Experimentarium für Klang und Architektur
Was passiert mit Klängen in Räumen ausserhalb der klassischen Musiksäle? Diese Frage interessiert den Komponisten Beat Gysin permanent. Dies ist auch der Grund, weshalb er eine Serie von Musik-Architektur-Projekten lanciert hat. Das neueste ist eine Zusammenarbeit mit dem Genfer Architekturbüro Made in. Das Rohrwerk. Fabrique Sonore, das während der Biennale ZeitRäume am 15. (Première) und vom 18. bis 21. September 2019 via Wagenkran in den Innenhof des Kunstmuseums gehängt wird, ist eine Klangskulptur, die auf experimentelle Weise Ton- und Raumerfahrung mittels einer straken Form vermittelt.
Text: Christina Horisberger – 12. August 2019
Es gibt keine Ästhetik des Klangs.
Beat Gysin hat eine dezidierte Meinung, wenn es über Klang im Raum geht. Und er meint damit auch die Architektur. «Weder in meiner fünfjährigen Ausbildung in Musiktheorie und Komposition, noch an den Architekturabteilungen wurde bezüglich der Ästhetik von Klängen-in-Räumen geforscht. Dabei ist es ganz wesentlich wie Klänge die Raumwahrnehmung und wie Räume die Klangwahrnehmung beeinflussen.» Akustik heisst das Fach im Architekturstudium, doch dabei geht es mehr um Dezibel und Schallabsorption, denn um die sinnliche Wahrnehmung, Beschreibung und Kategorisierung von Klang im Raum. Dies hat Beat Gysin, der mit studio-klangraum ein experimentelles Unternehmen aufgebaut und mit dem Festival ZeitRäumeBasel, Biennale für neue Musik und Architektur eine grosse Plattform gegründet hat, schon während seiner Ausbildung gestört. Dies ist der Grund, weshalb der Komponist Architektur und neue Musik zu einer Wahrnehmungseinheit verbinden will. Einfach ist dies nicht. Nicht, weil es an Visionen, Ideen und Konzepten mangelt, sondern weil die Kulturfördergelder vorwiegend in die etablierten Kulturinstitute für klassische Musik fliessen. Das bedeutet, dass Beat Gysin jeweils an vielen Orten Überzeugungsarbeit leisten muss, um Projekte zu finanzieren. Viel Arbeit, die aber doch auch einen positiven Aspekt hat: Wenn Projekte zustande kommen, weiss Beat Gysin alleine schon durch die breite Unterstützung durch Stiftungen, dass seine Idee ein allgemeines Interesse auslöst.
Offenes Publikum
Mit der «Leichtbautenserie» hat Beat Gysin eine langfristige Projektreihe initiiert, die neue Erfahrungen von Klang im Raum möglich macht und mit jedem Einzelprojekt neue Erkenntnisse generieren soll – für die Musik, die Architektur und nicht zuletzt für das Publikum. «Das interessiert nicht nur eine kleine Gruppe von Liebhabern neuer Musik», betont Beat Gysin. «Musikalische Projekte in speziellen Räumen, in Schwimmbädern oder alten Fabrikräumen faszinieren ein breites Publikum, da es Erfahrungen in der gesamten Komplexität von Raum und Musik machen kann», so seine Erkenntnis aus vergangenen Projekten. Die erste Musik-Architektur des Projekts «Leichtbauweise» war eine Art Karussell, auf dem das Publikum um die Musikerinnen und Musiker herumfuhr. Distanz und Ort auf dem Karussell (mit wechselnder Perspektive auf das Ensemble) waren als klangliche Veränderungen akustisch erfahrbar. Diese zu benennen, ihnen eine Sprache zu geben und festzuhalten, das ist es, was Beat Gysin umtreibt.
Ein Tuch als Resonanzraum
Als Beat Gysin und die Komponisten und Musikerinnen sich mit Patrick Heiz und François Charbonnet von Made in zum ersten Mal trafen, war eigentlich nur eines definiert: das Rohr. Die Rohr-Form spielt sowohl in der Musik für eine Vielzahl von Instrumenten (Flöten, Glocken und viele andere) als auch in der Architektur, als statisches Element oder in Form von Leitungen ein wichtige Rolle. Die erste Idee von Made in war ein schlichtes rohrförmig aufgegangenes Tuch, ein ephemeres architektonisches Zeichen. Doch das war für die Musiker zu wenig. Sie wollten einen Resonanzkörper und Interaktionsmöglichkeiten – ein Objekt, mit dem sie vielfältig experimentieren können. In der Folge entstand während mehrerer Treffen die Idee des «Crayons», eines 45 Meter hohen «Stifts», der sich aus verschiedenen Elementen und Materialien zusammensetzt. «Aus ökonomischen und technischen Gründen sowie aufgrund des engen Zeitplans ist aus dem Rohrwerk. Fabrique Sonore kein eigentliches Instrument geworden», erklärt Architekt François Charbonnet von Made in, «obwohl das zu Beginn des Prozesses die Idee gewesen war». Die Installation aus verschiedenen Teilen wird mehrheitlich handwerklich vom Theaterbauer und Szenografen Peter Affentranger zusammengesetzt.
Die Lust am Experiment
Während der Biennale ZeitRäumeBasel wird die Rohrwerk-Skulptur mit einem Kran in den Innenhof des Kunstmuseums hineingehängt, ist aber zugleich auch am Boden fixiert, damit sie von den elf Komponistinnen und Komponisten, Musikern und Musikerinnen überhaupt bespielt werden kann. Sich einlassen auf die Konstruktion der Architekten von Made in ist das Hauptthema der einzelnen Aufführungen. Dabei werden sich die Komponisten und Musiker jeweils ein oder mehrere Elemente der Klagskulptur aneignen, zum Beispiel mit mikrotonal verstimmten Rohren ergänzen, mit Elektronik experimentieren, was passiert, wenn auf der einen Seite der Röhre ein Mikrophon, auf der anderen ein Lautsprecher hängt. Auch eine theatralische Interpretation auf der Klangskulptur ist geplant. «Viele dieser klanglichen Interventionen mit der Rohrwerk-Skulptur sind Neuentwicklungen, gehen eine Interaktion mit der Konstruktion ein. Auch wir wissen nicht genau, was exakt passier, es ist eine Uraufführungt», betont Beat Gysin. Ihn interessiert unter anderem auch, wie sich Klänge nach oben hin bis auf eine Höhe von 45 Metern verändern. Nimmt die Lautstärke logorhythmisch ab, wie das zu erwarten wäre, oder verhält es sich doch anders?
Ein starkes Zeichen im Stadtaum
Neue Klang- und Raumerlebnisse zu ermöglichen, ist die Vision von Beat Gysin. Dafür ist die Architektur ein ganz wichtiger Sparringpartner. «Unsere Idee ist, dass beide Disziplinen voneinander profitieren und für ihr Fachwissen etwas dazu gewinnen können.» Die Rohrwerk-Skulptur, so die Vorstellung der beiden Architekten von Made in, könnte auch an ganz anderen zentralen Standorten in verschiedenen Städten für ein solches Klangexperiment aufgehängt werden, zum Beispiel im Innenhof des Landesmuseums oder beim Zürcher Grossmünster, im Rolex-Zentrum an der EPFL oder im Innenhof des Musée d’Art et d’Histoire in Genf. Für archithese ist dieses starke architektonische Zeichen eine einmalige Gelegenheit, über kraftvolle Geometrien, wie Kreis, Zylinder und Kugel zu sprechen. Diese werden im Zentrum der Dezember-Ausgabe 2019 stehen.
> Das gesamte Programm der Biennale finden Sie auf zeitraeumebasel.com
Veranstaltung
Form (un-)gleich Inhalt
archithese kontext lädt am 18. September zur Podiumsdiskussion mit Jan de Vylder, Momoyo Kijima und Made in in das Kunstmuseum Basel ein.