Anlässlich der archithavolata, die am 26. April im Restaurant Palmhof in Zürich stattfand, referierten Patric Furrer und Odilo Schoch aus zwei verschiedenen Positionen zur Problematik und den Potenzialen von BIM im Entwurfsprozess. Wir lassen die beiden Referenten hier mit ihren Statements in einer verschriftlichen Version noch einmal zu Wort kommen. Damit möchten der fsai als Organisator des Formats archithavolata die Debatte zu BIM anstossen; ein Diskurs, der künftig zwingend auch von den Architekturschaffenden geführt werden muss und nicht alleine den bezahlten Medien überlassen werden darf.
Architektur ist kein Produkt.
Text: Patric Furrer – 24.5.2019
Am Departement Architektur der ZHAW unterrichten und forschen einige renommierte Architekturschaffende. Trotz der enormen Medienpräsenz von BIM konnte bis dato aber niemand entsprechendes Knowhow zu BIM in den praxisorientierten Diskurs und in die Forschung einbringen. Diese Diskrepanz bewegte uns dazu Licht ins Dunkle zu bringen. Während meiner vertieften Recherchen zu diesem Thema konnte ich die Feststellung machen, dass in der «Medienschlacht» zu BIM der Diskurs und die Diskussion im Grund genommen von den «falschen» Leuten geführt wird, nämlich ausschliesslich von der Bauwirtschaft, den Dienstleistern, den Entwicklern, den GUs sowie der Politik. Die Stimme der entwerfenden Architekten und Architektinnen sucht man vergebens. Dies war für mich aber auch ein Hinweis, dass die entsprechenden Erfahrungen mit BIM nach wie vor fehlen. Was hingegen festzustellen ist, ist eine Angstmacherei, welche die Argumentation der Opinionleader prägt, dass nämlich die Schweizer Bauwirtschaft im Prozess der Digitalisierung hinterherhinkt, während diese in anderen Sektoren wie der Uhrenbranche, Baumaschinenindustrie oder Medizinaltechnik schon längst Standard ist. In dieser Debatte vergessen die Meinungsmacher in den Medien aber etwas Zentrales: Architektur ist kein Verbrauchsgut und kann deshalb auch nur bedingt als automatisierten Serienprodukt gedacht und entworfen werden. Weil Architektur durch ihre Bodenhaftung immer einem lokalen Kontext – dem Genius Loci – verpflichtet ist. Aber auch weil die Investitionsgrösse von Architekturen nicht so rasch amortisiert werden kann wie bei anderen Verbrauchsgütern. Genau hier besteht für mich eine Friktion zwischen der BIM-Methode und der hiesigen Baukultur, die richtigerwiese nach einem «individuellen Ganzen» aus Ort, Raum, Konstruktion, Struktur und Material strebt – fernab vom «Serienprodukt». Und es zeigt sich eben auch, dass der Ursprung von BIM in der industriellen Fertigung von Verbrauchsgütern liegt und nicht in der Architektur. Hinzu kommt, dass die hiesige Bauwirtschaft grösstenteils über eine hochstehende Handwerkskultur und von einer eher kleinteiligen Unternehmensstruktur geprägt wird. Gerade durch diese Eigenheiten unterscheidet sie sich von anderen Ländern wie Skandinavien, Amerika oder Deutschland. Jenen Ländern also, die in Bezug auf Digitalisierung – so wird uns immer wieder vorgeführt – schon viel weiter seien. Auf der anderen Seite beneiden aber gerade diese Länder die Schweizer Baukultur. Warum also unbedingt die BIM-Methode forcieren?
Wechselwirkung zwischen Medium und gebauter Architektur
Als vor 30 Jahren CAAD aufkam, fand ein «medialer» Wandel statt – vom Analogen hin zum Digitalen. Die Verbreitung von BIM jedoch, wird von einem «methodischen» Wandel geprägt. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied. Bereits Leon Battista Alberti hat als Humanist und Architekt des 15. Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass Entwurfsmedien die Architektur stark beeinflussen. Medien greifen, so sagt auch Architekturtheoretiker Jörg H. Gleiter, ganz massgeblich in die Konzeption und Konstitution der Dingwelt ein und sind fähig diese von innen aus dem Prozess heraus zu verändern. Entsprechend haben Architekten schon in früheren Jahrhunderten, aus einer entwerferischen Absicht, Darstellungstechniken gewählt, um ihrer Architektursprache pointierter auszudrücken. Entscheidend ist dabei, dass die Wahl des Mediums einer inneren Absicht der Entwerfenden erwächst und diese nicht durch einen technologisch geprägten Wertewandel aufgezwungen wird – wie aktuell bei BIM. Es gibt also ganz klar eine Wechselwirkung zwischen Medium und gebauter Architektur. Vor diesem Hintergrund muss das Aufkommen von BIM kritischer gesehen werden. Denn mit der Anwendung drohen Entwerfende nochmals stärker zu Anwendern von rechenbasierten Computerprogrammen zu werden die eine persönliche Handschrift erschweren. Die Abbildung von Architekturen und die Architektur selbst drohen dabei austauschbar zu werden; vor allem, wenn der Einfachheit halber vorgegebene Standardelemente verwendet werden. Wenn also behauptet wird, BIM könne alles leisten, dann greift diese Technologie noch viel stärker in den Prozess der Architektur ein. Für die Lehre an der ZHAW bedeutet dies nun allerdings nicht, dass nur von Hand gezeichnet werden soll. Im Gegenteil. Vielmehr stellen wir uns die Frage, wie mit digitalen Darstellungstechniken individuelle Ausdrucksformen entwickelt werden können und auch welche Potentiale digitale Darstellungen zur Betrachtung und didaktischen Vermittlung im diskursiven Unterreicht aufweisen. Wir müssen mit BIM Wege finden, damit für die Architektur einen Nutzen entsteht. In diesem Bereich sind wir in der Tat noch nicht weit gekommen. Deshalb muss der Dialog zu BIM verstärkt geführt werden. Und die Architektur muss vermehrt Einfluss nehmen auf Bauwirtschaft und Politik, da BIM für kleine Architekturbüros mit einem enormen Mehraufwand verbunden ist.
Führt BIM zu einer Normarchitektur?
Gerade wegen diesem Mehraufwand besteht die Gefahr, dass nur noch in vorgefertigten Elementen gedacht und entworfen wird. Wenn Studierende auf diese Normelemente zurückgreifen, dann geht das zusammenhängende Denken, das gute Architektur voraussetzt, verloren. Ein weiteres Augenmerk müssen wir zudem dem phasengerechten Entwerfen schenken. Die SIA Norm 2051 wiederholt immer und immer wieder, dass BIM bereits in einem frühen Stadium baurelevante Aussagen machen kann und deshalb bereits in einem frühen Stadium zur Anwendung kommen soll. Doch es macht erst ab Phase Bauprojekt Sinn, wenn das Grundgerüst der Architektur steht, gerade weil BIM kein Entwurfswerkzeug, sondern seine möglichen Vorteile in der Ausführungsphase liegen. Im Endeffekt ist BIM ein Instrument der Investoren, welche das Risiko frühzeitig abschätzen, also minimieren wollen um damit Friktionen in der Ausführungsplanung zu vermeiden. Für die architektonische Qualität ist die Verlagerung entscheidungsrelevanter Momente zum Beginn des Entwurfes wenig fördernd. Lebt gute Architektur doch gerade vom prozesshaften Denken und Handeln. Vor allem aber braucht sie Zeit. Auf der anderen Seite besteht – wenn Wettbewerbseingaben komplett auf BIM reduziert werden und andere Detailinformationen wie Konstruktionsschnitte, Visualisierungen und Fassaden unter dem Deckmantel des Mehraufwandes des BIM Modells nicht mehr eingereicht werden dürfen – keine Verbindlichkeiten mehr; zum Beispiel ob die Architektur als Massiv- oder Leichtbau realisiert wird. Gewählt, so meine Befürchtung, wird am Ende diejenige Bauweise, die am günstigsten ist. Das kann nicht Sinn der Architektur sein. Denn Konstruktion und Ausdruck bedingen sich gegenseitig. Dafür müssen wir uns einsetzten. Das gelingt nur wenn wir uns die Methode BIM aneignen, ihre Stärken und Schwächen kennen und sie zum Selbstzweck – zur Verbesserung der architektonischen Qualität – einzusetzen wissen. Deshalb müssen wir Architektinnen und Architekten uns unbedingt in den Diskurs einklinken.
Architekt Patric Furrer ist Dozent am Institut Konstruktives Entwerfen (IKE) der ZHAW in Lehre und Forschung und führt seit 2010 mit Andreas Jud das Architekturbüro Furrer Jud in Zürich.
BIM und andere Missverständnisse
Text: Odilo Schoch – 24.5.2019
Eine Definition und Beobachtung hilft, das aktuelle Geschehen im Kontext von BIM zu verorten, denn BIM ist in der Tat eine Art Religionssache. Die einen glauben an das 3D-Modell. Dieser Glaube wird aktuell über gesponserte Medien an die Öffentlichkeit und Facwelt gebracht. Im Grund genommen sehen wir BM (Building Modelling), wo es doch im Grunde genommen in der Diskussion um das IM (Information Modelling) gehen sollte. Diese andere Sicht ist datenorientierter und abstrakter, und dadurch eben auch schwerer zugänglich. BIM ist ja ein Teil der Digitalisierung und nicht (nur) ein aktuell über gesponserte Medien verteilte Werbung.
Was wir uns bewusst sein müssen ist, dass wir bereits heute über Daten verfügen. Das neue an diesen Daten ist, dass sie uns unabhängig von Zeit und Ort zur Verfügung stehen. Diese ermöglichen es, Abläufe zu verändern und gegebenenfalls zu vereinfachen. Man erwartet einen Plan nicht mehr nur in der physischen Post, sondern kann das Werk wenige Sekunden nach Abgabe von einer Plattform holen. Und alle mit Plattformzugang haben unmittelbar dieselbe Planversion.
Daten müssen Sinn machen.
Dies kann man auch mit virtuell vorgefertigten Bauteilen machen. Das sind jene von Plattformen herunterladbaren Bibliothekselemente, von denen Patric Furrer spricht, die meistens von Herstellern angeboten werden. Wenn ich allerdings da näher hinschaue, dann bemerke ich in jedem meiner Kurse an der ETH, dass diese praktisch von keinem Berufstätigen oder Studierenden benutzt werden. Das hat nicht nur mit unserer didaktischen Haltung an der ETH zu tun, sondern vor allem damit, dass die Plattform-Anbieter gemäss deren Geschäftsbedingungen nicht für die Korrektheit der Daten haften. Was bringt mir denn nun diese Art von BIM, wenn ich mich nicht auf die Datenqualität verlassen kann? Auf der anderen Seite gibt es BIM-Berater, die für Bauherren 30-seitige Attribute-Katalog erstellen, in die dann Planende die Werte einpflegen müssen. Dies ist nicht zielführend. Deshalb legen wir als den Fokus darauf, dass Daten erstellt werden können, die über den Lebenszyklus hinaus korrekt sind und bleiben. Fokussiert man auf diese Daten, dann bleiben nur noch wenige relevante Daten übrig. So haben wir es beispielsweise geschafft, bei der SBB in konkreten Fällen mit 28 Attributen durchzukommen.
Relevante Projektziele definieren
Wenn man sich länger mit der Thematik beschäftigt, dann merkt man, dass viele Anfänger zunächst 3D als Basis des BIM sehen und es pauschal verteufeln, statt sich mit der Thematik genauer zu beschäftigen. Das konnte ich sowohl als Assistenzprofessor für BIM an der Kunstakademie in Dänemark von 2008 bis 2011 feststellen als auch heute hier in der Schweiz. Eine grundlegende Frage ist beispielsweise: Was ist BIM-fähige Software? Meiner Meinung nach ist Excel die am meisten gebräuchliche BIM-Software. Zudem nutzen alle wahrscheinlich zusätzliche CAD-Software, die BIM-fähig ist. Die Frage ist nur, für welche datengestützten Projektziele diese verschiedenen Softwares genutzt werden? Daten machen nur dann Sinn, wenn sie Mehrwerte für die Leistung und das Projekt bringen. Ein Beispiel ist die Tageslicht-Simulation, die in Skandinavien viel üblicher ist – auch in Wettbewerbsphase. Da wir in der Schweiz tatsächlich bis 30 Prozent höhere Baukosten haben als im Ausland, ist natürlich Fakt. Das Argument hingegen, dass in der Schweiz deshalb auch die Qualität besser ist, ist meines Erachtens ein Mythos. So schlecht ist die architektonische Qualität beispielsweise in Dänemark auch nicht. Es bedarf aber einer lokalen Diskussion und Antwort zu BIM, weil sie als Teil der Digitalisierung kommt. Besonders für die Schweiz und den deutschsprachigen Raum ist sicherlich, dass Architekten und Ingenieure von einander Wissen und in der Schweiz in einer grossen Organisation zusammengefasst sind. In Skandinavien sind Architekten in erster Linie Künstler, die zum Teil noch im 5. Semester nicht wussten, was ein U-Wert ist. In anderen Ländern wird BIM vor allem deshalb angewendet, damit Kunst und Ingenieurswesen miteinander kooperieren. Dies erfordert grosse Anstrengungen beiderseits, zusätzlich zur technischen Herausforderung des BIMmelns.
Mögliche Problematiken
Die technische und methodische Einführung einer datengestützen Methode wie BIM wird für die kleinen Büros schwierig werden, das sich gegebenenfalls eine gute Prüfsoftware samt Schulung nicht rechnet. In Zukunft werden sich vermutlich eher sehr grosse Planungsbüros das BIM leisten können. Die Problematik wird in Zukunft sein, dass es Büros gibt, die mit entsprechenden BIM Tools einen hohen Grad von Automatisierung – auch von guter Architektur – erzielen und entsprechend viel günstiger sind als ihre Mitbewerber. Dies wird zu einer grossen Herausforderung vor allem auch in der Schweiz. Weil BIM einen strukturierteren Prozess bewirkt, sind wir deshalb gefordert, dass wir diesen selbst individualisieren können. Dadurch stellt sich die Frage nach der Prozesskompetenz, die auch ich an der ETH nicht so präzise gelernt habe. Die aber dringend in der Lehre thematisiert werden müsste.
Wie also nun mit BIM umgehen? Es ist besser, sich mit der Thematik verschiedentlich zu beschäftigen – verschiedene Glaubensrichtungen zu evaluieren. BIM ist eine Methodik, die auf Technologie basiert. Wenn Daten gut strukturiert sind, dann können in minutenschnelle Leistungen erbracht werden, für die man bislang Stunden benötigte. Aber es müssen auf jeden Fall Leistungen sein, die Sinn machen und die dann korrekt im Ergebnis sind. Hierfür gibt es eine ganz einfache Strategie, die ich von den KBOB-Empfehlungen [Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren] zu BIM ableite: Es genügt, wenn vier bis fünf Projektziele definiert werden, die mit BIM verfolgt werden sollen. Selten einverstanden bin ich hingegen mit dem BIM-Ziel «3D-modellbasierte Kostenermittlung». Ich bekomme mit 3D-Geometrie-BIM selten mehr als 60 Prozent der Kosten errechnet. Anders ist es beispielsweise beim Tageslicht, wo ich mit BIM x-beliebige Varianten durchspielen kann mit verschiedensten Fragestellungen. Dieses ist aber nicht für die Kostenerrechnung anwendbar.
Mischt Euch in die Diskussion um BIM ein!
Die hier nun verbal genannten Fragmente sollen deutlich machen, warum es mehrere «Religionen» in der Diskussion um BIM gibt. Auf konkreter Ebene empfehle ich deshalb Architekturbüros und vor allem Auftraggebern nur jene BIM-Ziele einfordern, die man auch selbst bearbeiten kann. Generell sollten sich Architektinnen und Architekten sich wissend in die Diskussionen einbringen, statt auf Argumente anderer zu reagieren. Mischt euch ein in die Diskussion und fokussiert auf Daten und nicht auf 3D-Modelle! Warten ist die denkbar ungünstigste Strategie, denn die Architekten dürfen diese Kompetenz nicht aus der Hand geben. In Dänemark oder Finnland wird BIM nicht mehr bestellt. Es wird informiert digital geplant. Und deren BIM-Projektabwicklungsplan umfasst lediglich zwei A4-Seiten – wenn überhaupt. Die dort vorhandene Grundkompetenz in der Projektabwicklung müssen wir uns erst aneignen. Darum ist es wichtig, diesen Prozess auch in der Schweiz als Architekturschaffende mitzugestalten.
Odilo Schoch ist Geschäftsführer Schoch Dienstleistungen für Architektur und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH Zürich, Professur für Architektur und Bauprozess Sacha Menz.