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Zerstörung aufgeschoben

Ab 2021 soll das in die Jahre gekommene Kulturzentrum Gasteig in München-Haidhausen (1985) wieder fit gemacht werden. Nachdem im Mai 2018 drei Wettbewerbsteilnehmer zu einer Weiterbearbeitung aufgefordert wurden, war für den 12. Oktober 2018 die endgültige Entscheidung angekündigt. Doch sie fiel nicht. Zwar favorisieren nach Angaben des Bayerischen Rundfunks die Wettbewerbsjury und der Aufsichtsrat des Kulturzentrum den Entwurf von Henn Architekten und Rainer Schmidt, aber erst am 24. Oktober wird der Stadtrat das letzte Wort sprechen. Es tobt eine schwere Auseinandersetzung zwischen Bauherrschaft, Stadt und Eike Rollenhagen, einem der vier Architekten des Baus. Dieser droht gegen die Sanierung zu klagen. Das zu Recht: Alle drei zur Wahl stehenden Entwürfe von Auer Weber und Graber Huber Lipp, Henn Architekten und Rainer Schmidt, sowie Wulf Architekten mit Club 94 und Theapro würden das Haus stark und im negativen Sinne überformen.

 

Text: Elias Baumgarten – 15.10.2018

 

Liebenswerter Koloss
Das Kulturzentrum Gasteig ist das grösste in Europa: Über zwei Millionen Menschen besuchen es jedes Jahr. Das sind bis zu 10 000 am Tag – und das seit mittlerweile mehr als drei Dekaden. Sie lesen in der Stadtbibliothek oder der Kinder- und Jugendbücherei, lernen in der Volkshochschule, studieren an der Hochschule für Musik und Theater oder lauschen den Konzerten der Münchner Philharmonie. Dazu wird ein dichtes Veranstaltungsprogramm geboten: Jährlich steigen 1 700 Events. Dieses Konglomerat verschiedener Institutionen ist ein Kind der späten 1960er-Jahre, als man das Ineinandergreifen von elitärer und profaner Kultur förderte. Stadtbaurat Uli Zech und Kulturreferent Jürgen Kolbe, die den Bau mit vorantrieben, erhofften sich gegenseitige Anregungen und Durchdringungen der Institutionen. Der Erfolg des Zentrums gab ihnen recht. 
Gestaltet wurde der robuste Bau vom Architekten-Quartett Günter Grossmann, Gerd Lindemann, Carl F. Raue und Eike Rollenhagen. Sie gewann 1972 den Wettbewerb und nach dem Spatenstich sechs Jahre später konnte der Gasteig im November 1985 feierlich eröffnet werden. Seine expressive 1970er-Jahre Architektur ist wohl durchdacht: Treppenkaskaden führen entlang von Stützmauern, die eine grosse von Bäumen beschatteten Sitzgruppe formen, vom Strassenraum zum Haupteingang. So wurde überzeugend ein Filter mit hoher Aufenthaltsqualität gegen die stark befahrende Rosenheimer Straße geschaffen. Innen wie aussen verfügt der markante Bau über Sichtmauerwerk aus roten Backstein. Die vielfach eingefaltete Fassade, Gliederungselemente aus Beton und drei kraftvoll geschwungene Türme aus Stahl und verspiegeltem Glas verleihen dem Zentrum trotz seines enormen Volumens (445 000 Kubikmeter umbauter Raum) einen menschlichen Massstab. Der öffentliche Raum setzt sich im Innern fort – dieses Gefühl vermitteln Galerien, Passagen und die robusten Betonkassettendecken  die Architekten sprachen selber von einem «Durchhaus». Die einzige aber grosse Schwäche des Gasteigs ist indes die Akustik des Konzertsaals. Schon in den 1980er-Jahren beklagten sich die Musiker. Komponist Leonard Bernstein notierte 1985 gar ins Gästebuch: «Burn it!»

 

Der Zahn der Zeit
Nach über dreissig Jahren Nutzung ist der Gasteig reif für eine Generalüberholung: An der Akustik soll nachgearbeitet, der Brandschutz auf Stand gebracht, die Haustechnik modernisiert und allfälliger Verschleiss repariert werden. Beginnen sollen die Arbeiten 2021. 410 Millionen Euro werden dafür in die Hand genommen. Ein Wettbewerb mit 26 Architektenteams wurde veranstaltet und im Mai 2018 vergab die Jury drei erste Plätze an die Teams Auer Weber und Graber Huber Lipp, Henn Architekten und Rainer Schmidt, sowie Wulf Architekten mit Club 94 und Theapro. Am 12. Oktober 2018 sollte dann nach einer Überarbeitungsrunde die endgültige Entscheidung fallen. Soweit der Plan – denn am 11. Oktober meldete die Süddeutsche Zeitung: Endgültig feststehen wird der Sieger erst am 24. Oktober. Denn die letzte Entscheidung liegt beim Stadtrat. Doch warum? Schuld sind Streitigkeiten zwischen Stadt, Betreiber und den vier Architekten des Altbaus, allen voran Eike Rollenhagen. Die Auseinandersetzung ist die Folge der fragwürdigen architektonischen Qualität der drei zur Wahl stehenden Entwürfe.

 

Rechtsstreit droht
Aufgrund des in den 1970er-Jahren geschlossenen Vertrags können die Architekten beziehungsweise deren Erben unter Berufung auf das Urheberrecht gegen Umbauten am Gasteig vorgehen. Eike Rollenhagen hat eine 40 Seiten starke Denkschrift gegen die Umgestaltung verfasst und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter übergeben. Auch Günter Grossmann hat diese unterzeichnet. Den Journalisten der Bild sagte Rollenhagen am 9. Oktober, «zwei Entwürfen würde ich bestimmt nicht zustimmen». Auf Nachfrage fuhr er fort, wenn einer davon gewinne oder seine Bedenken nicht berücksichtigt würden, werde es «kritisch». Wie der Bayerische Rundfunk erfahren haben will, handelt sich bei Rollenhagens Favoriten um die Gestaltung von Henn Architekten.

 

Unverständlich
Betrachtet man die drei siegreichen Entwürfe, erschliesst sich Rollenhagens ablehnende Haltung rasch. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso der Bau im Zuge der Sanierung aussen stark bis vollständig überformt werden soll. Alle drei Vorschläge geben sich monumentaler als die Gestaltung aus den 1970er-Jahren, die gegen sie fast kleinteilig wirkt. Auer Weber hüllen den Bau in einen Mantel aus Metall und versuchen offensichtlich die Formensprache der Elbphilharmonie in Hamburg zu referenzieren. Auch bei Wulf Architekten erinnert nichts mehr an den Altbau: Über das Dachniveau ragenden Pfeiler wirken wie eine Krone und erinnern an die Tonhalle von Wilhem Kreis in Düsseldorf (1926). Noch am ehesten Flair für die 1970er-Jahre Architektur des Gasteigs zeigen Henn Architekten. Allerdings greifen auch sie massiv in die Erscheinung ein und legen eine grob-kantige, zweigeschossige gläserne Erschliessungsebene um den Bau. Alle drei Projekte setzen überdies auf die Entfernung von Stützmauern, Bäumen und Sitzgelegenheiten zwischen Strassenraum und Eingang. So schlagen sie je eine Bresche für eine monumentale Treppenanlage. Aufenthaltsqualität und die gelungene Abschirmung zum Verkehr gehen so verloren.

 

Alternative?
Zu hoffen wäre, dass die Pläne für den Umbau wieder in der Schublade verschwinden. In einem neuen Wettbewerb sollte nach Wegen zu einer respektvollen, zurückhaltenden Sanierung gesucht werden. Eine interessante Alternative bietet indes bereits Peter Haimerl, der am Wettbewerb eine Auszeichnung erhielt. Er schlägt vor, den markanten Gebäudeteil an der Ecke von der Rosenberger Straße zum Gasteig zu erhalten und nur jenen an der Rosenberger Straße kraftvoll umzugestalten.

 

> archithese half mit einer Petition das AT & T Building von Philip Johnson in New York vor einem groben Umbau des Sockelbereichs zu retten.

> Lesen Sie mehr zum Architekturdiskurs in Bayern in archithese 3.2018. Im Heft finden Sie unter anderem Essays zum Wettbewerbs- und Vergabewesen, der architektonischen Entwicklung Münchens und der Architektur Peter Haimerls.