Klick Sie auf das Bild, um durch die Galerie zu blättern.
Im Licht der Schattenfuge
Der Bund Schweizer Architekten (BSA) präsentierte seine neueste Publikation Formkraft der Konstruktion auf dem imposanten Firmengelände des Fertigteilherstellers Element. Komplettiert wurde der gelungene Rahmen durch Anna Rosellinis Vortrag über Louis Kahn und seine Arbeit mit Sichtbeton.
Text & Bilder: Hella Schindel – 27.9.2016
Der Ort, an den der BSA einlud, hatte Format: Das Gelände der Firma Element in Tafers, einem Hersteller von Betonfertigteilen. Eine stattliche Gruppe von Interessierten fand sich zwischen Hallen wieder, in denen bis zu 50 Meter lange Betonteile gegossen werden. Über unsere Köpfe sauste ein gelber Wagen auf Schienen zwischen den Kies- und Sandsilos und den Hallen hin und her, um frischen Beton anzuliefern. Dieser wird direkt in die verschiedenen Schalformen gefüllt und anschliessend von den Mitarbeitern mit lumpenumwickelten Besen glattgestreichelt. Ist die Masse ausgehärtet, wird das Objekt mit Hilfe von Stahllaschen angehoben und hochkant zu den bereitstehenden Lastwagen abtransportiert.
Wir wanderten durch eine wahre Geisterstadt aus Hohlkörpern, Wänden und allerhand Spezialteilen, fertig für den Einsatzort. Wie beeindruckend war es, den gesamten Entstehungsprozess inklusive Tischlerwerktatt für die Schalungsformen und Eisenbiegehalle für die Armierungen bis hin zum Fuhrpark der extralangen Transporter vor Ort live in Augenschein zu nehmen.
Louis Kahn als inspirierender Pionier des Sichtbetons
Nach der Führung durch das Werk wurde die Architektenschar in eine Halle gebeten und das Augenmerk vom ganz Grossen auf das ganz Kleine gelenkt: Gastreferentin Anna Rosellini, Architekturhistorikerin aus Bologna, sprach sehr versiert über Louis Kahn und sein Verhältnis zu dem Material Beton. Der Fokus ihrer Betrachtung lag dabei auf der Hinwendung Kahns an den Beton als sichtbares Baumaterial: Indem er den Herstellungsprozess durch das sorgfältige Platzieren der Ankerlöcher und das Abbilden der Schalungsbretter auf dem Baukörper zur Schau stellte und ästhetisierte, gelang ihm poetische Gestaltung mit dem rohen Material, ohne es irgendwie zu dekorieren. Seine Überlegungen dazu gipfelten in einer langen Reihe möglicher Fugenausbildungen. Anhand von Abbildungen zu den Bauten jener Zeit erläuterte Frau Rosellini die akribischen Experimente Kahns, die schliesslich zur Entwicklung der berühmten Schattenfuge führten.
Anschliessend präsentierte der Vorstand des Berner BSA die Publikation Formkraft der Konstruktion, deren Veröffentlichung der eigentliche Anlass dieses Treffens war: Im Rahmen der Stipendien für bildende Kunst, Fotografie und Architektur der Kantons Bern 2014/15 wurden Bauten der Region aus den 1960er- und 1970er-Jahren untersucht und dokumentiert, die sich durch eine genuine Konstruktion, die gleichzeitig die Gestalt der Baukörpers prägt, hervorheben. Diese Gebäude sind Entdeckungen und allesamt eine Besichtigung wert.
Ein Appell neue Wege zu beschreiten
Im Grunde aber ist das Buch ein Aufruf zum ungemütlichen Denken, Aufbrechen von Strukturen, Infragestellen von Richtlinien und letztlich zum Überschreiten von Grenzen. Um zu zeigen, dass diese Haltung in Bern funktionieren kann, erinnerte Patrick Thurston an die radikalen Zeiten der Kunsthalle Bern, als mit der Ausstellung When Attitudes Become Form 1969 Neuland betreten wurde. Er fordert die Architekturschaffenden auf, sich den Bauaufgaben der Gegenwart mit ebensolchem Mut zu stellen. Statt der Wiederholung bewährter Systeme gelte es das Tragwerk wieder als Teil des Entwurfs zu begreifen und sich dem ästhetischen Potenzial der Konstruktion zu werden. Derart ermuntert und vom reichen Buffet gestärkt begaben sich die Gäste zum letzten Bus zurück nach Bern, um bei ihren nächsten Gestaltungen hoffentlich neue Wege zu beschreiten.
Das Buch Formkarft der Konstruktion von Patrick Thurston, Reto Mosimann, Daniele Di Giacinto und Marcel Hügi kann für CHF 25 unter mail@bsa-bern.ch bestellt werden.