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Haltung, Notwendigkeit, Kapitalismuskritik

«Teaching Sustainability» – wie unterrichtet man nachhaltiges Design? Muck Petzets Professur an der Accademia di architettura lud am 11. und 12. Oktober zur Verhandlung dieser wichtigen Zukunftsfrage nach Mendrisio ein. Experten aus der Schweiz, Belgien, Deutschland, Italien, Neuseeland und den Niederlanden folgten dem Ruf und lieferten ein Stakkato von 13 spannenden Vorträgen, in denen sie ihre Erfahrungen aus der Lehre schilderten und sich zugleich zum Thema Nachhaltigkeit positionierten.

 

Text: Elias Baumgarten – 31.10.2016
Bilder: Andrea Roscetti

Wie kann man junge Nachwuchsarchitekten zu nachhaltigem Design erziehen? Wie kann man etwas vermitteln, das eher eine Haltung ist, denn eine wissenschaftliche Praxis? Diese Fragen wurden auf dem zweitägigen Symposium «Teaching Sustainability» an der USI diskutiert, denn das Thema werde immer dringlicher und tragfähige Lösungen seien nicht in Sicht, mahnten etwa die Referenten Brenda und Robert Vale von der Victoria University of Wellington. Seit bald vier Dekaden beschäftigen die beiden sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und versuchen Architekturschaffende und Ingenieure für die Problematik zu sensibilisieren. Und doch unser Planet sei heute in einem prekäreren Zustand denn je. Ein bisschen frustrierend sei das schon, sagten sie. Trotzdem bleibe wichtig in der Lehre auf eine Veränderung des Lebensstils jedes Einzelnen hinzuwirken, um den ökologischen Fussabdruck, zu dem Gebäude einen grossen Teil beitragen, endlich signifikant zu reduzieren. Jungen Architekten dies zu vermitteln sei besonders schwer stichelte Brenda Vale mit einem Augenzwinkern, denn ihr komme die Szene manchmal reichlich rechts-autoritär eingestellt vor und könne dem Umweltschutz wenig abgewinnen. Doch welche Ansätze und Unterrichtsmethoden präsentierten die übrigen Experten? Der folgende Text lässt beispielhaft vier Vorträge der sehr dichten und inspirierenden Veranstaltung Revue passieren.

 

Integratives Denken
Muck Petzet machte mit seinem Vortrag «About Teaching Sustainability» den Auftakt zum Symposium. Für ihn sei nachhaltiges Design eine Einstellung und keine wissenschaftliche Disziplin, wie er gleich zu Anfang herausstellte. Doch wie kann eine solche Haltung vermittelt werden? Zuallererst müsse das tradierte Rollenbild des Architekten revidiert werden. Architekturschaffende würden die Welt nicht von Grund auf neu entwerfen, so Petzet, sondern müssten das Vorhandene adaptieren und verbessern. Man könne sich nicht einfach dem Bestand entledigen und bei Null starten. Dem Arbeiten an bestehenden Bauten komme eine grosse Wichtigkeit zu und es müsste das Potenzial technischer Entwicklung endlich voll ausgeschöpft werden.

Zudem brauche es ein «integratives Denken», Architektur müsse mit Natur iin Einklang gebracht werden, statt sie zu verdrängen oder zu schädigen. Man müsse die Negativfolie vom Bauen als Umweltzerstörung hinter sich lassen. Doch wie kann beides Teil des Unterrichts sein, gerade an einer Schule wie der Accademia, wo die Arbeit in den Designstudios so viel Zeit beansprucht? Indem Nachhaltigkeit in den Entwurfsunterricht integriert wird, so Petzets Antwort. Seine Professur arbeite daher bereits intensiv mit den Studios zusammen, um in den Entwurfsthemen relevante Fragestellungen zu identifizieren und gemeinsam mit den Studierenden voranzutreiben.

 

An Konkretem lernen
Research müsse der Praxis dienen und nicht einem universitären Milieu forderte Alberto Bruno von Cucinella Architects aus Bologna und beklagte den fehlenden Austausch zwischen Akademie und Büros. Um dieses Problem zu beheben hat das italienische Büro vor einem Jahr die private SOS School of Sustainability gegründet. Dort besteht die Ausbildung zu einem gewichtigen Teil aus der Arbeit an konkreten Projekten des Büros. Auf diese Weise werde die verlorengegangene Kopplung zwischen Theorie und Praxis wiederhergestellt und die Studierenden lernten nachhaltiges Design am konkreten Projekt. Kritik an diesem Modell äusserte sogleich Architekturtheoretiker und Mitorganisator Mathieu Wellner: Dienen hier Nachwuchsarchitekten nicht primär als günstige Arbeitskräfte?

 

Get Real!
Diese Forderung formulierte Anne Beim von der Königlich Dänischen Kunstakademie. Nachhaltigkeit sei keine Haltung, sondern eine schlichte Notwendigkeit. Es sei an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen mahnte sie. Denn, so fügte sie an, wenn ihr Hausboot im Hafen von Kopenhagen während immer heftigerer Herbststürme über immer höhere Wellen tanze und sie täglich den stetig steigenden Meerspiegel beobachte, könne sie den Klimawandel nicht länger ignorieren.

Eines der aus architektonischer Perspektive grössten Umweltprobleme Dänemarks seien die Berge an Bauschutt und Müll alter Gebäude. In ihrem Studio gestaltet sie deshalb gemeinsam mit den Studierenden Architekturen für einen Lebenszyklus, die nachher zerlegt und neuer Verwendung zugeführt werden können.

 

Kritisch denken... bitte!
Niemand habe Kapitalismuskritik geübt und sich mit der wirtschaftlichen Ausschlachtung des Klimawandels befasst, kritisierte Emily Eliza Scott vom Institut gta der ETH Zürich zum Schluss des Symposiums. Stattdessen, so die Kulturgeografin und Kunsthistorikerin, habe sie wiederholt Begriffe wie «Investment», «Innovation» oder «Stockholder» zu hören bekommen. Eine Diktion, die den Einfluss der Wirtschaft auf die Schulen offenlege – Referenten wie Marius Nygaard von der Oslo School of Architecture hatten zuvor die Unterstützung ihrer Schulen und Programme durch die Industrie offen angetönt.

Ihr dagegen sei es wichtig, so betonte Scott, zum kritischen Denken anzuhalten, Selbstreflexion zu fördern und eine «eurozentrische» und «formalistische» Betrachtungsweise abzustreifen. Mit ihren Seminaren wie «Situating Climate Change» versuche sie deshalb die politische, soziale und geschichtliche Dimension des Klimawandels auszuleuchten, etwa den Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung in des nördlichen Hemisphäre und Desertifikation im Süden, oder auch zwischen Klimaveränderungen und dem Konflikt in Syrien. Wie bei Brenda und Robert Vale zielt ihr Ansatz also besonders auf Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung ab. Brenda Vale dürfte Emily Eliza Scotts kritisches Statement gefallen haben.

 
Weiter Informationen und Material finden Sie Kürze im Sustainable Design Blog von Muck Petzet und seinem Team sowie hier.

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