Paradise Lost
«Der Englisch Landschaftsgarten ist kein Import europäischer Seefahrer aus dem fernen China» – Mit diesem klaren Statement eröffnete Co-Kurator Hans von Trotha seinen Vortrag im Rahmen der Ausstellung Gärten der Welt im Zürcher Museum Rietberg und stellt sich damit gegen eine verbreitete Narration. Für ihn sei der Landschaftsgarten ein Gegenentwurf zu den Parks des Barocks und verdanke seine Entstehung soziokulturellem und politischem Wandel. Trotha, Autor von Garten Kunst. Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies und Der Englische Garten – Eine Reise durch seine Geschichte, legte nach: Alle trotzdem vorhandenen Zitate chinesischer Gartenkunst in europäischen Anlagen seien auf einen Reisenden zurückzuführen: den schottischen Gartenbauer Sir William Chambers. Demnach seien Englischer und Chinesischer Garten als zwei unabhängige Typologien ähnlicher Erscheinung, basierend auf verschiedenen Philosophien und Gesellschaftsordnungen zu lesen.
Text: Anna Valentiny – 11.7.2016
Gartenbau als Spiegel soziokultureller Entwicklung
Die im europäischen Kulturraum am weitesten verbreiteten Parktypologien sind der französische Barock- und der Englische Landschaftsgarten. Aufgrund des am Übergang zwischen 17. und 18. Jahrhundert stark gewandelten Naturverständnisses, wurde zunehmend «originäre» Natur der durchkomponierten, geometrischen Parklandschaft des Barock vorgezogen.
Der Park Le Nôtres auf dem Gelände von Versailles zeichnete sich noch durch Symmetrieachsen aus. Hundert Jahre später entstand siebzig Kilometer nordöstlich von Versailles der Temple de la Philosophie als gebaute Ruine inmitten der fliessenden Hügellandschaft des Park Rousseau. Diesmal symbolisierte der Garten den Geiste der Aufklärung: Er sollte ein Sinnbild des nie abgeschlossenen Strebens nach Wissen sowie der in stetiger Weiterentwicklung begriffenen Philosophie sein. Der Wandel in der Gestaltung und die Hinwendung zur Natur in einem scheinbar urwüchsigen Zustand, versinnbildlichte die Befreiung der Menschen vom Absolutismus und symbolisierte als Gegenbild Freiheit und Selbstbestimmung.
Asiatische Zitate ≠ verbreitete Mode
Hans von Trotha studierte in Heidelberg und promovierte zum Thema der gegenseitigen Beeinflussung von Literatur, Philosophie und Gartenkunst. Der Publizist startete seinen eloquenten Vortrag in Zürich bei einem Gemälde von Richard Wilson: Kew Gardens. The Pagoda and Bridge (1762) zeigt den Landschaftsgarten in der britischen Hauptstadt. Das an eine venezianische Gondel erinnernde Boot im Vordergrund schaukelt auf der Themse und der Campanile, der das Bild gliedert, stellt sich als chinesische Pagode heraus, die 1762 von William Chambers gestaltet wurde.
Trotha behauptet, alle bekannten Pagoden in Europa würden aus Chambers Feder stammten. Jener reiste im Jahr 1740 im Dienst der schwedischen Ostindien-Kompanie nach China und studierte dort die Gärten des Landes. Nach seiner Rückkehr designte er beispielsweise 1797 den barocken Inselgarten des Schlosses Oranienbaum bei Dessau teilweise in eine Englische Anlage um, fügte dazu turmartige Bauwerke und bogenförmig geschwungene Brücken ein. Doch für Trotha blieben solch unmittelbar von chinesischen Vorbildern inspirierte Versatzstücke Ausnahmen und stellen keine generelle europäische Mode dar.
Ähnliche Gestaltung, unterschiedliche Philosophien
Trotz der formalen Verwandtschaften zwischen dem europäischem und dem asiatischem Garten, unterscheiden sind die Konzepte grundlegend: Während im Englischen Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts das idealisierte Bild der Natur inszeniert wurde, wird im seit 3000 v. Chr kultivierten chinesischen Garten das Abbild eines idealen Universums zelebriert. Ziel der chinesischen Gartengestaltung war es, die Ausgewogenheit von Erde, Himmel, Steinen, Wasser, Gebäuden, Wegen und Pflanzen zu erreichen, in deren Mitte der Mensch als achtes Element zur vollkommenen Harmonie finden kann.
Trotha beschrieb den Englischen Landschaftsgarten hingegen als ein Wechselspiel von Reiz und Reaktionen, als Zusammenspiel einer als originär inszenierten Natur mit eingestreuten künstlichen Ruinen (Follys). Zumeist sollten diese jedoch weniger Vergangenheit oder Vergänglichkeit ausdrücken, als vielmehr ein Ideal verkörpern: Das Bild des römischen Pantheons oder eines Aquädukts sollte beim Flaneurs auf das antike Griechenland verweisen, oder die Erinnerung an die humanistische Gesellschaft der italienischen Renaissance im 15. Jahrhundert wachrufen. Der Englische Landschaftsgarten sollte Besucher laut Trotha unter Aktivierung solcher Verweissysteme einer emotionalen Manipulation aussetzen. Die Aufklärer hatten den Menschen wieder ins Zentrum der Welt rücken lassen - wo das Individuum bis heute, oft achtlos gegenüber seinen Mitmenschen und der Umwelt, steht.
Die Ausstellung Gärten der Welt stellt die weltweite Entwicklungsgeschichte der Gartenkunst von Babylons hängenden Gärten über die alten Ägypter bis in die Neuzeit dar. Die Schau vermittelt dabei ein Verständnis für die Simultanität der Kulturen und sieht das Kultivieren und Gestalten von Natur als Merkmal von Hochkulturen.
Gärten der Welt ist noch bis zum 9. Oktober 2016 im Museum Rietberg zu sehen.
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