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Zieht Ötzi um?

Die Mumie Ötzi, «der Mann aus dem Eis» ist seit Jahren ein Publikumsmagnet für die Stadt Bozen. Um dem Andrang gerecht zu werden, soll ein neues Museumsquartier entstehen. Zusammen mit dem Immobilienunternehmen eines Tiroler Milliardärs hat das norwegische Architekturbüro Snøhetta eine Designstudie entwickelt, die den Bozener Hausberg zu einem kulturellen Wahrzeichen und Zentrum mit Aussichtsplattform transformieren soll. Kritiker fürchten nun um den Verlust der touristischen Kaufkraft in der Altstadt.

 

Text: Julian Bruns – 12.3.2019
Visualisierungen: moka-studio © Snøhetta

 

Der Bozener Hausberg Virgl war seit der Stilllegung einer Luftseilbahn 1976 touristisch nahezu unerschlossen. 2015 hat das Immobilienunternehmen Signa Group des Tiroler Milliardärs René Benko deshalb einen internationalen Wettbewerb für eine neue Seilbahn ausgelobt. Das vor allem auf Kulturbauten spezialisierte Architekturbüro Snøhetta ging daraus als Sieger hervor und arbeitet seitdem an der Umsetzung des Projektes. 
Paralle sucht die Stadt Bozen nach einem neuen Standort für ein Museumsquartier, in dem unter anderem das Stadtmuseum sowie das Südtiroler Archäologiemuseum mit dem weltberühmten Ötzi unterkommen sollen. Der 1991 beim Tisenjoch gefundene «Mann aus dem Eis» soll dort ein eigenes Museum erhalten, um den Besuchermassen gerecht zu werden.

 

Eine Stadtterrasse für alle
In Zusammenarbeit mit der Signa Group haben die norwegischen Architekten von Snøhetta für das neue Quartier nun eine Erweiterung ihrer Seilbahnbergstation auf dem Virgl um eben jene Museen vorgeschlagen. Der Bau soll sich gemäss ihrem Entwurf in die Topografie einfügen und die längliche Museumsstruktur mit der ringförmigen Station künftig ein Ensemble mit einem gemeinsamen Foyer bilden. Darüber ist eine grosse Dachterrasse als Treffpunkt, Aussichtsplattform, mit Blick in die Alpentäler Tirols, sowie Veranstaltungsflächen für Märkte oder Konzerte angedacht. Von dort kann auch die umliegende Landschaft für Freizeitaktivitäten wie Wandern oder Radfahren erschlossen werden. Der Berg Virgl soll so (wieder) zu einem Kultur- und Erholungsgebiet für die Bewohner und Besucher Bozens werden und die internationale, kulturelle Bedeutung der Stadt stärken.

 

Interessenskonflikt
Unterdessen macht sich jedoch Kritik am Vorschlag breit, den Eismenschen auf den Virgl zu zügeln. Philipp Moser, Präsident des Handels- und Dienstleistungsverbandes Bozens befürchtet, dass die Besucher fortan der Altstadt fernbleiben könnten. (Das Archäologische Museum zählte 2018 immerhin knapp 290 000 Eintritte.) «Für Bozen ist das ausserordentliche Ausstellungsstück des Archäologiemuseums einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste Bezugspunkt für die Attraktivität und Lebendigkeit des Bozner Ortszentrums», schreibt der Verband in einer Stellungnahme. Und weiter: «Die Besucherströme müssen in die Städte geleitet, und nicht in die Peripherie gedrängt werden.» Die Sorge um den Verlust der Kaufkraft für die Einzelhändler in der Innenstadt scheint berechtigt. Hinzukommt, dass die Besucher künftig auf dem Weg zum «Mann aus dem Eis» durch ein neu entwickeltes Viertel mitsamt Kaufhaus zur Seilbahn geführt werden – beide Projekte wurden von René Benkos Unternehmen Signa Group entwickelt. Das wirft die grundlegende Frage auf, wer letztlich an historischen Funden und musealen Exponaten Geld verdienen darf oder soll.
Zwei weitere Projektentwickler haben ebenfalls Studien für ein neues Quartier eingereicht. Die Pläne wurden bisher jedoch nicht veröffentlicht. Bekannt ist bloss: Sie möchten den bekanntesten Bozener in der Altstadt belassen. Der Entscheid der Stadt, ob und welche Studie letztlich umgesetzt werden soll, war eigentlich bereits für Januar angekündigt und wird mit grosser Spannung erwartet.

 

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