Salz und Vögel
«Project Solana Ulcinj» – Montenegros Beitrag zur 15. Architekturbiennale
Text: Elias Baumgarten – 8.6.2016
Bilder: Jørg Himmelreich, Bart Lootsma
Abseits von Giardini und Arsenale mit ihren traditionellen Länderpavillons und grossen Ausstellungshallen ist der von Bart Lootsma und Katharina Weinberger kuratierte Beitrag Montenegros im Palazzo Malipiero einer der sehenswerten der 15. Architekturbiennale in Venedig. Der kleine Balkanstaat zeigt vier Projekte für die bankrotte Saline Ulcinj, die im Sinne des Metathemas «Reporting From the Front» Spannungsfelder thematisieren, die für das ganze Land und seine Entwicklung massgebend sind: Der Konflikt zwischen natürlicher und artifizieller Landschaft, zwischen Profit und Umweltschutz, regionalen und globalen Interessen.
1935 ging nahe der Stadt Ulcinj im Süden Montenegros eine der grössten Salinen des Mittelmeerraumes in Betrieb. Schnell stellte sich heraus, dass vom aus der Adria herangepumpte nährstoffreiche Salzwasser einen positiven Effekt für das lokale Ökosystem ausgeht und es zu einer grossen Artenvielfalt führt; insbesondere Zugvögel wurden bald angezogen, darunter seltene Pelikane und Flamingos. Seit die Saline 2005 in Konkurs ging, wurde weder das sensible Deichsystem gewartet und die Gebäude in Stand gehalten, noch Meerwasser zugeführt. Heute ist die hohe Biodiversität daher akut gefährdet.
Die Teams von LOLA aus Rotterdamm, LAAC aus Innsbruck und ecoLogicStudio aus London sowie Marko Stječević und Nemanja Milićević liefern architektonische Lösungsvorschläge, um die vielfältige Tierwelt zu erhalten und neue Nutzungen auf dem Gelände zu etablieren. Dabei gibt es unterschiedliche Herangehensweisen und Interessen zu entdecken: LOLA und das Duo Stječević / Milićević legen ihr Hauptaugenmerk auf den Schutz der sensiblen Natur. Und ecoLogicStudiobefasst sich mit zahlreiche Vogelarten und schlägt vor, aus der Saline eine grosse Volière machen. LAAC hingegen setzt sich mit dem Spannungsfeld von natürlicher und künstlicher Landschaft auseinander und möchte dem Begriff «Landschaft» eine poetische Bedeutung geben. Dafür haben die Tiroler einen Laserscan des gesamten Geländes produziert. Alle Gestalter kommen darin überein, dass der Salzabbau wieder aufgenommen werden muss, um die einzigartige Tierwelt zu schützen.
Salzabbau im kleinen Massstab
Sowohl Marko Stječević und Nemanja Milićević («The Trigger 50/50») als auch die niederländischen Landschaftsarchitekten von LOLA («The Saline Pyramid of Species») sprechen sich besonders nachdrücklich dafür aus, die Produktion auf kleiner Flamme wieder aufzunehmen. Sie versprechen sich davon, die Biodiversität zu erhalten und sogar noch auszubauen. Bei LOLA erhofft man sich davon Zuwächse beim Tourismus, wobei künftige Hoteliers für den Schutz des sensiblen Okosystems als Profiteure sorgen sollen. Stječević und Milićević beabsichtigen, die bestehenden Anlagen in einen Marktplatz für landwirtschaftliche Güter aus der Region zu verwandeln. Beide Szenarien entspringen der Überzeugung, dass sich aus nachhaltiger Produktion und Umweltschutz ökonomischer Mehrwert generieren lässt, indem ökologisch unbedenkliches Produkt gegen das billige Salz aus China in Stellung gebracht wird.
Volière ohne Netz
Das Londoner Büro ecoLogicStudio («Solana Open Aviary») schlägt vor, die Saline in eine Vogelbeobachtungsstation im Grossformat zu verwandeln. Satellitengestützte Technologie soll dabei ermöglichen, die Tiere auf dem 149 Quadratkilometer grossen Gelände jederzeit zu orten und in natürlicher Umgebung zu beobachten – ganz ohne Netz. Die Gestalter hoffen, dass sich dieses «virtuelle Biotop» eines Tages über die Saline hinaus ausdehnen wird.
Koexistenz natürlicher und künstlicher Landschaft
Das Tiroler Büro LAAC versucht einen poetischen und philosophischen Zugang und setzt sich mit Simultanität auseinander. Deshalb wurde gemeinsam mit artfabrik ein Laserscan der Saline angefertigt und als Punktwolke aufbereitet, welche die Grenzen zwischen Natürlichem und Artifiziellem verwischt. Denn durch die Punkte entsteht eine kontinuierliche Topologie aus Informationen ohne Unterscheidung zwischen verschiedenen Elementen und Objekten. Das Ergebnis dieser Arbeit, deutlich poetischer und weniger pragmatisch als die an der ökologischen und ökonomischen Realität orientierten Vorschläge von LOLA sowie Stječević und Milićević, ist im Palazzo Malipiero als faszinierender Film zu sehen.
Das Team um Kathrin Aste und Frank Ludin hat ausserdem ein Museum für moderne Kunst und Natur entworfen, das die alten Salzlager teils neu bespielen soll. Auch die Förderbänder und Pumpenanlagen sollen erhalten und als Verbindung zwischen Bestand und neuen Gebäudeteilen adaptiert werden. Die noch vorhandenen Berge aus lagerndem Salz möchten die Architekten indes als skulpturale Erinnerung an die Vergangenheit konservieren.