Werke und Kritiker
Studium 1976–78
Text: Miroslav Šik
erschienen in: archithese 1.1982, Auseinandersetzung mit Architektur in der Schweiz, S. 17–19.
Bei der Auseinandersetzung mit Architektur geht es nicht nur um Werke, gebaute und nicht gebaute Entwürfe, es geht auch um Fragen, die an sie gestellt werden, um Arten, sie zu befragen und zu verstehen. Die folgenden Seiten sollen beide Aspekte beleuchten. Dafür haben wir eine Anzahl Architekturkritiker bzw. Architekten, die sich kritisch mit Architektur beschäftigen, gebeten, auf zwei Seiten ein neueres Werk zu besprechen, das nach ihrer Auffassung einen wichtigen Beitrag zu dieser Auseinandersetzung darstellt.
Der Sinn dieser Beispiele ist also ein doppelter: einerseits sollen derartige Werke vorgestellt werden im Hinblick auf die architektonischen Fragen, die ihnen zugrunde liegen, andererseits sollen Architekturkritiker ihre Fragestellungen – und damit auch sich – vorstellen. Von der Idee, ihnen eine Liste von Werken vorzuschlagen, sind wir wieder abgekommen, weil die Beispiele ihre Wahl sein sollen, nicht unsere. Aber wir sind uns klar: dass wir gerade sie um einen Beitrag gebeten haben, stellt ebenso eine Wahl dar.
Das Universum der möglichem Formen, aus welchem die einzelnen Entwürfe schöpften, war eng definiert. Die Grenzen wurden von unseren gemeinsamen Vorlieben gezogen. Das Gefallen an bestimmten Lösungen drückte man im allerersten Moment mit der Formel «'s schnuret» aus. Die evozierten Bilder waren im einzelnen sehr verschieden, doch alle siedelten sie sich ausserhalb der Sphäre der modernen Rastergrundrisse und spiegelnden Curtain Wall-Fassaden an.
Im gewissen Sinne haben wir nichts Neues erfunden, sondern lediglich Vorbilder nachgeahmt, welche uns faszinierten. In den Entwürfen tauchten also die letzten 30 Jahre nicht mehr auf, dafür die frühindustriellen Bauten, die Moderne der 20er und 30er Jahre, insbesonders im rationalistischen Gewand Italiens, der Revolutionsklassizismus.
Historische Entwicklungsstudien waren immer ein Teil des Entwerfens. Man suchte und fand das regional und historisch Typische und verwendete die gewonnenen Erkenntnisse. Angestrebt wurde jene rationale Verbindlichkeit und Objektivität, welche die Entwürfe von der gesichtslosen Zufälligkeit der Nachkriegszeit abheben sollten.
Nicht alle Bilder wurden der Architekturgeschichte entlehnt. Wir versuchten im Gegenteil, in den Entwürfen eine bestimmte Atmosphäre einzufangen, eine Stimmungsszenerie zu schaffen, wie sie ein Film oder eine Fotografie zu vermitteln vermögen. Und es waren bezeichnenderweise Fellini's Figuren, die in unseren Arkaden spazierten und nicht Heinrich Gretler oder Gilberte de Courgenay.
Die einzelnen Bilder des Entwurfes wurden in Collagen zusammengesetzt. Damit die Teile nicht ineinanderfliessen, wurden die Zäsuren deutlich formuliert.
Ausserhalb unserer Gruppe galten die Entwürfe als Häresie und Verstoss gegen den modernen Anstand. Was für uns Rationalismus und Typologie war, wurde andernorts als Typolüge und Unmenschlichkeit verschrien. Aber gerade diese Verketzerung veredelte die Auseinandersetzung zum «kulturellen Streit».
Vor der Langeweile des architektonischen Alltages und den Zwängen der Bauproduktion flüchteten wir auf das Papier. Die Undurchsetzbarkeit unserer Bilder zwang zur Flucht nach vorne. Wir suchten bewusst die demonstrative Abkehr vom Machbaren.
Unterdessen ist in der Architektur einiges in Bewegung geraten. Was sich im Studium abgespielt hat, entpuppte sich als kleiner Partikel einer Auseinandersetzung, welche eine lange Geschichte hat und an vielen Orten ausgetragen wurde. Das Avantgardebewusstsein hat sich verflüchtigt. Neue Bilder finden Zugang ins ehemals enge Universum. Das einstige Gefallen am Lapidaren wird durch die postmodernen Banalitäten desavouiert. Andere, raffiniertere Lösungen werden gesucht. Vieles hat sich verbraucht, ohne dass es gebaut wurde.
Entwurf für Schule in Solothurn
Architekt: Edi Imhof, stud. Arch. ETH
Das Projekt für eine Schule in Solothurn ist 1977/78 im Kurs Aldo Rossi an der ETH Zürich entstanden. Die Form der Projektbeschreibung wiederspiegelt einen bestimmten Entwurfsansatz, dessen Grundlage die Arbeit mit Bildern ist. Die Darstellung einiger Bilder als mögliche Referenzen vermittelt eine Sicht jener Architektur, auf welche das Projekt anspielt.
Papierwerd, Zürich, 1904
Das Verhältnis vieler Schweizer Städte zum Wasser fand ihren Ausdruck in einer Architektur, wie sie seit dem Mittelalter bis in die 50er Jahre den Zürcher Limmatraum geprägt hat. Die Gruppe der alten Mühlebauten steht parallel zur Flussrichtung über dem Wasser und wird im Gegensatz zu den Wehrtürmen durch enge Pfählungen fundiert, welche dem Wasser freien Durchfluss gewähren. Durch leichte Stege sind die Gebäude mit dem Ufer verbunden. Im 19. Jahrhundert werden die geschlossenen Badeanstalten, einfachste Holzkonstruktionen, sowie Boote an Brücken und Quaimauern angedockt.
Aldo Rossi: La casa dello studente, Trieste, 1977
Der Entwurf stellt eine Interpretation des Kammgrundrisses dar. Wie der Hof, bewies der Kammtyp im Lauf der Geschichte eine fast unbegrenzte Universalität. Er vermag komplizierte funktionelle Anforderungen zu organisieren und passt sich den unterschiedlichen Terrains an. Seine formalen Bestandteile lassen sich in Analogie zu biologischen Organismen verstehen.
Im Unterschied zu den meistens als Massivbauten ausgeführten historischen Beispielen nimmt dieser Entwurf aber Bezug auf die Skelettarchitekturen der Pavillons und Baracken.
Palace Peer, Brighton, 1891-99
Die schlanke hohe Eisenkonstruktion des 19. Jahrhunderts trägt eine hölzerne Plattform, welche weit über dem Wasser auskragt. Die darüber errichteten Bauten der einzelnen Vergnügungsstätten sind in den leichten Materialien ausgeführt, die auch im Schiffsbau Anwendung fanden: Holz, Blech und Glas sind an die Eisenskelette angeschlagen. Farben und Verzierungen erinnern an die Atmosphäre von Zirkussen und Jahrmärkten. Offene Gänge und Stege verbinden die Bauten und die freien Decks, welche lediglich durch Windverglasungen vor dem Wetter geschützt sind.
Merian: Vedute von Solothurn
Landhäuser wie Uferbefestigungen sind Teile jener Uferbebauung, welche in vielen Städten durch den Quai verdrängt worden sind. Die Mauern dieser Anlagen ragen mit ihrem Sockel direkt ins Wasser und dienen einerseits der Sicherung der Ufer, andererseits dem Zugang der Stadt zum Wasser an den Landungsstellen und Brückenköpfen. Die Mauern prägen nur noch an wenigen Stellen das Bild der städtischen Flüsse. Wachtürme und Wehrgänge sind zu Spazierwegen und Aussichtspunkten geworden.
Giuseppe Vaccaro: Colonia marina, cesenatico, 1938
Der italienische Rationalismus war insbesonders in den Dreissiger Jahren um eine eigenständige italienische Ausformung der modernen Architektur bemüht. Darunter verstand man sowohl einen Rückgriff auf die niedere Architektur des Mittelmeerraumes als auch die Kombination moderner Architektur mit klassizistischem Vokabular. In verschiedenen Entwürfen findet man daher «maisons sur pilotis» neben klassizistischen Säulenkolonnaden vor. Die Perspektivzeichnungen mit den weissen niedrigen Kuben, welche wie aus Kreide geschnitten erscheinen, vermitteln die Mittagshitze Italiens. Alle Objekte werfen dunkle, scharfkantige Schatten. Die Plätze sind derart überdimensioniert, dass sie fast am Horizont verschwinden. Selten taucht das Grün in einer andern Form auf als in Pinienachsen.
P.L. Bruyère: Entwurf eines Spitals, 1804
Eine hohe Mauer umfasst eine einfache geometrische Fläche, innerhalb derer einzelne Bauten pavillonartig nach teils formalarchitektonischen, teils funktionellen Anforderungen angeordnet werden. Diese Lösung lässt sich bis zu den Anordnungen römischer Militärlager zurückverfolgen. In späterer Zeit wurde die Mauer zum Teil durch Zäune ersetzt.
>Ursprünglich erschienen in archithese 1.1982 Auseinandersetzung mit Architektur in der Schweiz.