Von Grenzen und Heilung
Die Kuratoren des deutschen Beitrags zur 16. Architekturbiennale 2018 in Venedig sprachen mit archithese über ihr Konzept.
Unbuilding Walls, Deutschlands Beitrag zur 16. Architekturbiennale in Venedig, befasst sich mit Grenzen und deren Auswirkungen auf Leben und Raum. Gestaltet wird er von der Politikerin Marianne Birthler (Bündnis90/Die Grünen) und den Inhabern des Berliner Büros Graft: Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit. Das Quartett setzt sich mit verschiedenen architektonischen Interventionen entlang der ehemaligen Grenze zwischen BRD und DDR auseinander. Wie wird die schmerzvolle Erfahrung der Teilung gestalterisch aufgearbeitet? Von dieser Auslegeordnung soll ein Bogen zu anderen existierenden Grenzanlagen weltweit gespannt und die deutsche «Mauererfahrung» so in Bezug zu aktuellen politischen Diskursen gestellt werden.
Interview: Cyrill Schmidiger mit Marianne Birthler / Lars Krückeberg / Wolfram Putz / Thomas Willemeit – 19.3.2018
Sie werden in Venedig an der 16. Architekturbiennale Gestaltungen und Projekte zeigen, die den Raum der ehemaligen innerdeutschen Grenze bespielen. Müssen geschichtliche Traumata durch die «Heilung» von historischen Narben in der gebauten Umwelt überwunden werden? Oder könnte man nicht genau gegenteilig behaupten, dass nur wenn sie als Wunden sichtbarbleiben, sie eine gesellschaftliche Relevanz oder ein Potenzial erhalten?
Lars Krückeberg: Es gab verschiedene Strategien, mit der Wunde im Stadtgefüge umzugehen, welche die Mauer hinterlassen hat. Schon früh lässt sich ein Sinneswandel beobachten. Nach dem initialen «Die Mauer muss weg»-Reflex wurden rasch Teile unter Denkmalschutz gestellt. Doch eine ganze Reihe internationaler Architekten forderte bereits kurz nach der Wiedervereinigung, den Mauerstreifen komplett freizuhalten. Diese Haltung werden wir genauso zeigen wie die Thesen, dass man die Lücke im Sinne einer «kritischen Rekonstruktion» vollständig füllen soll. Der Status quo auf dem Mauerstreifen macht die umfangreiche Heterogenität der gesellschaftlichen Debatten seit dem Mauerfall ersichtlich. Eine Gedenkkultur mit physischen Artefakten trägt hier zum Heilungsprozess bei.
Von der Beschäftigung mit den Überresten der ehemaligen innerdeutschen Grenze geht eine gewisse Faszination aus. Deshalb scheint es zuerst logisch, ihre physischen Überreste zu thematisieren. Sind aber andere Grenzen nicht viel relevanter für den Alltag und auch für die Architektur in Deutschland? Etwa Zonenpläne, verschiedene Steuersätze, Preisniveaus von Grundstücken oder Mieten?
Marianne Birthler: Ja. Die Einheit Deutschlands ist eine Erfolgsgeschichte, aber es gibt auch noch Unterschiede, welche auf die Zeit der Teilung zurückgehen. Manche davon sind räumlich und architektonisch sichtbar, andere sind nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Hinsichtlich der Wirtschaftskraft und des Lohnniveaus gibt es nach wie vor ein relevantes Gefälle. Andere Beispiele finden sich in den Einstellungen der Menschen und in ihrem Wahlverhalten. Auch die Teilhabe Ostdeutscher lässt noch zu wünschen übrig – beispielsweise, wenn es um die Besetzung von Schlüsselfunktionen in Wirtschaft, Medien oder bundesweiten Verbänden geht.
Neben der innerdeutschen Grenze befassen Sie sich auch mit Mauern etwa zwischen den USA und Mexiko oder auf der koreanischen Halbinsel. Wie wird diese Auseinandersetzung aussehen?
Wolfram Putz: Die internationale Perspektive ist ein wichtiger Teil unserer Ausstellung. Heute gibt es auf der Welt mehr Grenzmauern als 1989. In diesem Kontext ist es interessant am deutschen Beispiel zu zeigen, was passiert, wenn eine Mauer zu Fall gebracht wird. Unsere Auseinandersetzung mit internationalen Mauern soll der deutschen Geschichte einen aktuellen Bezug geben. Gegenwärtig bereist ein Journalistenteam für Unbuilding Walls Grenzmauern in aller Welt. In einer Videoinstallation im deutschen Pavillon wird diese Arbeit Menschen zu Wort kommen lassen, deren Leben heute von Grenzmauern bestimmt wird.
Was genau wird im deutschen Pavillon zu sehen sein? Auf welche Präsentationsformen darf sich das Publikum freuen?
Thomas Willemeit: Traditionell wird dazu im Vorfeld nichts Konkretes verraten. Nur soviel: Die Ausstellung muss auf die speziellen Gegebenheiten an der Architekturbiennale reagieren. Die Erwartungen, Aufenthaltsdauer und das Vorwissen der Besucher variieren so stark wie in nur wenig anderen Ausstellungssituationen. Wir möchten mit unserer Installation erreichen, dass sich ein Berliner Architekt mit viel Zeit und Vorwissen und ein Architekturstudent vom anderen Ende der Welt, der am selben Nachmittag noch 25 weitere Länderpavillons auf seinem Programm hat, gleichermassen angesprochen fühlen.
> Erfahren Sie mehr über Österreichs Beitrag zur 16. Architekturbiennale von Venedig.
> Erfahren Sie mehr über den Städtebau in Ostdeutschland.
> Wie entwickelte sich Berlin nach dem Mauerfall architektonisch und städtebaulich?
> Mehr zur Architektur im geteilten Deutschland lesen Sie im archithese-Länderheft von 1984.
Veranstaltung
Neue Blickwinkel
Fotoausstellung vom 5. bis 12. April 2018 im Architekturforum Zürich mit Podiumsdikussion an der Vernissage