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Sowjet-Kitsch oder Ironie?

Russland scheint auf der 15. Architekturbiennale in Venedig seine Vergangenheit zu zelebrieren und fragt nach Strategien zur Revitalisierung des Ausstellungsgeländes Vystavka Dostizheriy Narodnogo Khozyaystva (VDNKh) nahe Moskau, auf dem sich die Sowjetunion einst ins rechte Licht rückte – wobei offen bleibt, ob es sich um Glorifizierung oder doch um Ironie handelt. 

 

Autorin: Anna Valentiny – 9.6.2016
Fotos: Jørg Himmelreich & Anna Valentiny

Im Zuge der 14. Architekturbiennale in Venedig vor zwei Jahren antwortete das Strelka Institut mit der voll Ironie inszenierten Fachmesse «Fair Enough» und der Vermarktung russischer «Bautradition» auf das von Rem Koolhaas ausgegebene Thema «Fundamentals». Der russische Beitrag zur 15. Architekturbiennale knüpft an diese Vorgehensweise an und konterkariert das Metathema «Reporting From the Front»: Die Schau dreht sich um die Revitalisierung des sowjetischen Ausstellungsgeländes VDNKh.

Vom Propagandazentrum zum Freitzeitpark
Grosse Ausstellungen haben in Russland als Propagandainstrument und Medium der Selbstdarstellung und Leistungsschau eine lange Tradition. Die Präsentationen auf dem 1939 als All-Union Agricultural Exhibition eröffnete Ausstellungsgelände VDNKh folgten einem zweiteiligen Konzept: Einerseits wurden die Eigenheiten der sowjetischen Teilrepubiken betont und andererseits die Stärke und Überlegenheit des stalinistischen Regimes gepriesen. Im Laufe der 1950er-Jahre wurde das Gelände auf Exhibition of Achievements of the National Economy umgetauft und erhielt 1992 wiederum den Titel Allrussisches Ausstellungszentrum.

Dieses Jahr schliesslich stellt das Team um Kurator Sergey Kuznetsov im Zuge der 15. Architektubiennale in Venedig die Frage, wie aus dem heute als «Freizeitpark mit kultureller Mission» genutzten 2 375 000 Quadratmeter grossen Gelände an der Moskauer Peripherie wieder ein attraktiver Treffpunkt werden könnte?
Zur Pavillon Gestaltung lud Kommissar Semyon Mikhailovsky Forscher, Bildhauer, Graphiker, Studenten des Moscow Architecture Institute und der Russian Academy of Arts ein, den Russischen Pavillon zu bespielen: Sie entwickelten daraufhin fünf Stationen als multimediale Erkundungsreise durch die Vergangenheit des VDNKh-Areals.

 

In fünf Stationen zur Zukunftsvision
Der Parcours startet mit einer von Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitschs Musik untermalten filmischen Reise durch die Geschichte des Areals - nächst on site wiederentdecktem, bronzebemaltem Holzrelief, das Volk und Lenin Porträt auf geschwungener Fahne zeigt.
Im zweiten Raum, der an eine Krypta erinnert, erwarten den Besucher Nachbildungen von Artefakten des sozialistischen Realismus; darunter auch eine verkleinerte Ausgabe von Vera Mukhinas Statue Arbeiter und Kolchosbäuerin, die auf der Pariser Weltausstellung von 1937 dem Beitrag des Dritten Reichs Hammer und Sichel entgegenhielt und später auf dem VDNKh gezeigt wurde. Sie steht wie zahreichen weiteren Ornamenten, die heute noch zu grossen Teilen im Freizeitpark zu bestaunen sind als Hommage an vergangene sowjetische Handwerkskunst.

Über die zentrale Wendeltreppe erreicht man den dritten Raum mit 360° Panorama der Anlage im Jahr 2016: Ein Vergnügungsparkt mit roten Tulpen, Kreise drehenden Schlittschulhäufern, Riesenrad aber auch geschlossenen Fensterläden.
Die Kuratoren selbst wollen das sowjetische Erbe auf Augenhöhe mit den vergangenen Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens verortet wissen – die man schliesslich auch nicht an ihren imperialistischen Prinzipien oder dem auf Sklaverei basierenden Wirtschaftssystem messe. Sie fordern eine klare Trennung zwischen Form und Ästhetik einerseits und dem ideologischen Balast des kommunistischen Regimes andereseits: Für sie verliert Gestaltung ihre ideologische Aufladung unmittelbar mit dem Verschwinden des zugehörigen Systems. Dieses unkritische Geschichtsverständnis erlaubte dem handverlesenen internationalen Expertenteam aus Architekten und Theoretikern frei über die Zukunft des Areals nachzudenken und zu debattieren.

Im fünften Raum endet die Schau mit architektonischen Visionen zur Zukunft des Areals. Aleksey Rezvys postmodern anmutenden Collagen klassizistischer Körper gepaart mit megalomanen, zum Leben erweckten Steingiganten könnten als Kommentar zur Inszenierung von Grösse und Macht im Russischen Pavillon gelesen werden. Ob es sich um ein ironisches Augenzwinkern oder doch um einen ernstgemeinten Vorschlag handelt, bleibt dabei unklar.

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