Haus «Truog Gugalun», Safiental, 1992–93
Über die staatliche Steuerung des sozialen Wohnens in England
Autor: Peter Zumthor
erschienen in archithese 5.1995, Bauen mit Holz, S. 12–15.
Ein kleiner Hof, schmale Existenzgrundlage einer Bergbauernfamilie über Generationen (der Stubenteil datiert von 1760), war für die Nachfahren, die das Gütchen geerbt haben, so zu erneuern, dass er zeitgemäss bewohnt werden kann, ohne seinen Zauber zu verlieren – den Zauber seiner abgeschiedenen Lage am Nordhang (gugalun = den Mond anschauen) unter einer baumbestandenen Krete, die Natürlichkeit des Fusspfades, der als einzige Erschliessung der Krete entlang zum Haus hinabführt, die Spuren des Alters: des schmalbrüstigen, auf schlechtem Fundament schief gewordenen Stubenteils mit seinen zahlreichen Flickstellen im Holzwerk, die erkennen lassen, wie klein die Fenster und wie niedrig die Decken und Türen ursprünglich waren.
Der Entwurf respektiert diese Dinge. Unter einem gemeinsamen neuen Dach wurde dem Bestehenden nur das hinzugefügt, was ihm aus heutiger Sicht fehlte: eine moderne Küche, Bad und Toilette, zwei Kammern mit grösseren Fenstern, eine zusätzliche Holzfeuerung. Dabei haben wir versucht, darauf zu achten, dass eine neue Ganzheit entsteht, in der alt und neu auf gehen. In zehn Jahren, wenn die Sonne die neuen Holzbalken geschwärzt hat, wird man sehen, wie dieses Ziel erreicht wurde.
«Strickbauten» heissen in Graubünden die aus massiven Holzbalken gefügten Blockhausbauten. Und um-stricken oder weiter-stricken war auch das Thema unseres Entwurfes.
Der Grundriss ist so angelegt, dass im neuen Teil die für die alten Bauernhäuser der Region klassische Abfolge von Stubenteil (alt), Quergang mit Treppe (neu), Küchenteil (neu) wieder aufscheint. Der ehemalige Küchenteil war nach diesem traditionellen Grundmuster gebaut. Historisch von geringerer Bedeutung und in einem schlechten Zustand wurde er zum Ort des Eingriffs. Die notwendige Vergrösserung des Baukörpers erfolgte hier, hinten am Hang. Der talseitige Stubenteil durfte seinen Ort behalten.
Eine Wanne aus Beton fasst den neuen Einschnitt in den Hang ein. Die Holzschale der Aussenwände ist in diesen Einschnitt hineingestellt. Sie ist selbsttragend, durch die Dachkonstruktion gehalten und besteht aus balkenähnlichen Hohlkastenelementen, horizontal geschichtet, wärmegedämmt, mit abgesperrten Seitenteilen (keine Setzungen) und nach aussen simsartig vorspringenden Horizontalteilen aus Massivholz (Haltbarkeit im Wetter).
Die neue Unterteilung im Innern ist gebaut wie ein Kartenhaus, das in den von der Aussenschale gebildeten Grossraum hineingestellt ist. Die «Karten» – vorgefertigte, abgesperrte Wand- und Deckenelemente, belegt mit Erlenholz, sind sichtbar gefügt, so wie es die Raumteilung und die Statik erfordern. Sie schliessen nahtlos an einen pilzförmigen Bauteil aus Beton an, der in der hinteren Ecke des neuen Hausteiles steht.
Dieser Bauteil, seiner komplexen und homogenen Form wegen liebevoll «Betontier» genannt, schwarz eingefärbt und eingeölt, ist selbsttragend. Er wächst aus der Bodenplatte, ohne die Holzteile der Aussenschale zu berühren, überdeckt Teile der Küche und trägt - oder besser: bildet das Bad im Obergeschoss. Die an Ort gegossene Konstruktion enthält die Wasserleitungen, den Kamin und die Holzfeuerung, die nach dem Hypokaust-Prinzip funktioniert. Die Betonmasse speichert die Wärme, die im integrierten System der Luftkanäle zirkuliert.
Architekt: Peter Zumthor, Haldenstein (Mitarbeiter: Beat Müller und Zeno Vogel). (Fotos: Henry P. Schultz).
> Der Artikel wurde ursprünglich veröffentlicht in archithese 5.1995 Bauen mit Holz.