Das neue PJZ – Stadtbaustein in Zürich
Hubertus Adam und Nele Rickmann tauschen sich nach der offiziellen Eröffnungsfeier im Polizei- und Justizzentrum (PJZ) Zürich von Theo Hotz Architekten unbefangen und persönlich über Ort, Bauwerk und Konfliktstellen aus.
Zürich, 01. November 2022
Hubertus Adam: Vor 20 Jahren, ich lebte damals erst wenige Jahre in Zürich, war ich an einer Monografie über Theo Hotz beteiligt, die bei Lars Müller erschienen ist. Ich erinnere mich noch an manche lange Nacht in Lars’ damaligem Atelier in Wettingen. Ich verfasste dort Texte für das Buch oder korrigierte – Rotwein hielt mich bei Laune, ab und an setzte sich der Bürokater Monti auf meinen Schreibtisch.
Ich glaube, die Kolleg*innen aus Zürich fremdelten etwas mit Theo Hotz, der zwar bald die Ehrendoktorwürde der ETH erhalten sollte, aber mit dem deutsch-schweizer Architekturdiskurs wenig zu tun hatte. Zuvor in Berlin tätig, war ich wohl etwas unvoreingenommener. Und ich muss sagen, dass für mich die komplett unschweizerischen Hightech-Gebäude am Stadtrand von Zürich, die Theo Hotz realisiert hat, Bauikonen der Stadt sind, nämlich das Fernmeldebetriebszentrum Herdern (1978) und das Postverteilzentrum Mülligen (1985). Irgendwie utopisch, Zeichen des Aufbruchs, Zeichen einer neuen Zeit. Theo Hotz klotzte, als die junge Architektengeneration gerade begann, mit Sperrholz oder Eternit zu kleckern.
Und er beherrschte den grossen Massstab. Ob bei der EMPA in St. Gallen, dem Hauptbahnhof in Wien oder der Sihlcity in Zürich. 2006 gewann er den Wettbewerb für das neue PJZ in Zürich. 2011 hat sich Theo Hotz aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und das Büro an seine Partner übergeben, 2018 ist er gestorben. Nun, nach mehr als 15 Jahren, ist das Grossprojekt fertiggestellt. Nele, wir haben am vergangenen Freitag anlässlich des Medienrundgangs in das PJZ eingecheckt: Gepäck- und Personenkontrolle wie am Flughafen. Was waren Deine ersten Eindrücke?
Nele Rickmann: Ich bin zwar noch nicht so lange in Zürich, habe aber direkt gemerkt, dass das PJZ nicht nur volumenmässig eines der grössten, wenn nicht das grösste Gebäude der Stadt ist, sondern auch ein grosser Bedeutungsträger – das Hochparterre betitelt es als «Stadtbaustein». Hubertus, du hast mir von dem ehemaligen Güterbahnhof erzählt, der vorher hier an dieser Stelle war, und einen Ort für Subkulturen und Kreative mit Ateliers bildete. Mit dem Hintergrundwissen frage ich mich jetzt schon, ob das hier der richtige Ort für so ein mächtiges Bauwerk ist... Ich kann mir gut vorstellen, dass es viel Kritik und Unmut gegen das Vorhaben gab. Das wurde ja sogar offiziell bei der Eröffnung gesagt – Kantonsratspräsidentin Esther Guyer hat darauf hingewiesen, dass sie als Grüne selbst anfänglich gegen den Neubau war. Nach zwei Volksabstimmungen – die zweite gab es aufgrund von massiv gestiegenen Kosten – habe dann aber doch die Demokratie entschieden. Ob die Befürworter*innen aus Zürich kommen?
Naja, zurück zur Erscheinung des Gebäudes: Also, das Fassadenmaterial finde ich eigentlich ganz gut gewählt, wenn man das so sagen kann: ein grünlicher Walliser Stein, der durch seine Körnung ein gewisses farbliches Spiel zulässt. Trotzdem ist die Fassade insgesamt durchgerastert, monoton, gleichbleibend, unaufgeregt – irgendwie dann eben doch ein typisches Bürogebäude. Warum müssen die eigentlich fast immer alle gleich aussehen? Aber wahrscheinlich kann man beim PJZ jetzt auch nicht die grösste fassadentechnische Innovation erwarten. Es ist eben doch eher ein klassischer Bau, nichts Neugedachtes, nicht gross Aufregendes, aber edel, wie eben typisch für Zürich. Trotz allem hat man aus den Gegebenheiten das Beste versucht rauszuholen. Oder was denkst Du, Hubertus? Du lebst schliesslich schon mehr als zwei Jahrzehnte in Zürich und hast mehr local knowledge.
Hubertus Adam: Als Architekturhistoriker bedaure ich den Verlust des Güterbahnhofs, der 1897 in Betrieb gegangen war. Er galt mit seiner sägeblattähnlichen, höchst effizienten Gleisführung, die der renommierte Ingenieur Robert Moser entwickelt hat, als der seinerzeit modernste Europas. Die oberirdischen Lagerhallen, aber auch die Keller – ein ganz kleines Stück des Güterbahnhofs ist ja noch erhalten geblieben – waren phantastische Räumlichkeiten. Mich wundert immer wieder, was in Zürich alles abgerissen wird. Mittlerweile findet vielleicht ein Umdenken statt – im Kreis 5 klammert man sich nach der Ära der Tabula rasa an die Maaghallen als einem der verbliebenen Zeugnisse der industriellen Vergangenheit. Und Ersatzneubauprojekte von Genossenschaften werden nicht mehr einfach nur durchgewinkt, sondern auch angefochten, mitunter erfolgreich.
Auf dem Güterbahnhofareal ist der Zug aber im wahrsten Sinne des Wortes abgefahren. Ich könnte mir denken, dass heute anders entschieden würde, aber die Problematik besteht natürlich auch darin, dass die SBB das Areal zu einem hohen Preis an den Kanton verkauft haben. Unter diesen Bedingungen liess sich eine dauerhafte kulturelle Nutzung schlicht nicht finanzieren. Was nur zu bedauern ist, aber typisch für Zürich: Günstige Wohn- und Atelierräume verschwinden. Zwischennutzungen auch, wir müssen nur an das Koch-Areal oder die Zentralwäscherei denken.
Gemäss dem Masterplan von Gigon/Guyer wird das PJZ, das derzeit noch wie ein Solitär wirkt, durch eine Blockrandstruktur ergänzt, die sich bis zum Hardplatz erstreckt. Wie lebendig das in Zukunft wird: keine Ahnung. Hohlstrasse und Bahngleise wirken eher wie Barrieren. Und das PJZ, das wurde ja auch anlässlich der Eröffnung thematisiert, ist ein öffentliches Gebäude ohne Öffentlichkeit. Für mich ist es aber okay, wenn nicht jedes Quartier in der Stadt gleichermassen öffentlich ist – überall Idaplatz ist auch keine Lösung. Ist es nicht vielleicht sogar angemessen und wünschenswert, dass ein Haus für die Polizei und Justiz sichtbar in der Stadt steht und nicht irgendwo im Gewerbegebiet in der Peripherie? Und daran schliesst sich gleich eine weitere Frage an, Nele: Das PJZ wirkt eigentlich wie ein grosses Bürogebäude. Ist das ein Ausdruck, welcher der Funktion gerecht wird?
Nele Rickmann: Schon, aber man kann Bürogebäude auch anders denken – eben nicht klassisch, sondern innovativ. Schwieriges Thema, mit dem viele hadern, Bürolist*innen wie auch Planende. Zumindest habe ich etwas gegen diese Anonymisierung, die meistens damit einher geht. Das Argument, dass das Gebäude nun in der Stadt steht und nicht im suburbanen Raum, und dadurch präsent ist, verstehe ich mit Blick auf eine demokratische Sichtbarkeit des Rechts und der Justiz. Im Inneren hatte ich aber auch irgendwie das Gefühl der Inflexibilität – festgefahrene Strukturen, festgefahrene Raumprogramme. Funktional ist das Gebäude allemal, aber ist es auch innovativ? Kann es beispielsweise in 75 Jahren der voranschreitenden Digitalisierung gerecht werden? Die Frage ist, ob man mit der Summe von circa 750 Millionen Schweizer Franken mehr hätte erreichen können? Weniger Luxus, dafür mehr Innovation?
Hubertus Adam: Die Beteiligten finden die Organisation des Gebäudes aber schon innovativ… Die kurzen Wege zwischen Gefängniszellen und Einvernahmeräumen, die Organisation der forensischen Abteilung mit Labors auf der einen und Büroarbeitsplätzen auf der anderen Seite. Oder wird hier einfach Innovation mit Effizienz verwechselt?
Ich muss gestehen, dass ich aber nicht recht weiss, wie ich mir ein «innovatives» Polizei- und Justizzentrum vorstellen soll. Du merkst, ich schwanke etwas bei der Bewertung des PJZ. Ich glaube, das geht vielen so. Es mag mit der Grösse zu tun haben – lustigerweise wusste ja selbst unser Tourguide im Untergeschoss zwischen Schiessständen und Nebenräumen nicht, wo wir uns wirklich befanden. 241 Gefängniszellen, mehr als 2000 Mitarbeitende – das sind gewaltige Dimensionen. Insgesamt 30 Standorte wurden eingespart, die Kaserne ist nur einer davon. Aber natürlich geht man als Architekturkritiker auch weniger unbefangen an die Bauaufgabe PJZ heran als an andere Gebäude. Ich muss immer an Michel Foucault denken, der in Überwachen und Strafen vom «Reich des Normativen» sprach, dem «ein jeder an dem Platz, an dem er steht, den Körper, die Gesten, die Verhaltensweisen, die Fähigkeiten, die Leistungen» unterwerfe – und der diagnostizierte, dass der Justizapparat mit seinen verfeinerten Disziplinierungstechniken sich zunehmend medizinisiere, psychologisiere und pädagogisiere.
Dabei ist klar, dass wir auf Gebäude wie das PJZ nicht verzichten können. Ich muss gerade aufgrund von Erfahrungen im Ausland sagen, dass ich glücklich bin, in einem Land zu leben, in dem ich mich auf die Arbeit der Polizei und Justiz verlassen kann und in dem die Exekutive demokratisch kontrolliert wird. Das schönste Bonmot des Tages war übrigens bei unserem Rundgang der Hinweis im Empfangszimmer des 6. Obergeschosses, man solle «aus Sicherheitsgründen» nichts im Raum liegen lassen. Eine erfreulich entwaffnende Aussage aus Polizeimund – geklaut wird eben überall. Mehr an Normalität geht wirklich nicht!
Hochparterre hat ein Themenheft zum PJZ veröffentlicht, und beim Medienanlass sagte uns eine unserer Kolleginnen, die Entscheidung hätte zu kontroversen Reaktionen innerhalb der Redaktion geführt. Ist das für Dich nachvollziehbar, Nele?
Nele Rickmann: Ja, so ein Gebäude polarisiert natürlich und ist letztlich auch Resultat von politischen Interessen. Ich muss aber dazu sagen, dass ich das Themenheft von Hochparterre gut finde, da es auch den geschichtlichen Hintergrund des Güterbahnhofs mit aufnimmt und einen guten Überblick über den gesamten, wenn auch ambivalenten, Planungs- und Bauprozess des PJZ gibt. Genauso wie Du und ich mit der Bewertung schwanken, so erging es eben auch unseren Kolleg*innen. Grundsätzlich kann man glaube ich nur abwarten und schauen, wie sich das ganze Areal entwickelt und welche Anerkennung ihm entgegengebracht wird. Am Ende richtet eben immer die Zeit – ich bin gespannt!