Im Neubad über Re-Use reden
Der gestrige Abend stand ganz unter dem Leitgedanken des Wiederverwendens. Und wo könnte man ein solches Thema besser besprechen können als im Neubad in Luzern? «Wiederverwenden statt Wegwerfen» stellt dabei nur den ersten Teil einer Gesprächsreihe dar, die die Luzerner Baugenossenschaft Wohnwerk gemeinsam mit dem Verein Neubad ausrichtet.
Text: Nicole Müller – 8.12.2021
2013 wurde das ehemalige Hallenbad der ursprünglichen Nutzung entfremdet, nachdem auf der Allmend ein neues Sportgebäude errichtet wurde. Dem Pool wurde das Wasser entnommen, sodass das ehemalige Becken nun Veranstaltungen vielfältiger Art dienen kann; die Beckenabsenkung eignet sich als Tribüne, die ehemalige Wasserrutsche als Lichtinstallation. Aus dem Kinderschwimmbecken wurde ein Co-Working-Space inklusive Fotolabor und Besprechungszimmer. Der Garderobenbereich wich Ateliers zum Anmieten für die Kreativwirtschaft, dort befindet sich nun auch das Büro des Vereins Neubad selbst. Wo sich früher die Wasseraufbereitung befand, kann heute getanzt werden; Treppenhäuser werden als Galerien genutzt, die Bar im Eingangsbereich ist rege besucht und auch Garten und Terrassen dienen als Ort des Austauschs. Sogar die für das Bad typischen weissen Fliesen werden spielerisch wiederverwendet: In physischer Form oder auch in grafischer – als Raster auf den etlichen Veranstaltungsplakaten.
Nostalgie schafft Identität.
Dort wo die Kreativität der Beteiligten an jeder noch so kleinen Ecke zu spüren ist, trägt Wohnwerk mit «WohnWerkStadt» nun eine Reihe von Veranstaltungen rund um das Thema der zukunftsfähigen Stadtentwicklung aus. Der gestrige Abend stellte den Auftakt dar. Passend zum Veranstaltungsort wählte man das polarisierende Thema des Re-Use, der Wiederverwendung. Auch zeitlich ist das Thema passend gewählt, brachte das Baubüro in situ doch erst im November dazu ihr Handbuch «Bauteile wiederverwenden» heraus: ein ausführliches Nachschlagewerk, in welchem konkrete Bauteile hinsichtlich architektonischer, ökonomischer, energetischer, rechtlicher und weiterer Faktoren ausgewertet werden.
Zahlen und Fakten
Natürlich durfte an diesem Abend demnach auch eine Vertretung von in situ nicht auf dem Podium fehlen. Andreas Haug eröffnete die Veranstaltung mit einer kurzen Vorstellung der letzten Projekte sowie einer Aufreihung von Grenzen und Chancen der Wiederverwendung von Baumaterialien und widmete sich zum Abschluss seines Vortrags kurz auch der Frage, ob wir Architekt*innen anders bauen müssen.
Die Zahlen und Fakten, die dabei an die Beckenwand geworfen werden, bleiben im Kopf kleben: Während die Betriebsenergie der Gebäude im Laufe der letzten 50 Jahre drastisch gesenkt werden konnte, ist die graue Energie noch immer auf dem Niveau der Sechziger Jahre. 30 Jahre Heizen eines Gebäudes entspräche somit nur einem Viertel der beim Bau eingearbeiteten grauen Energie.
Grundlagen zur Arbeit mit «erjagten» Materialien, ein Begriff den das Baubüro in situ durch ihre sogenannten «Bauteiljäger» in den Diskurs eingebracht haben, werden angesprochen: additives, überlappendes Zusammenfügen, Verwendung von rohen, beständigen Materialien, Systemtrennung (Aufputzmontage), Flexibilität im Entwurf und Offenheit für Neuinterpretation. Es geht darum, in Schlaufen zu arbeiten und Rückfallebenen einzuplanen.
Aber Haug zeigt unmittelbar auch die Grenzen der Wiederverwendung auf. Sparte das Büro bei seinem Pionierprojekt K. 118 um die 75 Prozent CO2 ein, waren es bei der Umnutzung des Werkstadt-Areals in Zürich bis zu 90 Prozent bei einem Anteil von einem Prozent wiederverwendeten Materialien. Final heisst das: Im Blick auf den Klimawandel ist das oberste Kredo das des Nicht-Bauens und Umnutzens, erst danach steht das Re-Use.
Einigkeit
Es schloss die Gesprächsrunde an, die durch Andreas Wirz – mit dem Büro Archipel in der Projektentwicklung und Beratung tätig – auf frische und fordernde Weise moderiert wurde. Mit Vertreter*innen der Stadt, der Pensionskasse Stiftung Abendrot, der Baugenossenschaft Wohnwerk und eben des Baubüros in situ war die Runde bunt gemischt, dennoch war man sich im Kern recht einig – nämlich, dass sich im Entwerfen und Planen und auch am städtebaulichen und rechtlichen Korsett etwas Grundlegendes ändern müsse. Die Zuhörenden erlebten in dem alten Schwimmbad eine lebendige und auch emotionale Gesprächsrunde, in der momentane Schwachstellen offen angesprochen wurden und man auch ehrlich und unverblümt zugab, auf manche Fragen momentan noch keine Antwort zu wissen. Klar aber ist: Verantwortung muss übernommen, die einzelnen Beteiligten mutiger und Ziele formuliert werden. Der Weg jedoch soll offen bleiben, denn im Endeffekt sind es Denkfreiraum und Störungen, die kreative Lösungen hervorbringen.
Am 2. Februar folgt die zweite Veranstaltung der Reihe im Neubad Luzern, mit dem Titel «Die unfertige Stadt | Stadtplanung der Zukunft». Wir werden dort sein, ihr auch?
> Worüber reden wir, wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen? 2009 brachte archithese dazu ein Heft.