Raumerfahrungen statt Bonsaiifizierung
Der neue Direktor des S AM Andreas Ruby hat gestern Abend seine Vision für das Museum als Plattform vorgestellt. Man darf mehr (Lebens)-Grosses und einen erweiterten Aktionsradius erwarten.
Text: Jørg Himmelreich – 3.3.2016
Seine ersten prägenden Berührungen mit Architektur habe Andreas Ruby als Student der Kunstgeschichte in Paris gemacht, als er dort wortwörtlich über sie gestolpert sei. Anders als bei Künsten wie Malerei oder Theater, wo das Publikum individuelle entscheiden könne sie zu meiden, sei Architektur omnipräsent und unausweichlich. Die simple Anekdote sagt einiges über seine Haltung zur Architektur und wie man sie ausstellen könne und solle aus: Das Publikum des Schweizerischen Architekturmuseums darf demnach nicht nur die Baseler oder Schweizer Architektenszene sein, sondern jeder solle oder müsse über Architektur Bescheid wissen, nachdenken und mitreden. Entsprechend will Andreas Ruby versuchen, mit den Ausstellungen immer mindestens zwei Ebenen zu adressieren – «wie bei einem Hitchcock Film, der mit oberflächlichen thrills die Breite Masse anspricht, aber zugleich tiefgreifende Diskurse im Sinne der Lacanschen Psychoanalyse führt.»
Räume erleben statt Modelle dechiffrieren
In Ausstellungen auf Modelle zu blicken, simplifiziere Architektur und Stadträume auf groteske Art und Weise und berge sogar die Gefahr der Unmenschlichkeit in sich, sagt Ruby. Damit zweifelt er die Abstraktionsfähigkeit des Publikums an, glaubt aber umso mehr an dessen visuelle, räumliche Intelligenz. Es geht ihm also darum, Formen zum Zeigen des «Unausstellbaren» zu finden. Ausstellungen sollen Mittel sein, um Besucher an oder in andere Orte zu versetzen. Im Idealfall möchte Ruby Räume 1:1 erfahrbar machen, auch wenn das Museum in Basel nicht gerade riesig sind.
Wohin die Reise gehen könnte, zeigte er am Beispiel einer von ihm und seiner Frau Ilka kuratierten Schau zu Lacaton & Vassal im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt. Um dort Umbau und Erweiterung eines Pariser Sozialwohnungsbaus und vor allem dessen grosse neue Fensterfronten und Loggien «erfahrbar zu machen», wurden die Wände mit 1:1 Fotos der Innenräume tapeziert und mit Möbeln versehen, wie sie im Haus zu finden sind.
Vom Gewöhnlichen zum Besonderen
Inhaltlich kreisen Rubys Interessen um vier thematische Schwerpunkte: Die Entstehungsgeschichte von Architektur ist für ihn mitunter ebenso wichtig, wie ein Verständnis der Objekte. Die derzeit gelobten neuen Genossenschaftsbauten in Zürich beispielsweise, etwa die Kalkbreite könne man nur verstehen, wenn ein Wissen über die vielen Jahrzehnte der genossenschaftlichen Baukultur und die Hausbesetzerszene vorhanden sei. Zudem interessiert ihn Aneignung und Gebrauch, sowohl von der «grossen Architektur», als auch das anonyme Bauen ohne Architekten. Ein vierter Themenschwerpunkt ist die Stadt als demokratischer Raum, zu dem jedes Bauwerk einen Beitrag leisten sollte oder müsse.
Grande Tour
«So wie die Minimal Art sich zur Land Art gewandelt hat, und damit den beengenden, abstrahierenden Raum des Museums überwunden hat, soll das S AM künftig über die Räumlichkeiten des Museums hinaus in der Realität von Raum, Stadt und Landschaft stattfinden.» Damit soll das Museum stärker vom Ausstellungsraum zur Diskurs-Plattform werden, beispielsweise durch Gesprächsrunden in anderen helvetischen Städten, inklusive Westschweiz oder im Tessin. «Es ist besser, wenn wir anregen können, dass künftig mehr Architektur vor Ort angeschaut wird, als sie hier im Museum in Form einer Modellsammlung zu abstrahieren.»
Der Anspruch mag ehrgeizig scheinen. Aber mittelfristig ist es der richtige Schritt, um die Institution in die Schweiz hinauszutragen um damit eventuell auch den Bund zu überzeugen, sich künftig noch stärker finanziell am Museum zu beteiligen.