Grenzenlos
Europa wächst zusammen. Das zeigt sich auch in der Metropolitanregion Basel, die sich über die Schweiz, Deutschland und Frankreich erstreckt. Seit 2010 hat eine Internationale Bauausstellung als erste grenzüberschreitende IBA versucht, die vorhandenen räumlichen und architektonischen Verflechtungen weiterzudenken. Eigentlich sollten die Projekte, die sich vor allem mit Freiräumen beschäftigen, in diesem Jahr dem Publikum präsentiert werden. Doch die Corona-Pandemie legte nahe, dies auf das kommende Jahr zu verschieben. Die Expo der IBA Basel 2020 wird daher vom 30. April bis 6. Juni 2021 zu sehen sein. Die Soziologin Martina Löw ist Teil des wissenschaftlichen Kuratoriums der IBA Basel. Sie reflektiert im Interview mit archithese über die Erfolge der Bauausstellung und blickt in die Zukunft der Region.
Interview: Jørg Himmelreich – 19. November 2020
Jørg Himmelreich Die IBA Basel ist die erste, grenzüberschreitende und trinationale Schau in der langen Tradition der Bauausstellungen. Zudem liegt damit zum ersten Mal der Hauptaustragungsort in der Schweiz und nicht in Deutschland. Zugleich haben die meisten Projekte wenig mit Bauen im klassischen Sinne zu tun, sondern mit Frei- und Erhohlungsräumen. Hätte die IBA nicht eigentlich Internationale Landschaftsschau Basel, Huningue, Weil am Rhein heissen müssen?
Martina Löw Die IBA Basel ist tatsächlich die erste, die grenzüberschreitend angelegt ist, und auch die erste, die ausserhalb von Deutschland stattgefunden hat. Die Hauptaustragungsorte liegen aber nicht ausschliesslich in der Schweiz, sondern sind auf alle drei Länder ausgeglichen verteilt. Verwiesen wird mit dem Titel nicht auf den Kanton oder die Stadt, sondern auf die Metropolitanregion Basel. Mit vielen kleinen und grossen Projekten ist es uns gelungen, die drei Länder noch stärker als bisher zu verknüpfen. Man denke nur an den Projektcluster Rheinliebe. Diese sind verteilt über 42 Kilometer an beiden Ufern des Rheins und verbinden in koordinierter, abgestimmter Planung nicht bloss räumlich, sondern auch in sozialer und ökologischer Hinsicht.
IBAs sollen Werkzeuge sein, um städtebauliche und architektonische Antworten auf Fragen zu finden, die vom gesellschaftlichen Wandel aufgeworfen werden.
Sie befasst sich mit Veränderungen in den raumrelevanten Kooperationen. Wir haben es mit einer Region zu tun, in der unterschiedliche Rahmenbedingungen, Gesetze, kulturspezifische Routinen und so weiter eine gemeinsame Raumplanung nicht leicht machen. Die IBA hat nach Antworten in Bezug auf neue Organisationsstrukturen und Qualitätskriterien, die grenzüberschreitend Gültigkeit bekommen, gesucht und versucht, in konkreten Projekten Lernprozesse zu stützen. Sie zielen beispielsweise darauf ab, in den gemeinsamen Freiräumen die Biodiversität zu stärken.
Stadt-Land
In Ihrem Buch Soziologie der Städte haben Sie einen Wandel in der Städteforschung beschrieben. Etwa, dass sich seit den 1970er-Jahren eine Kritik an der binären Stadt-Land Konstruktion entwickelt hat. Ist die IBA Basel in diesem Sinne als Versuch zu lesen, eine unzeitgemässe Stadt-Land Konzeption zu überwinden?
Es gibt weiterhin Stadt-Land-Differenzen, aber diese sind meist nur graduell. Es gehen zum Beispiel mehr Menschen auf dem Land in den Gottesdienst als in der Stadt und es gibt eine stärkere Orientierung an der Familie. Es gibt aber keine grundsätzlich unterschiedlichen Weisen, das Leben zu führen. Menschen, die auf dem Land wohnen, pendeln oft zur Arbeit in die Stadt, gehen dort ins Theater und kaufen dort ein. Sie führen – um wieder konkret über der Region der IBA zu reden – ein auf Basel bezogenes Leben, ähnlich wie die Menschen, die in Basel ihren Wohnsitz haben. Die IBA muss also keine Stadt-Land-Konzeption überwinden. Sie kann aber dazu beitragen, die vernachlässigten Zwischenräume attraktiver zu gestalten, die Zirkulation angenehmer werden zu lassen und das komplexe Gewebe, das die Region ausmacht, besser zu verstehen. Vielleicht haben Sie deshalb in Ihrer ersten Frage auch den Eindruck gehabt, sie sei eher Landschaftsschau denn Bauausstellung.
Zudem schrieben Sie: «Mit Eigenlogiken sind die verborgenen Strukturen der Städte als vor Ort eingespielte, zumeist stillschweigend wirksame Prozesse der Sinnkonstruktion gemeint.» Und Identitäten entstehen «in der Abgrenzung voneinander und aufeinander bezogen». Führen Projekte, welche Abgrenzungen aufheben, in der Folge dazu, dass die Eigenlogiken verschwinden?
Stellen Sie sich vor, Sie gründen ein Hausprojekt. Sie gestalten mit anderen Menschen gemeinsam Räume. Nicht alle, aber manche planen Sie gemeinsam. Sie richten Infrastrukturen ein, welche die Kommunikation fördern. Sie integrieren einen Aufzug, damit alle Bewohnenden jede Etage leicht erreichen können. Sie gestalten den Garten. Sie diskutieren den Anstrich des Hauses. Sie werden sich durch das Hausprojekt verändern, aber Sie verlieren deshalb nicht ihre Persönlichkeit. So kann auch die IBA verändern, ohne den Orten ihre Eigenlogik zu rauben.
Öffnen vs. Abschotten
Weiter war zu lesen: «Stadt solle nicht mehr über den Raum bestimmt werden, also nicht mehr territorial, sondern relational gedacht werden.» Dieser Gedanke steht im Gegensatz zur geopolitischen Situation. Wie schätzen Sie die derzeitigen Tendenzen zur Abschottung ein? Bewegen wir uns tatsächlich noch in Richtung einer Auflösung eines territorialen Raumbegriffs?
Aktuell erleben wir mit den politischen Reaktionen auf die Ausbreitung der Corona-Pandemie erneut unübersehbar territoriale Abschottungen. Menschen sollen in ihren Wohnungen bleiben, die sie wie Container umschliessen. Ländergrenzen wurden dicht gemacht. Ein territoriales Raumverständnis das territorial ist, leitet also in vielen Situationen emotional und kognitiv. Aber gleichzeitig treffen die Raumlogiken, die sich an Grenzen und Schliessung orientieren, auf entgrenzte und vernetzte Raumlogiken. Die Bahnen des Virus stehen für die Raumlogik der Zirkulation. Und die digitale Mediatisierung wirkt territorialen Räume entgegen. Viele Menschen sitzen nicht im Raumgefäss der eigenen Wohnung oder des eigenen Hauses isoliert und abgeschottet von der Umwelt. Sie sind stattdessen zu permanenten Videocalls und -konferenzen gezwungen. Im Berliner Sonderforschungsbereich 1265 sprechen wir daher von einer «Re-Figuration der Räume», da sich insbesondere die digitale Mediatisierung der räumlichen Einschliessung entgegenstellt.
Wurden für die IBA konkrete regionale Identitäten oder lokale Spezifika definiert? Was können Sie über die Eigenlogiken von Huningue, Basel und Weil am Rhein sagen?
Wir haben nicht zu jeder Stadt Studien über deren Eigenlogik durchgeführt. Die IBA Basel ging anders vor. Sie setzte an den Vernetzungen und Verbindungen an. Sie suchte das Gemeinsame, ohne jedoch Vielfalt und Unterschiede zu ignorieren. Die Öffentlichkeit darf dann im kommenden Jahr beurteilen, wenn die fertiggestellten Projekte in der Ausstellung vorgestellt werden, wie erfolgreich das war. Sicher hat sich mit der IBA Basel die interkulturelle Kompetenz in der Region verbessert. Zum Beispiel wurde in den IBA-Institutionen ein gemeinsamer Kriterienkatalog für die Bewertung von Projekten erarbeitet, der Qualitätsstandards definiert. Wie diese Qualitätsvorstellungen und neuen Verfahren in die alltägliche Arbeit professioneller Akteure in den drei Ländern eingeflossen sind, werden wir in einem anderen Projekt genau untersuchen.
Inwieweit haben abweichende länderspezifische juristische, behördliche und planerische Grundlagen die IBA-Projekte eingeschränkt?
Gemeinsam über drei Länder hinweg zu planen, verlangsamt die Prozesse. Die Regeln für Ausschreibungen unterscheiden sich. Entscheidungswege variieren. Dazu kommt, dass es sprachliche Barrieren gibt. Allein der Aufwand für Übersetzungen war riesig. Wenn man allerdings weiss, wer welchen Regeln folgt, dann kann man das einplanen. Es ist aber ein kontinuierlicher Lernprozess zu begreifen, was in welchem Land unter einem Masterplan zu verstehen ist und wo der oder die Bauamtsleiter*in, der oder die Bürgermeister*in beziehungsweise die Projektleitung entscheidet.
Money Talks
Bei einer IBA geht es neben der Profilierung einer Region auch um Geld; das heisst um die Frage, wer die Projekte finanziell stemmt. In Deutschland wurden häufig Bundes- und Landesmittel sowie Gelder aus den Kommunen in den IBAs konzentriert; die Bauaustellungen waren Vehikel, um Strukturwandel anzustossen. Wie war das bei der IBA Basel? Wer gab Geld und wofür und mit welchen Zielvorgaben? Was kommt aus Mitteln der Immobilienwirtschaft?
Woher das Geld kommt, das war immer ein grosses Thema in den IBA-Jahren. Die Immobilienwirtschaft wurde jedoch in das Finanzierungskonzept nicht einbezogen. Die IBA Basel kam in zehn Jahren mit knapp 12 Millionen Euro aus. Das Land Baden-Württemberg finanzierte teilweise die IBA Struktur, die EU gab Gelder aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (Interreg-Programm) und der Schweizer Bund Fördermittel aus dem Topf für «Neuen Regionalpolitik». Ansonsten wurden die Kosten von den Kommunen und Kantonen getragen, die sich an der IBA beteiligt haben. Die Projektentwicklung fand oft mit Unterstützung durch Interreg statt. Auch Förderungen als nationales Projekt des Städtebaus beziehungsweise das Agglomerationsprogramm des Schweizer Bundes oder der Région Grand Est waren wichtig.
Als die IBA startete, schien uns das 3Land, ein 175 Hektar grosses Entwicklungsgebiet beidseits des Rheins zwischen Dreirosen- und Palmrainbrücke, auf einer neuen Rheininsel und auf Teilen des Hafens das Herzstück der IBA zu sein. Was ist daraus geworden?
Das 3Land hat sich seitdem stark verändert. Es ist eine trinationale Vision für gemeinsame Entwicklung gereift. Die drei Länder haben sich intensiv mit den – dort jeweils unterschiedlich bewerteten – Qualitäten von Stadtentwicklung befasst und dann klare Kriterien für ein nachhaltiges 3Land definiert. Diese gelten jetzt für das gesamte Entwicklungsgebiet. In Huningue wendet ein privater Investor für die Parzelle direkt am Rhein nun die neuen Standards an – ein erster Pilotversuch ist gestartet. Auf eine trinationale Verkehrsstudie folgt gerade die Kosten-Nutzen-Analyse. Und neue Grünverbindungen werden bis Frühling 2021 sichtbar sein.
Wenn die IBA sich im kommenden Jahr dem Publikum präsentieren wird: Welche Bauwerke und Projekte sind dann fertiggestellt, die man besuchen kann? Und was denken Sie, wird in der öffentlichen Wahrnehmung und in der Presse besonderen Anklang finden?
Man kann die Belebung und Nutzung von Bahnhöfen sehen. Die DMC / motoco – ein Veranstaltungsort in Mulhouse – wird zeigen, wie Industriebrachen neu belebt und in das Stadtleben integriert werden können. Und der Spur der IBA Rheinliebe entlang der Flussufer kann man im Rahmen eines Spazierganges folgen. Im Kontext vom 3Land ist ein neuer Rheinpark in Weil am Rhein und eine neue Strandpromenade in Hunigue entstanden. Die neue Nutzung der Kiesgrube im IBA Parc des carrières wird zu besichtigen sein. Man kann Projekte entlang der Birs in allen Gemeinden von Muttenz bis nach Aesch erleben. Man kann den 24 Stops, ein Kunstweg, der die Schweiz mit Deutschland durch Rebberge führt, erlaufen. Und so viel mehr.
Agenden für die Zukunft
Welche Projekte oder Prozesse sollen über 2021 weitergeführt oder erst später zum Abschluss gebracht werden?
Der «Ausnahmezustand IBA» endet, die Prozesse jedoch nicht. Die neuen Organisationsstrukturen, die getesteten Planungsvorgehen und die Planungsvereinbarungen sollen verstetigt werden. Viele Fragen werden die Region weiter beschäftigen, zum Beispiel wie die Räume entlang der Tramline 3 in Bezug auf Strassenbau, Wohnungsbau und Freiräume weiterentwickelt werden können. Auch das Projekt 3Land geht weiter. In Rheinfelden in Baden steht die Entwicklung und Umsetzung des Bahnhofs auf der Tagesordnung. In Sierentz liegt eine städtebauliche Vorlage vor, die bis 2030 die baulichen Massnahmen definiert hat. Neben dem Pilotprojekt IBA Parc des carrières stehen 50 weitere Kiesgruben in der Region für neue Nutzungen bereit. Die Elektrifizierung der Hochrheinstrecke geht in die Umsetzung. Und für die IBA Rheinliebe sind weitere Baumassnahmen noch bis ins Jahr 2035 definiert. Es gibt noch viel zu tun…