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Turner Prize 2015 für Assemble

Partizipatives Engagement im Problemviertel Granby Four Street

 

Text: Elias Baumgarten – 9.12.2015
Fotos: Assemble & Ben Quinton

 

Wie können die Bewohner aktiv an der Entwicklung Ihres Quartiers beteiligt werden? Die «zehn Bürgerleitlinien für Berlin Mitte» und der preisgekrönte Saunaturm der Architektenkooperative raumlabor – beide unlängst hier kommentiert – haben gezeigt, dass das Thema Partizipation derzeit viele Künstler und Architekten sehr beschäftigt und bereits angedeutet, dass unterschiedliche Wege der Beteiligung gefunden werden können. Das Wort «Partizipation» kann divergierende Bedeutungen zugewiesen bekommen.

Jetzt wurde das Architekten- und Designerkollektiv Assemble aus London mit dem renommierten Turner Prize ausgezeichnet, was erneut deutlich macht, welch grossen Stellenwert der Thematik im aktuellen Diskurs beigemessen wird. Die 16-köpfige Gruppe wurde für ihr Engagement in Granby Four Street ausgezeichnet, einem jahrzehntelang als Problemfall abgestempelten und schon zum Abriss vorgesehenen Viertel in Liverpool. Die lokale Bevölkerung, von der Politik zum Wegzug gedrängt, kämpfte dort aber hartnäckig um ihr Zuhause, renovierten auf eigene Faust, pflegten und begrünten die Strassen, kümmerten sich um leerstehende Gebäude, gründeten die Community Land Trust und lies sich nicht leichter Hand vertreiben. Assemble griff zusammen mit Steinbeck Studios diesen einzigartigen und eigeninitiativen Einsatz auf und übersetzte die geleistete Arbeit in ein Sanierungs- und Modernisierungsprojekt für die bestehenden Gebäude und öffentlichen Räume. In der Folge glückte es, kommunale Wohnungsbaugesellschaften und eine Genossenschaft zur Beteiligung zu bewegen. Assemble wird also für eine Herangehensweise ausgezeichnet, die sich von jener der vorgestellten Projekte in Berlin und Göteborg insofern unterscheidet, als dass kein kollektives Projekt durch die Planer initiiert, sondern vielmehr ein bestehendes aufgegriffen wurde – partizipative Architektur kann also unterschiedlich gedacht werden. Wie auf german-architects.com zu lesen ist, ging es Assemble nicht so sehr um die Produktion von Artefakten oder die eigene Performance, sondern darum, ein Katalysator sozialer Interaktion zu sein. Und für die Jury war das Projekt schlicht das Gegenteil privatwirtschaftlicher Gentrifizierung. Somit bleibt zu diskutieren, welcher Zugang, welches Konzept von Partizipation eher den zugrundeliegenden Intentionen dienlich ist. Und angesichts des Juryurteils bleibt ausserdem kritisch zu hinterfragen, ob sich das Viertel, gerade nach der jetzigen öffentlichen Anerkennung, dauerhaft Getrifizierungsmechanismen wird erwehren können?

Assemble hat die Preisverleihung in der Kunsthalle Tramway in Glasgow dazu genutzt, Einrichtungsgegenstände zu präsentieren – Keramiken, Hocker oder Türgriffe beispielsweise – die zusammen mit Bewohnern von Granby Four Street beziehungsweise mit der Community Land Trust entworfen wurden. Diese Ausstellung wird noch bis zum 17. Januar zu sehen sein.

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