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Jugoslawiens Spomeniks revisited
Sommerzeit = Reisezeit. Der Balkan erlebt derzeit einen touristischen Boom. Neben den unzähligen Inseln und malerischen Küsten des Festlandes lohnen sich Abstecher zu den vielen Bauwerken und Denkmälern aus der Zeit Jugoslawiens ins Landesinnere. Wir zeigen eine Auswahl faszinierendster Spomeniks, vorrangig aus den 1960er- und 1970er-Jahren in einer Galerie und empfehlen unser Heft Balkan Beats als Reiselektüre, um die Geschichte und die gegenwärtigen Entwicklungen in Architektur und Städtebau auf dem Balkan besser zu verstehen.
Text + Fotos: Jørg Himmelreich – 7.9.2016
Futurepop – Sozialistische Denkmäler im ehemaligen Jugoslawien
Über Jahrhunderte meist fremdbestimmt aus Rom, Konstantinopel / Istanbul, Wien und Venedig galt die Balkanregion die längste Zeit als Peripherie; im letzten Jahrhundert, bezogen auf den Modernisierungsprozess gar als eines der Schlusslichter Europas. Dass eine periphere Lage jedoch eine Chance sein kann, weil die Distanz zu den politischen Zentren Freiheiten ermöglicht, hat die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg aufgezeigt.
Das Land hat sich aus dem Würgegriff des Warschauer Paktes freigespielt und als blockfreier Staat den sogenannten ‹dritten Weg› eingeschlagen, um aus dem kulturellen Kosmos des Ostens und des Westens zugleich schöpfen zu können. In der Folge wurde eine beeindruckende Kreativität in den Bereichen Architektur und Kunst freigesetzt. Ihnen kam eine wichtige Rolle bei der Neudefinition des Landes zu.
Weil im Zweiten Weltkrieg die Volksgruppen – von den Achsenmächten angestachelt – gewaltsam aufeinander losgingen, galt es eine neue verbindende Narration zu entwickeln, die in der Lage war, diese Feindseligkeiten zu überbrücken. Die neue transnationale Identität wurde daher nicht als Kontinuität, sondern als Bruch mit der Vergangenheit inszeniert – vor allem der Partisanenkampf gegen das Deutsche Reich und Italien wurde als gemeinsame Basis herausgestrichen und die Unterschiede bezüglich der vier Religionen, sechs Ethnien, drei offiziellen Sprachen, diversen südslawischen Dialekten, zwei Alphabeten und fünfzehn anerkannten Minderheiten entsprechend ‹kleingeredet›. Denkmälern kam in dieser Erzählung eine bedeutende Kommunikationsrolle zu. Zwischen 1945 und 1990 wurden im Auftrag von Josip Broz, genannt Tito, hunderte Spomeniks, meist an den Schauplätzen von Partisanenschlachten, Standorten von Konzentrationslagern und Massengräbern errichtet, mitunter aber auch auf Plätzen in den Stadtzentren. Waren sie anfänglich von der Ästhetik des akademischen Realismus geprägt, wurden sie ab den 1960er-Jahren abstrakter, struktureller und architektonischer. Bedeutende Bildhauer wie Dušan Džamonja, Vojin Bakic´, Miodrag Živkovic´, Jordan und Iskra Grabul und Architekten wie Bogdan Bogdanovic´ und Gradimir Medakovic´ wurden beauftragt. Die mitunter gewagten Strukturen wirken ausserirdisch und fantastisch, erinnern an gereckte Fäuste, Sterne, Flügel oder Blumen. Räumlich vielseitig laden sie zum Erkunden ein und ermöglichen vielfältige Deutungen. Sie nehmen durch ihren grossen Massstab und Materialen wie Beton und Stahl eine Position zwischen Architektur, Plastik und Land Art ein. Formen wie Obelisken, Zylinder und andere aufragende Elemente wirken durchaus militant, künden aber zugleich von einer stolzen, fortschrittlichen Gesellschaft. Insbesondere in den Werken Bogdanovic´ überwiegt eine Ausstrahlung der Freude. Die Ornamentik seiner Werke umfasst zudem archaisch und mythologisch wirkende Elemente. Unbestimmt und rätselhaft verweisen sie jedoch bewusst nicht auf identifizierbare Vorbilder, sondern auf das kulturelle Kontinuum der Menschheit insgesamt. Bei anderen Monumenten, wie dem Makedonium in Kruševo [1974] wurden Elemente der Pop-Ästhetik integriert. Eine Lichtorgel und der Science-Fiction-Stil des kugeligen Bauwerks nehmen Anleihen bei der Disco-Kultur und populären Kinofilmen, wie beispielsweise Odyssee 2001. Die Ikonologie von Kampf, Martyrium und Sieg bediente sich zugleich bewusst religiöser Elemente. Als ‹Wallfahrtsorte›, zu denen Schulklassen und Gruppen regelmässig pilgerten, etablierten diese Denkmäler Erinnerung als ein gemeinschaftlich konstituierendes Ritual und wurden jährlich von bis zu einer Million Menschen besucht.
Identitätskrisen
Als 1989 die Berliner Mauer fiel und der Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen Osteuropas einsetzte, begannen nationalistische Zentrifugalkräfte auch Jugoslawien auseinanderzusprengen. Für die Staaten des Balkans begann eine Phase von Demokratisierung und Marktwirtschaft, doch die politische Freiheit kam für den Preis von erbitterten Kämpfen um das zu teilende Territorium, Verfolgung, Vertreibung und Mord. Aufgrund der Kämpfe zwischen Katholiken, orthodoxen Christen und Muslimen einerseits und Slawen und Albanern andererseits wurden systematisch Kulturgüter zerstört: Moscheen, Kirchen, Bibliotheken, Museen und Universitäten. In Bosnien und Herzegowina wurden schätzungsweise gar 70 Prozent der bedeutenden Kulturgüter vernichtet. Weil die Spomeniks zu unliebsamen Zeugen der jugoslawischen Ära geworden sind, wurden auch sie während der Jugoslawienkriege und danach an vielen Orten beseitigt. Ausserhalb von Städten gelegen, sind sie oft vergessen und dem Verfall preisgegeben. Denkmäler in den Städten hingegen wurden häufig demontiert oder verunstaltet. Das Denkmal der Einheit und Brüderlichkeit [1957] in Pristina, das mit seiner dreiteiligen Stele die Freundschaft zwischen Albanern, Serben und Montenegrinern darstellt, sollte gesprengt werden, um eine Parkgarage zu errichten. Weil nicht genug Dynamit zum Einsatz kam, steht es noch. Eine dazugehörige Figurengruppe wurde mit den Fahnen jener Länder übermalt, denen der Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien verdankt. Derartige Versuche, die Erinnerung an Jugoslawien zu überformen, gibt es auch in vielen anderen Städten. In Split liess Bürgermeister Željko Kerum ein Denkmal für Franjo Tudjman, Kroatiens umstrittenen ersten Präsidenten aufstellen, um die häufigen Besuche und Reden Titos und die vielen vertriebenen orthodoxen Bewohner vergessen zu machen. Eine von ihm angedachte gigantische Jesus-Statue auf dem Hausberg Marjan blieb der Stadt aber erspart. Nur in Ausnahmefällen sind die Spomeniks in die neuen nationalen Narrationen integrierbar, beispielsweise das Makedonium. Weil es an den Ilinden-Aufstand von 1903 erinnert, bei dem mazedonische und thrakische Bulgaren sich vom Osmanischen Reich losschlagen wollten, passt es in die aktuelle Rhetorik der Regierungspartei.