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Sowjetische Papierarchitektur

In der Tchoban Foundation Berlin sind Papierarchitekturen aus der ehemaligen UdSSR zu sehen: Die Ausstellung Zentrifugale Tendenzen. Tallinn – Moskau – Nowosibirsk erzählt von baukulturellen Visionen unter der Ära Breschnew.

 

Text: Cyrill Schmidiger – 18.10.2017

 

Medium für Utopien und Fantasien
1917 rumorte es gewaltig im Zarenreich: Die Oktoberrevolution liess die Romanow-Dynastie in sich zusammenbrechen und setzte gleichzeitig neue Energie frei für politische, gesellschaftliche und kulturelle Ideen. Davon erzählen auch die Kunstwerke von Protagonisten wie Konstantin Melnikow, Wladimir Tatlin, Alexander Rodtschenko oder El Lissitzky. Mit der Diktatur Stalins erlosch allerdings die revolutionäre Aufbruchsstimmung, doch die Kraft der russischen Avantgarde blieb ungebrochen und inspirierte spätere Generationen. So etwa die Studierenden der 1970er- und 80er-Jahre, insbesondere an der Moskauer Hochschule für Architektur MARCHI. Sie nutzten das Medium der Architekturzeichnung, um über Themen wie Umweltveränderung, Autorität oder Technologie zu reflektieren.

 

Gezeichneter Zeitgeist
Entstanden aus Protest gegen die korrupte und starre Staatsarchitektur der Breschnew-Ära (1964–1985), breitete sich die Papierarchitektur schnell als Zufluchtsort für neue Ideen, Methoden und Denkansätze. Dadurch war sie als nonkonformistische Kulturform auch massgeblich am Zusammenbruch des totalitären Systems beteiligt. Die in der Tchoban Foundation ausgestellten Arbeiten veranschaulichen das ganze Spektrum der sowjetischen Papierarchitektur. Entdecken lassen sich etwa die eher melancholischen Radierungen von Alexander Brodsky, die fantasievollen Werke von Juri Awwakumow und Ewgeni Pestow oder die grafisch prägnanten Blätter von Leonhard Lapin.

 

Den Faden weiterspinnen
Mit der aktuellen Schau setzt die Tchoban Foundation ihre Ausstellungsreihe fort, in der sie gesellschaftskritische und revolutionäre Denkansätze in der modernen Architektur diskutiert. Schon mit Gezeichnete Welten. Alvin Boyarsky und die Architectural Association hat das Museum für Architekturzeichnung im Sommer spannende Arbeiten aus den 1980er-Jahren ans Tageslicht geholt: Werke von Frank Gehry, Zaha Hadid, Daniel Libeskind, Rem Koolhaas oder Bernard Tschumi veranschaulichten die Suche nach frischen Impulsen für eine neue architektonische Sprache vor dem Aufkommen digitaler Programme. Dies passierte ganz im Sinne des Leiters der Londoner Architectural Association: Boyarsky betrachtete die Architekturzeichnung als besonders geeignet, um imaginäre Welten aufzuspannen und gesellschaftspolitische Diskurse oder Utopien zu visualisieren.

 

Die Ausstellung Zentrifugale Tendenzen. Tallin – Moskau – Nowosibirsk läuft bis zum 18. Februar 2018 in der Tchoban Foundation an der Christinenstraße 18a in Berlin.

 

> In archithese 5.2010 Russland lesen Sie nicht nur ein Interview mit Sergej Tchoban, dem Gründer des Museums für Architekturzeichnung, sondern erfahren auch mehr über die Entwicklung der russischen Architektur nach der Wende von 1991.

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