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Zerstörung beschlossen

Am 24. Oktober 2018 entschied der Stadtrat von München: Henn Architekten und Rainer Schmidt erhalten den Auftrag zur Generalsanierung des Kulturzentrums Gasteig. Ungewiss, ob der seit Wochen immer weiter eskalierende Streit um die Zukunft des sympathischen Kolosses damit gelöst ist. Schon sind nämlich neue Drohungen ausgesprochen: Die beiden unterlegenen Teams – Auer Weber mit Graber Huber Lipp und Wulf Architekten mit Club 94 und Theapro – machen gegen den Entscheid mobil und wollen klagen. Sicher ist indes: Eine architektonisch überzeugende Lösung wird es nicht geben, egal welcher der drei von der Stadt favorisierten Entwürfe umgesetzt würde.

 

Text: Elias Baumgarten – 25.10.2018

 

Was bisher geschah
Seit Wochen tobt eine schwere Auseinandersetzung um die Zukunft des Gasteigs in München-Haidhausen. Stadt, Betreibergesellschaft und zwei der vier Architekten des Altbaus – Günter Grossmann und Eike Rollenhagen – stehen sich scheinbar unversöhnlich gegenüber. Ein Rechtsstreit liegt in der Luft. Und nun drohen auch noch zwei der Wettbewerbsteilnehmer mit dem Anwalt.
Doch der Reihe nach: Weil das 1985 eröffnete Kulturzentrum in die Jahre gekommen war, sollte es bis 2021 generalsaniert werden. Im Mai 2018 endete ein Architekturwettbewerb dafür mit einem Patt. Gleich drei Teams wurden mit dem ersten Preis ausgezeichnet: Auer Weber mit Graber Huber Lipp, Henn Architekten mit Rainer Schmidt sowie Wulf Architekten mit Club 94 und Theapro standen zusammen auf dem obersten Treppchen des Siegerpodestes. Sie waren daraufhin aufgefordert, weiter an ihren Gestaltungen zu schrauben. Weil alle drei Entwürfe den Gasteig bis zur Unkenntlichkeit überformen würden, verfassten Grossmann und Rollenhagen eine 40 Seiten starke Denkschrift, die sie Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter übergaben. Für den Fall, wenn nicht Henn Architekten gewännen und ihren Entwurf danach ein zweites Mal überarbeiteten, drohten sie gegenüber der Presse mit Klage. Sie können dies, weil sie gemäss des in den 1970er-Jahren geschlossenen Vertrags bis heute die Urheberrechte am Bau halt. Am 12. Oktober fällten dann Jury und Gasteig-Betreiber eine endgültige Entscheidung – hinter verschlossenen Türen. In der Lokalpresse munkelte man bereits: Henn Architekten werden den Auftrag bekommen. Und am gestrigen 24. Oktober hatte schliesslich der Stadtrat das letzte Wort. Dieser entschied tatsächlich: Henn Architekten und Rainer Schmidt bekommen den Zuschlag. Dagegen votierten die Politiker der Grünen und der FDP. Gerade letzter möchten den 1970er-Jahre Bau lieber ganz einreissen lassen und durch einen Neubau ersetzen. 
Die beiden unterlegenen Teams sind ausser sich ob diesem Ergebnis. Sie wähnen eine Einflussnahme der Architekten des Altbaus. Auch unterstellen sie, das Siegerteam sei zuerst mit Informationen über den Streit mit Grossmann und Rollenhagen informiert worden und habe so einen unfairen Vorteil erhalten. Nun wollen sie die Vergabestelle des Regierungsbezirks Oberbayern einschalten. Denn die Gasteig-Betreiber haben die Vorwürfe bereits brüsk zurückgewiesen. Finden sie weiter kein Gehör, wollen sie ihre Anwälte in Marsch setzen und klagen.

 

Warum nur?
In 1985 wurde der Gasteig eröffnet. Gestaltet wurde das Haus vom Architekten-Quartett Günter Grossmann, Gerd Lindemann, Carl F. Raue und Eike Rollenhagen, das in 1972 den Wettbewerb gewann. Im Haus befinden sich verschiedene Kulturinstitutionen – von elitär bis profan, von der Volkshochschule bis zur Philharmonie. Diese schöne Idee aus den späten 1960er-Jahren funktioniert bis heute: Zwei Millionen Menschen besuchen den Gasteig pro Jahr – in Spitzen bis zu 10 000 an einem einzigen Tag. 1 700 Anlässe finden jährlich statt. Inzwischen hat das Spuren hinterlassen: Allfälliger Verschleiss muss behoben und die Haustechnik auf Stand gebracht werden. Auch soll der einzige grosse Nachteil des Baus, die unzureichende Akustik im Konzertsaal, behoben werden. Dafür liegen 410 Millionen Euro parat.
Unverständlich ist jedoch, wieso der Gasteig derart krass überformt werden muss, um fit für die Zukunft zu sein, wie alle drei siegreichen Entwürfe des Wettbewerbs dies vorschlagen. Schliesslich hat der Altbau hohe architektonische Qualitäten. Seine Architekten schafften es, dem grossen Volumen durch eine vielfach gegliederte Fassade aussen und Passagen, Galerien und eine kleinteilige Betonkassettendecken innen einen menschlichen Massstab zu verleihen. Fakt ist aber auch: In der Ausschreibung waren solch lärmend exaltierte Gestaltungen nicht verlangt. Vielmehr wurde dort ein sanftes Verschneiden von Alt und Neu gewünscht. 

 

Bittere Pille
Architektonisch vermag der Entwurf Henn Architekten und Rainer Scmidt schwerlich zu überzeugen. Zwar zeigt er mehr Wertschätzung für den Altbau als die beiden anderen zuletzt noch möglichen Optionen, doch fräst auch er durch den Bestand und verändert dessen Charakter nachteilig. So möchte das Team die Fassade des Gasteigs, die dem riesenhaften Volumen bisher eine gewisse Massstäblichkeit und Gliederung zu geben vermag, mit zwei Glasbändern «aufbrechen». Dabei verschwinden zum Beispiel die Gliederungselemente aus Beton und die drei charakteristischen, kraftvoll geschwungenen turmartigen Erker aus Stahl und verspiegeltem Glas an der Kreuzung von Rosenheimer Straße und Gasteig. Die neuen Glasboxen haben schnurgeraden Kanten und kommen ohne jede Gliederung oder Rhythmisierung aus. Das Motiv der Schattner Fuge – ohnehin wie ein Relikt aus den 1990er-Jahren wirkend – ist wenig überzeugend umgesetzt. Die verglasten Räume wirken hilflos angeklebt. Die alte Fassade umher scheint glattgebügelt. So wird das Haus weniger kleinteilig, seine Dynamik geht verloren. Das Volumen wird so vielmehr als riesenhafter Klotz in Erscheinung treten. Gasteig-Betreiber und CSU-Politiker frohlocken dennoch, ob dem ihrer Meinung nach grossen Wurf.
Tragisch auch, dass die Treppenkaskaden, Bäume und Sitzgelegenheiten, die aktuell noch einen attraktiven öffentlichen Raum von hoher Aufenthaltsqualität und eine Barriere zur vielbefahrenen Rosenheimer Straße bilden, verschwinden sollen, um einer monumentaleren, doch weniger urbanen Lösung Platz zu machen.

 

Überdenken bitte!
Es wäre gut, die zu weit greifenden Umbaupläne auf Eis zu legen. Die Verantwortlichen sollten nochmals über die Qualitäten des quartier- und stadtprägenden Hauses reflektieren und dann eine möglichst zurückhaltende Sanierung anstreben, welche die Schwächen des Hauses – vor allem die schlechte Akustik im Konzertsaal – ausmerzt, zugleich aber dessen Stärken erhält. Neben der architektonischen Qualität liessen sich für solch eine Lösung sicher auch Argumente im Sinne der Nachhaltigkeit und Ökonomie finden.

 

> Lesen Sie mehr zu den Qualitäten des Gasteig-Altbaus.

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