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Gelungener Wahlkampf: Die Mehrheit der Berliner stimmte nach langwieriger Öffentlichkeitsarbeit für die Vergesellschaftung.

Traum erreicht?

Der Volksentscheid «Deutsche Wohnen & Co enteignen» wurde angenommen – doch zerfällt die Bewegung am eigenen Erfolg?

 

An diesem Sonntag den 26. September wurde nicht nur die Ehe für alle in der Schweiz angenommen, der Deutsche Bundestag, die Berliner Stadtregierung und das Regionalparlament in Mecklenburg-Vorpommern gewählt – in Berlin wurde auch über den Volksentscheid der gleichnamigen Initiative «Deutsche Wohnen & Co enteignen» abgestimmt. Bis in die späten Abendstunden liess ein Ergebnis auf sich warten. Mit 56,4 Prozent Zustimmung ist die Sensation nun perfekt: der Volksentscheid ist angenommen.

 

Text: Martin Kohlberger – 27.9.2021

 


Es ist nicht üblich, dass ein Thema, welches auch massgebend die Architekturwelt beschäftigt, Gegenstand von Abstimmung ist und angenommen wird, noch seltener ausserhalb der Schweiz. Bereits im Juli hat archithese ausführlich über den Volksentscheid in Berlin berichtet, am gestrigen Sonntag kam es nun zur Abstimmung. Dabei ist die Wohnungsfrage eine der wohl grössten sozialen Fragen europäischer beziehungsweise weltweiter Grossstädte. Dass die Preise für Wohnraum lange ungebremst steigen konnten, sollte nicht nur die Politik zum Handeln bewegen, sondern auch der Architektur die politische Schlagkraft des eigenen Betätigungsfelds vor Augen führen. Ist der Anstieg der Wohnungs- und Mietpreise eine allgemeine und länderübergreifende Tendenz, schossen diese in Berlin in den letzten fünf Jahren laut einer Studie von Immowelt sogar um 42 Prozent nach oben. Bereits im Jahr 2018 gaben durchschnittliche Berliner Mieter*innen 46 Prozent des Haushaltseinkommens für die Miete aus, mancherorts sogar bis zu 70 Prozent. Eine Teuerungsrate, die den Wunsch nach Veränderung am Wohnungsmarkt nachvollziehbar macht. So haben über die letzten Jahre hinweg unterschiedliche Akteur*innen versucht in den unkontrollierten Wohnungsmarkt der deutschen Hauptstadt einzugreifen. Auch die Architektur brachte immer wieder Initiativen ein, doch eine wirklich breite, einheitliche Bewegung blieb aus – dafür scheint die Stadtbevölkerung schon selbst aktiv werden zu müssen. 

Vergebliche Versuche
Nach einer Unzahl an Privatisierungen und unaufhörlich steigender Mieten unternahm die Koalition von SPD und CDU mit der 2015 bundesweit eingeführten Mietpreisbremse einen ersten Versuch, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Damit verlangsamte sich zwar die Preissteigerung, gestoppt werden konnte sie jedoch nicht. Zusätzlich wurde eine Welle nicht notwendiger Renovierungen ausgelöst – Vermieter*innen erhofften sich, mit den diesbezüglichen Ausnahmeregelungen weitere Preiserhöhungen durchsetzen zu können. Als Reaktion darauf deckelte die Rot-Rot-Grüne Berliner Stadtregierung im Januar 2020 mit dem Mietendeckel rückwirkend bis Juni 2019 die Preise eines Fünftels aller Berliner Mietwohnungen. Als der Deckel im März vom Bundesverfassungsgericht inklusive miteinhergehender Nachzahlungsforderungen an betroffene Mieter*innen aufgehoben wurde, war die Initiative «Deutsche Wohnen & Co enteignen» umso überzeugter, ihr Volksbegehren bis zum Volksentscheid zu bringen. Ziel war es 240.000 Wohnungen und Grundstücke, all jener Immobilienkonzerne die mehr als 3000 Wohnungen in Berlin besitzen, zu vergesellschaften. Darunter auch Unternehmen wie der bundesweit grösste Immobilieneigner Vonovia und der Berliner Immobilienriese Deutsche Wohnen – die Fusions-Ambitionen beider Konzerne bestehen auch nach dem geplatzten Anlauf im August. Allein in Berlin besitzen die beiden Unternehmen gemeinsam 155.000 Wohnungen. Vonseiten der zur Enteignung aufrufenden Bürger*inneninitiative hiess es «Deutsche Wohnen & Co sind hauptverantwortlich für den Mietenwahnsinn». Das folglich erklärte Ziel war es, in den betroffenen Wohnungen einen auch für Geringverdienende leistbaren Mietpreis von 4,04 Euro pro Quadratmeter (zwei Monate zuvor sprach man noch von 3,70 Euro) zu erreichen. Das entspräche einer Entlastung von fast 70 Prozent, nach einer Statistik des Onlineportals Immowelt beträgt der aktuell durchschnittliche Mietpreis in Berlin rund elf Euro pro Quadratmeter.

Privatisiert und ausverkauft
Die hohen Kosten für den Berliner Wohnraum kommen nicht von ungefähr. Infolge der neoliberalen Wende und nach der Wiedervereinigung Berlins wurden in den 1990er Jahren zunehmend städtische Liegenschaften, vor allem im ehemaligen Ostberlin, verkauft, um damit Kreditschulden zu tilgen und Geld in die Kassen zu spülen. Neben Wohnungen wurden von Stadt und Bund auch Infrastrukturbauten wie Bahnlinien, Wasserkraftwerke und Flughäfen veräussert. In diesem Zusammenhang fielen innerhalb der letzten 30 Jahre 210.000 Wohnungen in die Hände von Immobilienunternehmen. Während der damalige Verkaufspreis noch 500 Euro pro Quadratmeter betrug, stieg der Marktwert infolge von Bodenpreissteigerungen bis heute auf das Zehnfache. Im selben Zeitraum verdreifachten sich die Mieten, so die Initiative «Deutsche Wohnen & Co enteignen». Das macht den Berliner Wohnungsmarkt zu einem idealen Feld für Spekulation, denn ständig steigende Nachfrage und nur bedingt wachsendes Angebot ebnen den Weg für eine auch in Zukunft stetig wachsende hypothetische Gewinnerwartung an einem wenig regulierten Markt. Dieser leistungslosen Wertsteigerung könnte nun Einhalt geboten werden.

Voraussehbare Schwierigkeiten
Doch bereits im Vorfeld des Votums erklärten neben der voraussehbaren Ablehnung von CDU, FDP und AFD auch die Spitzen von SPD und Grünen gegen den Volksentscheid zu stimmen. Die Berliner SPD-Kandidatin Franziska Giffey bezeichnete Enteignung sogar als rote Linie für Koalitionsverhandlungen. Dass es also zu einer tatsächlichen Vergesellschaftung kommt (juristisch korrekt wird ausser im Titel des Volksentscheids nicht von Enteignung gesprochen), ist alles andere als sicher – ja wirkt mit einer Stimmmehrheit der SPD (21,4 Prozent; Stand 27. September, 8 Uhr) unter der Führung Giffeys sogar weiterhin als unwahrscheinlich. Schliesslich sind Volksentscheide in Deutschland politisch nicht bindend und haben dadurch meist eine rein symbolische Wirkung. Doch auch falls sich die Politik für die Umsetzung entscheidet, wird die Möglichkeit der Vergesellschaftung zuerst Gegenstand der Gerichte sein müssen. Denn es gibt zwar einen entsprechenden, noch nie zur Anwendung gekommenen, Artikel im deutschen Grundgesetz, doch wäre dieser in dem Fall möglicherweise nicht ausschliesslich auf die Immobilienriesen anwendbar. Schon bei dem Mietendeckel war ein rechtlicher Sonderweg für Genossenschaften nicht möglich. Ob sich eine mögliche Enteignung dieser umgehen lässt, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass der Weg bis zur Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne, selbst wenn der politische Wille vorhanden ist, ein komplizierter sein wird.
Bereits im Vorfeld erklärten sich Deutsche Wohnen und Vonovia mit Zugeständnissen einverstanden, wohl um dem Volksentscheid und der sich gegen die Konzerne richtenden politischen Stimmung in Berlin sprichwörtlich den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie verkauften bereits im Vorfeld rund 14.000 Wohnungen an die Stadt und versprachen die Mietpreise in den nächsten drei Jahren um jährlich maximal ein Prozent zu erhöhen. Eine verstärkte Lobbyarbeit der Unternehmen nach diesem Volksentscheid ist absehbar.

Viel zu verlieren
Nichtsdestotrotz ist das spektakuläre Ergebnis des Volksentscheids ein Beleg, wie brennend das Problem für einen Grossteil der Berliner Mieter*innen bereits ist. Selten gab es in Deutschland eine derart personenstarke Bewegung für eine links-motivierte Abstimmung. Doch auch nach der Annahme des Entscheids könnte die Initiative im Sand verlaufen, sollten der Abstimmung keine Taten folgen. Sollte die Initiative «Deutsche Wohnen & Co enteignen» den Abstimmungsgegenstand gegen die Barrieren der Politik nicht durchsetzen können, könnte diese das lang aufgebaute Vertrauen der Bevölkerung verlieren. Freilich steigt nun die Chance, für Berlin einige Reformen auf dem Wohnungsmarkt durchzusetzen. Doch solange lediglich Symptombekämpfung betrieben wird, kann auch dann das Problem schnell wieder drückend werden.

Endlich selbst bauen
Eine langfristige Lösung des Problems wird nur mit neuem, stadteigenem oder zumindest spekulationsentzogenem Wohnungsbau möglich sein. Solange nicht auch die Stadtpolitik mit eigenem Wohnungsbau aktiv wird, oder Grundstücke erwirbt um diese in Baurecht günstig an Genossenschaften zu vergeben, wird sich am Berliner Wohnungsmarkt nur wenig ändern. Nirgendwo sonst in Europa haben Immobilienunternehmer so viel Geld in Wohnungsdeals investiert wie in Berlin. So geht bereits jetzt die Deutsche Bank in einer Studie davon aus, dass sich Berlin – sofern keine Eingriffe seitens der Politik folgen – zu einer der teuersten europäischen Metropolen entwickeln wird. Steigenden Mieten folgen steigende Kaufpreise und umgekehrt.

Die nächsten Monate werden zeigen, was auf das gestrige «Ja» folgen wird. Ob die Bewegung in Erklärungsnot gerät und schlimmstenfalls an ihrem eigenen Erfolg zerbricht oder wichtige Änderungen bewirken kann. Auch für die Architektur kann der Entscheid nur als Weckruf dienen, denn längst ist es Zeit, dass das Berufsfeld der Planer*innen die Probleme am Wohnungsmarkt ernst nimmt und geschlossen für eine Regulierung des Markts und stadteigenen Wohnungsbau kämpft. Wer auf das Ergebnis des Berliner Volksentscheids schaut, weiss sich sicher in der Unterstützung der Bevölkerung.

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> archithese widmete mit 4.2014 Empire State of Real Estate eine ganze Ausgabe der Diskussion um den Immobilienmarkt.

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