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Sanfte Bezugnahmen

Kazuho Shinohara ist (wieder) in aller Munde. Auch die Ausstellungsabteilung des gta' zeigt derzeit auf dem Zürcher Hönggerberg Zeichnungen und Modelle des japanischen Architektens, Erfinders und Forschers. Im Rahmen der Eröffnung von On the Thresholds of Space-Making sprachen am Montag, den 10. Oktober 2016, die Architekten Valerio Olgiati und Christian Kerez und wagten dabei eine sanfte in-Beziehungssetzung ihrer eigenen Arbeiten zum Werk Shinoharas.

 

Autorin: Anne-Dorothée Herbort – 13.10.2016
Bild: Martin Stollenwerk

 

Dezent aufgetischt
In der ehemaligen Mensa des HIL-Gebäudes der ETH auf dem Zürcher Hönggerberg zeigt die Ausstellungsabteilung des gta’ seit Montag die Schau on the Thresholds of Space-Making. Die von Shen Kuan kuratierte Schau war erstmals 2014 im Mildred Lane Kemper Art Museum an der Washington University in St. Louis zu sehen. Christian Kerez hatte angeregt, sie an die ETH zu holen. In Zürich waren bereits 1981 einige von Shinoharas Arbeiten gezeigt worden. Das Interesse an seiner zeitlosen, allgemeingültigen und doch höchst spezifischen Architektur ist seitdem stetig gewachsen.
In der Ausstellung sind originale Zeichnungen und Skizzen auf weissen Tischen «ausgelegt», ergänzt von wenigen Modellen und Projektfotos. Das schlichte Design, welches PanArchitekt für die Ausstellung wählten, entspannt einen zurückhaltenden Dialog mit Shinoharas puristischen Architekturen. Direkten Einblick in seine Denkweisen erlaubt der Ausstellungskatalog mit Zitaten und Ausschnitten aus der «Anthologie». Sie thematisieren beispielsweise Fragen der Komposition und Methodik. Zum ersten Mal gezeigte Reisefotos fügen eine persönliche Note hinzu und regen zu Spekulationen über mögliche Inspirationen und Referenzen Shinohoaras an.

 

Architekt, Mathematiker und Polemiker
Auch wenn er für gewöhnlich nicht zum Pantheon der «Stararchitekten» gezählt wird: Shinohara war einer der einflussreichsten japanischen Architekten der Nachkriegszeit. In seiner über dreissigjährigen Schaffenszeit steht das Haus – von Shinohara als Kunstform deklariert – im Mittelpunkt. Mit seinen puristischen Kompositionen lehnte er Konventionen ab und versuchte sie stattdessen neu zu deuten. Er stellte sich damit vor allem gegen die in den 1960er-Jahren in Japan erstarkende metabolistische Bewegung. Forschungen und Arbeiten Shinoharas beeinflussten mehrere Schülergenerationen am Tokyo Institute of Technology, an der er ein Labor leitete. Zur sogenannten «Shinohara Schule» gehören namhafte Architekten wie Toyo Ito, Itsuko Hasegawa, Kazunari Sakamoto und Yuzuru Tominaga.

 

Sanfte Berührungen
Shinohara hat nicht nur zahlreiche japanischer Architekten beeinflusst, sondern ist auch für einige der jüngeren Schweizer Architekturtendenzen inspirierend gewesen. So kann der Einfluss der symbolträchtigen und zugleich provokativen, poentierten Formensprache des Japaners auch in den Arbeiten von Christian Kerez und Valerio Olgiati wiedergefunden werden. Zur Vernissage wurden die beiden Schweizer Architekten aufgefordert, anhand mehrerer Wohnhäuser Shinoharas Parallelen zu ihren eigenen kompositorischen Methoden und gestalterischen Ansätzen darzulegen. Wer eine feurige und leidenschaftliche Gesprächsrunde erwartete, wurde jedoch enttäuscht.
In einem steifen Frage-und-Antwort-Format unterstrichen die Gesprächsteilnehmer die provokative Dualität der Raumkonzepte Shinoharas und veranschaulichen dies im Earth Haus. In ihm basiert die Komposition auf Shinoharas Konzept der räumlichen Trennung. Die Wohnräume sind drastisch in Tag- und Nachtbereich geteilt. Das Schlafzimmer wurde gar als Höhle unter die Erde verlegt. Olgiati wies darauf hin, dass durch das «Vergraben» der Schlafräume Urinstinkte wachgerüttelt und zugleich auf die Probe gestellt werden. Ihn fasziniert, wie der Funktionalismus in diesem Entwurf auf die Spitze getrieben wurde.
Anhand des Hauses in Ashitaka zeigte Olgiati zudem auf, dass Shinohara einen grosszügigen Raum bewusst in einen scharfen Kontrast zu verschachtelten und unspektakulären intimen Räumen stellte und wie dabei ein fast unbehagliches Ungleichgewicht von Dichte und Leere enstanden ist.
Beide Architekten beschäftigten sich in ihren Entwürfen mitunter mit ähnlichen kompositorischen, psychologischen und szenografischen Aspekten. Für Kerez' Diplomarbeit war zudem das Haus in Ashitaka ein Referenzobjekt. Schade, dass diese Studentenarbeit nicht gezeigt wurde. Generell: Eine direkte bildliche Gegenüberstellung von Werken Kerez’, Olgiatis und Shinoharas wäre spannend gewesen. Aber in einem derart direkten, referenziellen Bezug wollte vor allem Valerio Olgiati seine Arbeiten dann wohl doch nicht lesen lassen.

 

Inspirationen für die Zukunft
Shinoharas Werk wirft allgemeingültige und (noch immer) aktuelle Fragen auf: Zu Expressivität, Raumwirkung, Formensprache und letztendlich auch des «Stils». Die Purifikation von Raum und Struktur geht bei seinen Arbeiten stets über eine Zweckerfüllung hinaus. Shinohara entwickelte eine symbolhafte Bildsprache, die sowohl archaisch, mitunter aber auch vernakulär in Erscheinung tritt.
Die Ausstellung, die Gesprächsrunde und die theoretischen Fragmente des Architekten im Ausstellungskatalog öffnen einen Kosmos, der durchaus die Kraft hat, noch eine weitere Generation zu inspirieren.

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