Visionen und starke Bilder
Anlässlich des 50. Jahrestages der 1968er-Revolten zeigt das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der ETH Zürich auf dem Hönggerberg eine Ausstellung mit Architekturskizzen und Druckerzeugnissen aus jener Zeit. Dabei beeindrucken vor allem die kreativen Darstellungstechniken aus der vordigitalen Ära.
Text & Fotos: Manuel Pestalozzi – 20.3.2018
Vor einem halben Jahrhundert waren sie radikal und galten als grosser Aufbruch in der Architektur. Nun hängen die architektonischen Zeitdokumente brav – zum Sandwich zwischen Acrylglaspaneelen gebändigt – in der Ausstellung Cloud ’68. Paper Voice. Smiljan Radićs Sammlung Radikaler Architektur von der Decke des Ausstellungssaals im HIL-Komplex auf dem Zürcher Hönggerberg. Zu sehen ist eine Auswahl aus 173 grafischen Arbeiten – Lithografien, Zeichnungen, Radierungen und Ephemera – aus der Privatsammlung des chilenischen Architekten Smiljan Radić, der die Ausstellung zusammen mit Patricio Mardones auch kuratiert hat. Sie will den Bedeutungshorizont der verschiedenen architektonischen Ansätze jener Jahre aufzeigen.
Technik für eine neue Gesellschaft
Dies gelingt eigentlich sehr gut. Wenn es den Gassen entlangwandert, welche die Schautafeln bilden, kann das Publikum die Stimmung und das Gefühl der Befreiung aus jener Zeit förmlich spüren. Die Architekten wollten originell sein, technisch und gesellschaftlich radikal neue Ansätze finden – und sie erlaubten sich auch zu träumen. Auffallend häufig wird eine Realitätsferne ausdrücklich gesucht; die Welt der Science-Fiction taucht – neben Drucken von Giovanni Battista Piranesis «Carceri» – wiederholt auf. Stanley Kubricks «Weltraum-Odyssee» entfaltet seine stilbildende Wirkung ebenso wie die in intellektuelle Sphären überführter Tradition der Comic Strips und Fumetti – dies vor allem bei Archigram oder den Internationalen Situationnisten.
Leichtigkeit
Offenbar konnte oder wollte man damals zur Ernsthaftigkeit des Lebens recht locker auf Distanz gehen. Und wer nicht nur visionierte, sondern baute, konstruierte Luftschlösser – im wörtlichen Sinn. Den aus durchsichtigen Kunststoffmembranen konstruierten pneumatischen Strukturen von Haus-Rucker-Co oder Hans Hollein wird gebührend Raum gewährt. Und trotz der vordergründigen Betonung von Brüchen kommt sowohl die Idee der Architektur als Kontrast als auch der Ergänzung zum Bestehenden und der Respekt gegenüber dem Bestand deutlich zur Geltung.
VisuelleKreati vität
Eine wichtige und instruktive Ebene dieser Ausstellung sind die verschiedenen Darstellungsmethoden. Sie erinnern in Zeiten der Vorherrschaft digitaler Visualisierungsprogramme an die Qualitäten von Darstellungsverfahren, die noch ein «Handwerk» waren. Alleine die collagenartigen, schön eingefärbten Traumbilder des italienischen Teams Superstudio machen einen Besuch der Ausstellung zum lohnenden Erlebnis.
Wortlaute
Wer Geduld und ein gutes Gehör hat, kann sich zudem auf Minibildschirmen Interviews mit Protagonisten von damals zu Gemüte führen. Es handelt sich um 13 Videoaufzeichnungen und Transkriptionen von Interviews, die der Kritiker und Kurator Hans Ulrich Obrist mit den Protagonisten von 1968er-Bewegungen geführt hat. Es sind alles Männer – alte Männer mittlerweile, deren «talking heads» einen kuriosen Kontrast zu ihren ewig frischen und frechen Darstellungen bieten.
Die Ausstellung Cloud ’68. Paper Voice. Smiljan Radićs Sammlung Radikaler Architektur wird vom Mittwoch, dem 14. März bis Freitag, dem 18. Mai 2018 in der ETH Hönggerberg in Zürich gezeigt.
> Jørg Himmelreich schrieb in archithese 3.2014 Neomanie – Langeweile im Essay «Pavillons als Sommerhits» unter anderem über den Serpentine Pavillon von Smiljan Radić.