Über Schicksale und Schutzräume
Schwule Architekten. Verschwiegene Biografien
vom 18. bis zum 20. Jahrhundert
Denkt man an Luis Barragáns Architektur, denkt man an schlichte Räume, an aufeinandertreffende Wandscheiben, an präzise Farbkompositionen. Sein Privathaus in Mexico City ist heute als Museum für Jedermann und Jedefrau zu besichtigen. Das war zu Lebzeiten des berühmten Architekten jedoch anders: So wie von etlichen Gestaltern schon vor und auch nach ihm praktiziert, diente das Haus dem Architekten als Schutzraum. Es diente dem Schutz einer Lebensrealität, die zu dieser Zeit noch im Verborgenen bleiben musste.
Text: Nicole Müller, 13. September 2022
Zu Beginn soll gesagt sein, dass die Autorin dieses Textes gewöhnlich die Idee vertritt, die Arbeit einer Architektin oder eines Architekten sollte unabhängig der dahinterstehenden Person betrachtet und verstanden werden. Als Frau wünsche ich mir, dass meine Entwürfe genauso wie meine Texte unabhängig meines Geschlechts nach deren Qualität bewertet werden – dies zumindest wäre der Anspruch in einer perfekten Welt. Wie aber ist das zu bewerten, wenn sich die Umstände der gestaltenden Personen sehr viel prekärer und sich deren Arbeiten beinahe als eine Flucht und als gebaute Parallelwelt neben einer aussichtslosen Realität darstellen?
Versteckte und unterdrückte Realitäten
Noch bis 1969 wandte man in Deutschland unverändert den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches an, der jegliche sexuelle Handlung zwischen Gleichgeschlechtlichen unter Strafe stellte. Eingeführt wurde dieser im Jahr 1871, unter dem Nazi-Regime hat man ihn weiter verschärft. Während in den Vereinigten Staaten als Folge des Vorfalls in der Christopher Street in New York vom 27. auf den 28. Juni 1969 eine Welle der Solidarität und ein liberalerer Umgang mit Homo- und Transsexuellen einsetze, kam es in Deutschland erst im Jahr 1994 zu einer endgültigen Abschaffung des Paragraphen. Etliche Leben wurden abseits der Öffentlichkeit im Versteckten geführt oder sogar weitestgehend unterdrückt, etliche Karrieren waren durch die sexuelle Orientierung stets gefährdet. Da Architekturproduktion immer auch ein Ausdruck und ein Umgang mit der eigenen Wirklichkeit ist, liegt es nahe, dass in dieser Zeit des Verbots eine Vielzahl an Architekturen entstanden ist, die rückblickend als eine Art Schutzraum verstanden werden können. Die Frage ist also: Wenn aus dem Umgang mit einer unsicheren oder gar feindseligen Wirklichkeit bald schon ein eigener Architekturtyp hervorgegangen ist, lohnt sich in diesem Fall der Blick auf die Biografie der dahinterstehenden Architekt*innen? Wolfgang Voigt und Uwe Bresan meinen ja – und veröffentlichten im Juni ihr gemeinsames Buch Schwule Architekten. Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.
Schaut man mit solchem Blick auf das eingangs erwähnte Privathaus Barragáns, so werden die Wandscheiben schnell zu schützenden Mauern, Trennwände bilden sich heraus, die Blickbeziehungen unterbinden und dekorativ spiegelnde Kugeln können als Kontrollobjekte umgedeutet werden. «Das Haus kann als penibel gestaltete Zuflucht eines streng katholischen und zugleich homosexuellen Architekten entziffert werden, der panisch bemüht war, Einblicke in seine Privatsphäre zu unterbinden»1, schreibt dazu Wolfgang Voigt. Wie unterschiedlich solche Schutzräume im Zeitverlauf aussehen können, zeigen die beiden Autoren in ihrem Buch in chronologischer Reihenfolge und blicken dabei auf die verwunschenen, burgartigen Besitztümer britischer Adliger im 18. Jahrhundert genauso wie auf die amerikanischen Sommerresidenzen, die auf Fire Island entstanden, dem berühmt-berüchtigten Treffpunkt der homosexuellen Szene Ende des 20. Jahrhunderts. Deutsche Architekten finden sich in dem Buch ebenso wie britische oder amerikanische, unbekannte ebenso wie berühmte. Auch eine lesbische und eine transsexuelle Architektin haben ihren Weg ins Buch gefunden.
Beeindruckend ist dabei stets die Kreativität abseits des Heteronormativen, mit der sich die Protagonisten aus der feindlichen, spröden Realität zu befreien suchten. Dabei bewiesen sie einen Mut, den man in der gegenwärtigen Architekturproduktion vielerorts vermisst. So können die in dem Buch versammelten Biografien auch als ein Aufruf zu einer mutigeren Architekturproduktion verstanden werden. In dem Zusammenhang dienen nicht nur die Biografien als wichtige role models für einen transparenteren und selbstbewussteren Umgang mit Homosexualität innerhalb der Architektursphäre, sondern auch die Architekturen können als Vorbilder mutiger, heteronormativer Bauten gelten.
Das Coming-Out der Architektur
Wo die grafische Umsetzung des zweisprachigen Buchs noch Luft nach oben lässt, legt Uwe Bresan mit der Ausstellung Das Coming-Out der Architektur nach, zu sehen im BDA Wechselraum in Stuttgart. Gestaltet vom Stuttgarter Label Technobeton, bildet die Ausstellung einen provokativen und erfrischenden Gegenpol zu dem streng gegliederten Buch. Gezeigt werden Beiträge des anonymen Kollektivs The Queer Architect, das auf Instagram mit spielerischen und satirischen Collagen die Architekturgeschichte auf den Kopf stellt. In originaler Smartphonegrösse wurden die Beiträge auf Styrodur-Architekturen gepinnt. Überzogen mit roter Farbe, die einerseits an Blut, andererseits an Latex erinnert und mit Metallringen, Ketten und Schlössern versehen, verorten die Architekturen die Lebenswelt der schwulen und transsexuellen Architekt*innen in das Spannungsfeld zwischen spielerischer Erotik und einer in Fesseln liegenden Lebenswirklichkeit.
1 Wolfgang Voigt, Uwe Bresan (Hg.), Schwule Architekten. Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Berlin 2022, S. 272.
Die Ausstellung ist noch bis zum 26. September im BDA Wechselraum in Stuttgart jeweils Dienstag bis Freitag von 15 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Im Zuge der Finissage stellen Uwe Bresan und Wolfgang Voigt am 26. September ab 19 Uhr ihr gemeinsames Buch vor.