How slow are you exactly?
Durchschnittlich verweilen Nutzer 40 Sekunden auf einer Website, bevor sie den nächsten Tab öffnen. Der Webbrowser Chrome stürzt – je nach Prozessor – bei circa 9000 geöffneten Tabs ab. Welchen Reiz Printmedien in Zeiten (digitaler) Informationsfülle haben, diskutierten Redaktoren verschiedener Printmedien an der ETH Zürich.
Text: Leonie Charlotte Wagner – 27.5.2019
Fotos: Mike Taylor
Print & Periodicity
Publishing in architecture ist eine Serie, die sich seit 2017 in Form von Symposien und Installationen mit Architektur und Publizistik beschäftigt. Veranstaltungen fanden in Basel, Zürich und Berlin statt. Zur vierten Runde «Print & Periodicity» waren Redaktorinnen und Redaktoren vom Hochschulmagazin der ETH Zürich trans, The Site aus Kanada, das Schweizer Magazin Delphi und Planphase aus München zu Gast. Die Moderatoren Steffen Hägele und Francisco Moura Veiga zogen die Diskussion an Fragen rund um die Print-Favoriten der Redaktoren auf. Die Gäste wurden gebeten zu erklären, warum die gewählten Publikationen wichtig für die Architekturwelt und für sie persönlich sind.
Print-Lieblinge
Die präsentierten Publikationen waren Zündstoff für das das breite Spektrum an Gedanken, die auf dem Symposium diskutiert wurden. Überraschend hierbei war, dass die gewählten Printmedien – die ja auch Inspirationsquelle der anwesenden Redakteure sind – nicht unbedingt mit ihren eigenen Magazinen kongruierten.
Tibor Bielicky von Planphase setzte auf Pamphlet Architecture von der Princeton Architectural Press, da es als Abkömmling des Zine-Formats für eine schnelle Produktion stehe und ohne Editorial Board arbeite. Planphase selbst hingegen arbeitet mit einer Redaktionskommission, erscheint halbjährlich und die sorgfältig ausgearbeiteten Artikel erinnern in keinster Weise an ein Zine. Typischerweise erscheinen Zines inoffiziell und in sehr kleine Auflage als Kommuniksationsmedium in Subkulturen. Durch die «do-it-yourself» Philosophie entsteht oft eine sehr persönliche Verbindung zwischen Lesern und Zinemachern.
Anders hingegen The Site. Mike Taylor betonte die Wichtigkeit von Storytelling auch im Architekturjournalismus, indem er den Artikel The Tower aus der London Review of Books mitbrachte, in welchem der Brand des Grenfell Towers aufgearbeitet wurde. Somit harmoniert die Wahl der zweimal jährlich erscheinenden The Site mit den Ansprüchen des eigenen Hefts: Es legt Wert darauf, Architektur an ein externes Publikum zu vermitteln – wenn möglich sogar an Nicht-Architekten, wofür Storytelling eine durchaus geeignete Schreibtechnik ist.
Mit everything else than junkspace brachten die Redaktoren von Delphi die radikalste Publikation des Abends ins Spiel. Der bestimmt 1000-seitige Band hat kein Cover, keine Editorial Board und keinen Graphik Designer. Es ist, um es mit den Worten der Redaktoren zu sagen «just text, glued together – like junkspace». Zur Krönung ist das Riesenbuch auch noch eine Eigenproduktion. Dies scheint mit einem Augenzwinkern zu bedeuten, dass man eben als Produzent mitunter am meisten Genuss am eigenen Magazin findet. Dieses Statement passt zum Format von Delphi selbst. Das unregelmässig erscheinende zine-artige Heft ist als interner Gesprächsraum in Heftform gedacht. Jede Ausgabe wird von einem anderen Künstler produziert, so dass jede Ausgabe zu einem Sprachrohr des jeweiligen Autors wird, auf welches die nächste Ausgabe reagieren kann. Das Format des Magazins dient dabei als Gesprächsrahmen, wobei laut Herausgeber die einzige Konstante das A4-Format ist.
Ein wenig irritierend war es, dass trans als studentisches Magazin und damit wohl unabhängigste Publikation des Abends, das Hochparterre mitbrachte. trans sieht in Hochparterre vor allem ein Werkzeug, mit dem Entscheidungsprozesse bei Wettbewerben nachvollzogen werden können. Das Heft sei, so Joël Berger, somit auch ein Spiegelbild für aktuelle gesellschaftliche Fragen. Die Redaktion der trans wird jeweils nach einem Jahr komplett ausgewechselt, sodass das Heft theoretisch jedes Jahr eine vollkommene Metamorphose durchmachen könnte und dies auch immer wieder tut. Hochparterre hingegen ist in Format und Inhalt eher auf Tagespolitik fokussiert und schaut nicht wie trans auf übergeordnete kulturelle Themen.
In | for | ma | ti | ons | flut
Laut Duden meint Informationsflut eine «geistig kaum oder nicht zu verarbeitende Informationsfülle». In der Diskussionsrunde dominierte die Auffassung, dass Printmedien ein produktiver Gegenpol zum Informationsrausch bilden. Trotz der Vielfalt der Magazine waren sich alle Redaktoren einig, dass Printmedien als physische Momentaufnahme eines potentiell endlosen Gedankenspiels ein wertvolles Werkzeug sind. In einem scheinbar unendlichen Fluss von Informationen und Möglichkeiten sich auszudrücken, sowie Geschriebenes wieder und wieder zu überarbeiten, wirkt das Printmedium wie ein (vorläufiger) Schlusspunkt. Redakteure der trans merkten an, dass es Architekten generell schwerfalle, Entscheidungen zu treffen. Printmedien seien daher ein brauchbares Format in der Architekturwelt. Ähnlich der Skizze, die einen räumlichen Versuch auf Papier einfriert, schafft es das Printmedium Gedanken festzuhalten und damit auch zu beschränken.
Slow Journalism
Essentiell für die Redaktoren ist die Langsamkeit von Print- im Vergleich zu Onlinepublizistik. Magazine sind im Hinblick auf ihre Produktionsgeschwindigkeit zwischen Büchern und Online einzuordnen. Einige Magazine haben beinahe einen Buchcharakter, weshalb im Laufe des Abends die Unterschiede von Magazinen und Büchern angesprochen wurden. Besonders an Magazinen sei ihre Vorläufigkeit, die sich aus dem Erscheinen mehrerer zeitlich versetzter Ausgaben ableitet. Nach dem Motto: «Es ist ja nur für ein paar Monate, dann kommt die neue Ausgabe heraus», seien Magazine, mehr als Bücher, ein Spiegel ihrer Zeit. Sie würden unmittelbarer funktionieren als Bücher, die, wie Tibor Bielicky von Planphase anmerkte, zeitloser sein sollten.
Es ist die Rede vom Einfrieren der Zeit und damit auch vom Einfrieren von Fehlern. Die Herausgeber von Delphi betonten, dass mitunter sehr viel Zeit verstreiche, bis eine Ausgabe dann schliesslich in den Druck gehe. Zeit ist für das Team von Delphi ein so weitläufiges Konzept, dass die Frage, «How slow are you exactly?» ohne Antwort bleiben konnte.
Print vs. Digital?
Um digitale Publizistik ging es an diesem Abend nicht. Einzig The Site sprach das supplementäre Zusammenspiel von digitaler- und Printpublizistik an und stellte sich somit nicht eindeutig auf die Seite der Printverfechter. Da die Arbeit eines Printmediums selbst auch immer digitalen Medien rezipiert, ist die strenge Trennung in Print- und Digitalpublizistik gar nicht so sinnvoll, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Auch Format und Design der Magazine sind massgeblich vom digitalen Turn gezeichnet. Wahrscheinlich gibt es also keine Reinform von digitaler oder Print-Publizistik, weshalb es sich sicherlich lohnen würde, die Schnittstelle beider Publikationsformen weiter zu diskutieren.
> archithese berichtete über die erste Veranstaltung von publishing in architecture 2017.