumliche Aussagen geht», betonte Staufer. Im heutigen Wettbewerbswesen werde ein absurder Detaillierungsgrad verlangt. Die Gefahr der Homogenisierung durch vorgegebene Leitbilder sehe sie nicht, eher im Gegenteil: Es brauche mehr einheitliche Leitsätze, um dem «heterogenen Einheitsbrei» entgegenzuwirken. Peter Staub stand für «mehr Bildstörung und weniger Bilderbuchstadt» ein. Sein Kurzreferat brachte vieles auf den Punkt und regte einmal mehr zum Nachdenken an: Durch die zunehmende Verwendung von Bildern und der gleichzeitigen Homogenität der Bildsprache bei Wettbewerben und Leitbildern gewöhne sich die Allgemeinheit an diese Sprache und empfinde diese als erstrebenswert. Dies sei bedenklich, denn letzten Endes werde das Stadtbild immer auch von der Nachfrage gestaltet.
Kleinstadt versus Metropole
Mit der Intensivierung der grenzüberschreitenden Planung im Metropolitanraum Zürich und der Ausweitung des städtischen Territoriums steht das «Über die Grenzen Denken» auf der politischen Agenda der Stadt Zürich. Unter der Moderation von Piet Eckert, E2A Architects, Zürich diskutierten (von links nach rechts) Markus Schaefer von Hosoya Schaefer Architects aus Zürich, Prof. Jörg Stollmann, TU Berlin, Anouk Kuitenbrouwer, KCAP, Zürich und Lukas Schweingruber von Studio Vulkan Landschaftsarchitekten aus Zürich. In ihrem Einstiegsreferat stellte Anouk Kuitenbrouwer eine Studie von KCAP für das Limmattal vor. Auf fast allen Seiten von der Topographie begrenzt, dehne sich die Stadt Zürich in langen Fangarmen über die Kantonsgrenzen hinaus zu einer polyzentrischen Stadt aus. Dennoch würde die Planung dieser Realität nachstehen. Das habe einerseits mit der Planungshoheit der Gemeinden, aber auch mit der hiesigen Planungskultur zu tun, welche ihr Augenmerk sehr stark auf die Nutzungsplanung und weniger auf die Übersetzung von Masterplänen richte. Wenn überhaupt, dann werde das entwerferische und gestalterische Potential des Masterplans nur fragmentarisch an einzelnen Orten umgesetzt. Markus Schaefer scheint sich diese Not zur Tugend gemacht zu haben und stellte einen «Werkzeugkasten» für die Metropolitanregion vor, der das Gestaltungspotenzial solcher Fragmente oder «Archipele» in der Stadtlandschaft aufzeigen soll. Anhand eines historischen Abrisses legte er dar, dass unsere auf historische Konventionen beruhende Territorialität in einer zunehmend urbanen und sich rasant verändernden Welt neu gedacht werden müsse. Lukas Schweingruber startete sein Kurzreferat mit Daniel Burhams grossmasstäblichem Plan für die Stadt von Chicago aus dem Jahre 1909 und plädierte für eine zusammenhängende und offensivere Gestaltung der Landschaft im grossen Stil und über Grenzen hinaus, anstelle sie als etwas Unberührbares dem Landschaftschutz oder den Interessen von Einzelnen zu überlassen. Jörg Stollmann warf wortwörtlich einen Blick über die Grenzen und kam auf die Stadt Berlin zu sprechen. Er schätze die Planungskultur der Schweiz, doch Architekten und Planer diskutierten oft nur unter sich. Die Gestaltung der wachsenden Stadtlandschaft könne aber nur dann zu einem Gewinn für den jeweiligen Ort werden, wenn die Vielfalt der Akteure berücksichtigt und Konflikte deutlicher gemacht und auch ausgetragen würden. Die Frage Piet Eckerts in der anschliessenden Diskussion zielte einmal mehr darauf ab, wie Planung jenseits von vorgefassten Kategorisierungen und Grenzziehungen zwischen Stadt, Agglomeration und Land stattfinden kann. Vergleiche man das Wachstumspotential innerhalb der heutigen Stadtgrenzen mit der für die gesamte Schweiz prognostizierten Bevölkerungszunahme käme man zum Schluss, dass die Metropole längst aussethalb der Stadtgrenzen liegen würden und eine Stadtgrenzen überschreitende Planung je länger desto mehr zu einer substanziellen Frage werde. Patchwork-Strategien reichen also nicht mehr aus, um Wachstum zu kanalisieren. Braucht es den «grossen Plan», wie man ihn aus Zeiten grossen Bevölkerungswachstums kennt? Oder verlangt Stadtplanung heute ein differenzierteres Vorgehen, das die gleichzeitige Betrachtung unterschiedlicher Massstabsebenen und einen anderen Umgang mit vorhandenen Siedlungsstrukturen ermöglicht?
Urbane Qualitäten
Wie fasst man urbane Qualitäten? Diese Frage diskutierten nach der Mittagspause (von links nach rechts) Moderatorin Dr. Tanja Herdt, Institut für Designforschung ZHdK, Prof. Christian Schmid, Professor für Soziologie am Departement Architektur der ETH Zürich, Stefan Kurath, urbaNplus, Zürich und Institut Urban Landscape, ZHAW, Niklaus Reinhard, Reinhard Architekten, Hergiswil | fsai und Dan Schürch von Duplex Architekten aus Zürich. Kurath setzte sich in seinem Kurzreferat mit den Begrifflichkeiten auseinander. Urban bezeichne eine Lebensweise und keine Siedlungsstruktur – hier liege der Widerspruch im einen der beiden Syntheseberichte des jüngs abgeschlossenen NFP65-Forschungsprogrammes zu urbanen Qualitäten. Auch gebe es weder die Stadt oder die urbane Qualität, sondern mannigfaltige lokalspezifische Formen von urbaner Qualität. Nur wenn Architekten ihre Denkmuster an diese spezifischen Situationen anpassen und mit der Vielfalt heutiger Lebensweisen arbeiten würden, käme man zu architektonischen Inhalten, die über das Bild hinausgehen können. Niklaus Reinhard führte die Argumentation mit einem Gedicht von Christian Morgenstern (Der Lattenzaun) weiter: Vielmehr als den Architekten als Objektkünstler, brauche es den Künstler des Zwischenraums. Christian Schmid kam schliesslich erneut auf den NFP65 zu sprechen. Als Koautor der Studie stellte er klar, dass es sich bei den beiden Syntheseberichten um zwei völlig unterschiedliche Arbeiten handle. Seine Forschungsgruppe habe eine Auswahl konkreter Eigenschaften aufgestellt, mit denen unterschiedliche urbane Situationen mit allgemein verständlichen Kriterien analysiert werden könnten (siehe hierzu den Beitrag von Lukas Küng in archithese 5.15). Eine genaue Definition von Urbanität sei indes unmöglich. Was die Qualität einer Stadt ausmache, seien die Unterschiede, die sich in ihr entwickeln würden. Schmid zitiert Henri Lefebvre: Urban sei es dann, wenn die Differenzen zusammenkämen, sich erkennen und vor allem anerkennen würden. Die heutigen Gentrifizierungsprozesse brächten allerdings eine regelrechte Domestizierung der Urbanität mit sich. Vermehrt würden Menschen in die Stadt ziehen, die diesen vitalen Konfliktraum als störend empfänden. Die anschliessende Diskussion kam auf die Partizipation zu reden: Wann und wo ist diese sinnvoll? Vielmehr als eine Pflichtübung sollte Partizipation Teil einer selbstverständlichen Raumkultur sein, so Kurath. Für Christian Schmid liegt das Ermöglichen von Partizipation vor allem in der Offenheit der Stadtstruktur. Die Stadt brauche Leerräume und müsse revisionsfähig sein. Uns fehle die Kultur des Unfertigen.
Massstab und Mischung
Akteure und Stakeholder, Beteiligte und Betroffene der Stadtentwicklung – wie sie zusammenwirken und welche Rolle Stadtplanung und Stadtentwicklungspolitik dabei in Hinblick auf den Massstab und die Durchmischung der Städte spielen, diskutierte dieses Panel. Unter der souveränen Moderation von Prof. Marc Angélil, agps, Zürich | Professur für Architektur und Städtebau ETH Zürich, diskutierten Stefan-Martin Dambacher, Leiter Projektentwicklung Mobimo, Küsnacht, Andreas Hofer (rechts im Bild), Archipel, Zürich, Prof. Christa Reicher (links im Bild), rha architekten + stadtplaner, Aachen | Professur für Städtebau und Bauleitplanung, TU Dortmund und Dominic Papa von S333, S333 architects, London. In welchem Masse aktuelle städtebauliche Veränderungsprozesse von ökonomischen Faktoren abhängig sind, vergegenwärtigte das Kurzreferat von Stefan-Martin Dambacher. Wolle man durchmischte Quartiere mit bezahlbaren Wohnungen, müsse die Stadt für entsprechende Rahmenbedingungen für private Bauträgerschaften sorgen, betonte Dambacher. Andreas Hofer widersprach entschieden: die öffentliche Hand müsse vielmehr mit strategischen Landkäufen reagieren, um einzelne Grundstücke dem Marktmechanismus zu entziehen. Nur so könne der Anteil bezahlbarer Wohnungen längerfristig garantiert werden. Bei der anschliessenden Diskussion hätte man sich durchaus eine klarere Positionierung seitens der Vertreter der Stadt gewünscht. Dominic Papa legte dar, wie mit unterschiedlichen Typologien auf Fragen der Nutzungsdurchmischung eine Antwort gefunden werden kann. Die von ihm vorgestellten städtebaulichen Grossprojekte brachten dies allerdings nicht unbedingt zum Ausdruck. Christa Reicher zeigte anhand zwei ihrer jüngsten Arbeiten, wie monofunktionale Stadtquartiere aus der Nachkriegszeit nachträglich mit zusätzlichen Nutzungen aufgestockt werden können und betonte, in Zeiten grosser demografischer Veränderungen und weltweiter Flüchtlingsströme seien zunehmend resiliente Stadtstrukturen gefragt, die gerade in ihrer Massstäblichkeit und in der Durchmischung auch kurzfristige Anpassungen ermöglichen würden.