Von Neukölln bis Tokyo
Der Architekturpodcast Stadt.Raum.Frau* über die Suche nach der gerechteren und inklusiveren Stadt
Stadträume zwischen Freiheitsversprechen und Verdrängung – in diesem Zwiespalt sucht die Soziologin und Politologin Friederike Landau-Donnelly im Format einer sechsteiligen Podcast-Reihe Stadt.Raum.Frau* nach queer-feministischen Strategien in der zeitgenössischen Raumpraxis.
Text: Viktoriya Yeretska, 24. August 2023
Queer-feministische Architektur und Stadtplanung: Wie manifestiert sich der Bedarf einer pluralistischen Gesellschaft nach Gleichberechtigung konkret in der Gestaltung? «Ich interessiere mich für frische und vielleicht sogar radikale Positionen, wie Architektur und Stadtplanung als Schnittstellen gesellschaftlicher Veränderungen fungieren können», so Friederike Landau-Donnelly im Intro ihres Podcasts. Unter dem Titel Stadt.Raum.Frau* produzierte sie gemeinsam mit der argon.lab des gleichnamigen Berliner Verlags im vergangenen Jahr (2022) eine mehrteilige Audiosendung. Der 33-jährigen Soziologin geht es darum, an dem Mythos eines Star-Architekten als der universellen, «gottgleichen» Künstlerfigur, an den etablierten Hierarchien in der Architektur und Planungsbranche und an den festgesetzten Klischees in gebauten Räumen zu rütteln. Als Stadtsoziologin, Politikwissenschaftlerin und Kulturgeografin forscht sie – zurzeit an der niederländischen Radboud-Universität in Nijmegen – zu Konflikten in urbanen öffentlichen Räumen und verschiedenen Strömungen des Politischen in Städten. Wie Architektur, Stadtplanung und Politik zusammenhängen können, bespricht sie im Podcast mit ihren Gästen, die allesamt auf verschiedene Art und Weise die Architekturbrache vertreten.
Die sechs dreissig- bis fünfzigminütigen Folgen setzen sich zusammen zu einer nur lose miteinander verbundenen, thematisch gegliederten Gesprächsreihe, die verschiedene Vorstellungen und Schwerpunkte des Feminismus in der räumlichen Gestaltung in Dialogform absteckt: die Architektinnen Gabu Heindl, Shivani Shankar, Johanna Meyer-Grohbrügge, Inken Bühring, Dagmar Jäger, Julia Heinemann und Niloufar Tajeri sprechen mit der Moderatorin neben der Gleichberechtigung im Berufsalltag auch über raumbezogene Fragen, die sich um das übergreifende Thema der Gerechtigkeit drehen. Allesamt berichten und reflektieren sie ausgehend von ihrem eigenen Werdegang und der eigenen architektonischen Praxis. So gelingt es, die komplexen Zusammenhänge ganz anschaulich und konkret an den alltäglichen Situationen festzumachen und die Ausgrenzungs- oder Unterdrückungsmuster zu identifizieren.
Der Podcast richtet sich somit bewusst an ein breit gefächertes Publikum, an alle Zuhörer*innen, die sich aktiv an der Verbesserung und Mitgestaltung ihrer Umwelt beteiligen wollen. Damit reiht er sich in eine ganze Serie von deutschsprachigen feministischen Produktionen und Podcast-Episoden der letzten Jahre ein, die ein gesellschaftliches Umdenken fordern: BDA-Denklabor Frauen in der Architektur, F-Podcast des Berliner Kollektivs fem_arc, Dérive Radio – Frauen bauen Stadt, der Sendung Frauen bauen von 3sat sowie Female Mentorship von kntxtr.
Im Spektrum der eingeladenen Dialogpartnerinnen zeigt sich bereits, wie breit das Arbeitsfeld des Architekten – beziehungsweise in diesem Fall der Architektin – von den Protagonistinnen des Podcast gedacht und gelebt wird: von der klassischen Kombination aus Planen, Bauen und Lehren wie im Fall der Berliner Architektin Johanna Meyer-Grohbrügge bis hin zum politischen Aktivismus und sozial-orientierten partizipativen Ansätzen bei der Architekturtheoretikerin Niloufar Tajeri. Interessantwerweise hat kaum eine von Ihnen die Entscheidung zum Architekt*in-Sein bewusst getroffen: Die Frauen haben sich erst während ihrer akademischen und beruflichen Laufbahn selbst neu erfinden und nach Nischen in der streng hierarchisierten Branche suchen müssen. Hier zeigt sich einerseits das Fehlen weiblicher Vorbilder, andererseits die Kreativität bei dem Finden der Freiräume in der Gestaltung des Berufswegs. Die Sendung fokussiert aber nicht nur die berufliche Situation von Frauen*, sondern geht explizit vertiefter in die Themenfelder: Die einzelnen Folgen widmen sich unterschiedlichen Schwerpunkten wie Ausbildung, Aktivismus, Lebensraum, Gefühle und Intersektionalität.
Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen zunächst die westeuropäische Stadt und Architektur. Trotzdem gelingt hier der Blick über den Tellerrand, auf die Baupraxis in den uns fremden kulturellen Kontexten. In einer der Episoden zum Thema «Lebensraum» berichtet beispielsweise die in Berlin tätige Architektin Johanna Meyer-Grohbrügge über ihre Arbeitserfahrung im inzwischen international bekannten, mit dem Pritzker-Preis ausgezeichneten japanischen Büro SANAA. Unter anderem arbeitete sie Anfang 2000er-Jahre am Rolex-Campus Lausanne mit. Im Gegensatz zu ihren Erfahrungen im westlichen Kulturkreis (darunter in den USA und der Schweiz) empfand die Architektin ihre Zeit bei dem Architektenpaar Kazuyo Sejima und Ryu Nishizawa als besonders fruchtbar und prägend: Erst dort, in Tokyo, habe sie erstmals kreative Freiheit im Architekturberuf erfahren, erzählt sie. Nicht zuletzt lag es an der in Japan praktizierten prozessorientierten, ergebnisoffenen Herangehensweise im Entwerfen: Die Grundrisse müssen Offenheit für möglichst viele verschiedene Lebensentwürfe ermöglichen – eine grundlegende Aufgabe der Architektur, was hierzulande viel zu oft zugunsten der Erfüllung diverser rechtlicher und technischer Raffinesse in den Hintergrund gerät. «So ein Grundriss ist aber trotzdem nicht neutral, auch wenn er offen ist», so die Architektin, denn es gehe nicht zuletzt darum, Reibung und Aushandlung von Räumen zuzulassen, den Nutzern auf diese Weise eine Handlungsmacht zuzusprechen. Die gekonnte Ausformulierung der Grenzen und Übergänge zwischen Öffentlichkeit und Intimität ist das, worum es Meyer-Grohbrügge in der Architektur geht. Das in Japan erarbeitete Repertoire an räumlichen Prinzipien hinsichtlich der Ausformulierung des Öffentlichen und des Privaten setzt sie in Zusammenarbeit mit ihrem Partner Sam Chermayeff im Kontext der Berliner Kurfürstenstrasse im Stadtteil Schöneberg um: unter anderem in ihrem 2019 fertiggestellten Wohnbauprojekt Kufu. Das sich dem Stadtraum öffnende Baugruppenhaus an der Ecke eines Blockrands am U-Bahnhof Kurfürstenstrasse beherbergt 20 Wohneinheiten, Ateliers und Geschäfte. Um rollendeterministische und von geschlechterspezifischen Machtverhältnissen bestimmte Räume im Wohnungsbau aufzulösen, gibt die Architektin durch präzise ausformulierte, fliessende räumliche Übergänge den Bewohner*innen eine räumliche Aushandlungsmöglichkeit innerhalb des vorgegebenen Raumkontinuums, erläutert Meyer-Grohbrügge ihren planerischen Ansatz. Im Zentrum die Folge steht die These, dass Architekt*innen ihre Vorstellungen vom Leben in einem gewisser Grad den Bewohner*innen aufzwingen und wie man dem entgegenwirkt.
Ganz anders der Schwerpunkt und Ansatz von Niloufar Tajeri: Sie lehrt und forscht zu den Themen ökonomische Wachstumswende, Protestformen und struktureller Rassismus in der Architektur- und Planungspraxis in Deutschland. Die letzte Podcast-Folge beleuchtet die grösseren Zusammenhänge und Tajeri thematisiert einen anderen Berliner Kontext mit der Initiative Hermannplatz Architektur als sozialen und politisch aufgeladenen Raum. Hier geht es nicht um die formale Gestaltung an sich, sondern um die sozialen Zusammenhänge und Protestformen als Werkzeug. In der Folge mit dem Titel «Intersektionalität» bespricht sie diesen Begriff. Wie politisch gefärbt oder unschuldig ist Architektur? Welche Bevölkerung meinen wir eigentlich, wenn wir an eine diverse Stadtgesellschaft denken? Wie ehrlich sind die von Architekt*innen alltäglich gebrauchten Begriffe? Die Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen, Nähe zu den Bewohnerinnen einer Stadt und die Konfrontation mit realen Gegebenheiten, Orten, Bewohnern sind für die Ausformulierung der Lebensräume ebenso essenziell. An dem Beispiel des Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz erläutert Tajeri die Lücke, die zwischen der Vision von Eigentümern, Inverstoren und der tatsächlichen Nutzung oftmals entsteht. Damit demonstriert sie, dass Aktivismus genauso ein Entscheidungsfaktor für Bauen oder Nicht-Bauen sein kann, der neue soziale Verknüpfungen durch Partizipationsprozesse prägt und so über das weitere Schicksal städtischer Räume mitentscheidet.
Jung, frisch und weiblich soll die neue Architektur klingen: Mit dem Podcast sind einerseits Portraits von unterschiedlichen Lebens- und Berufswegen engagierter Architektinnen entstanden, die sich in einem nach wie vor männerdominierten Beruf behaupten müssen, sich kreativ neu erfinden und damit das Arbeitsfeld nachhaltig durch alternative Lebensläufe bereichern und transformieren. Ihre Motivation zur räumlichen Gestaltung und Veränderung ist oftmals eng mit der eignen Biografie verwoben, insofern legitim ist die von der Autorin gewählte Art und Weise der Erzählung. In den Dialogen kartografieren sie gemeinsam mit der Moderatorin die Begrifflichkeiten queer-feministischer Theorien und machen sie für das Publikum verständlich und lebensnah. Das Ergebnis ist eine qualitativ hochwertige, informative und durchaus unterhaltsame Sendung für alle, die noch nicht viel mit der queer-feministischen Raumtheorie anfangen können und sich mit diesem Begriff vertraut machen wollen, gleichzeitig aber auch für Zuhöre*innen, die nach Inspiration und nach den am Anfang angesprochenen «frischen Positionen» auf der Suche sind.
> Mehr zum Thema queere Architektur gibt es im archithese-Heft 2.2020 Queer.
> Übrigens: die kommende Ausgabe der archithese 4.2023 schaut wieder nach Japan – seid gespannt!
> Weitere Informationen sowie eine Hörprobe des Podcasts Stadt.Raum.Frau* unter argon-podcast.de.