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Geplanter Kontrollverlust

Der Künstler Andreas Schneider und die Architektin Estelle Bertholet zeigen in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Nici Jost eine Installation über Le Corbusiers Ferienhaus Le Cabanon und Eileen Grays Projekt E.1027. Die Inszenierung Lost In Control in den Räumen des Salon Mondial am Dreispitz in Basel behandelt den Konflikt, den die beiden Kultfiguren der Moderne zu Lebzeiten austrugen. Damit verweisen die Künstler auf die – in Architektur und Design – immer wiederkehrende Frage nach Urheberschaft und Kontrolle über das eigene Werk. 

 

Text: Kevin Anthony Guida  – 17.5.2019 
Bilder: Andreas Schneider 

 

Im malerischen Roquebrune-Cap-Martin an der Côte d‘Azur stehen zwei Ikonen der modernen Baukunst in unmittelbarer Nachbarschaft, deren Geschichte über die Jahre zunehmend unübersichtlicher wurde und damals wie heute für Diskussionen sorgt: Le Corbusiers Le Cabanon (1952) und Eileen Grays E.1027 (1929). Dabei geht es weniger um die eigentliche Bausubstanz als vielmehr um Le Corbusiers Zutun in Grays architektonischem Erstlingswerk. Die Designerin und Innenarchitektin entwarf die moderne Ikone mit dem schlichten Namen in Zusammenarbeit mit Ihrem damaligen Lebenspartner Jean Badovici, seines Zeichens selbst Architekt und Herausgeber der Zeitschrift L’Architecture Vivante. Einfache weisse Wände bilden eine Hülle für ein fein artikuliertes Raumgefüge und sind mit dem dazu präzis geplanten Mobiliar als Gesamtwerk konzipiert. Hinter dem technisch anmutenden Namen verbirgt sich eine romantische Hommage: Das «E» steht für Eileen, die Ziffern 10, 2 und 7 symbolisieren die Stellen im Alphabet, also «J», «B» – für Jean Badovici – und «G» für Gray. Für das Haus entwarf sie ebenfalls den höhenverstellbaren Tisch mit dem gleichen Namen.

 

Verloren im Konflikt 
Dass das Wohnhaus E.1027 immer wieder mit Le Corbusier in Verbindung gebracht und ihm sogar von renommierten Architekturzeitschriften die Gebäude-Autorenschaft nachgesagt wurde, kam nicht zuletzt durch die Ähnlichkeit in Ausdruck und Typologie zu seinen früheren Entwürfen und seinen eigenen Bemühungen, die Villa zu erwerben. Mit Badovicis Zustimmung, jedoch gegen den Willen Grays, die sich zu diesem Zeitpunkt von Ihrem Partner getrennt hatte und ausgezogen war, schuf Le Corbusier auf den charakteristischen weissen Wänden des E.1027 im Jahre 1934 mehrere bunte Fresken. Provokant nackt liess er sich dabei fotografieren. Diesen Eingriff bezeichnete Gray als radikalen Eingriff in ihr ausgeklügeltes, harmonisch entworfenes Gesamtkunstwerk und führte zum endgültigen Zerwürfnis zwischen den beiden.

 

Wenn aus Feinden Nachbarn werden 
Oberhalb der Villa baute Corbusier schliesslich 1952 das Le Cabanon. Die für sich und seine Ehepartnerin Yvonne Gallis konstruierte minimale Ferienhütte eröffnet eine Aussicht auf die Villa und kann als Antithese zum eleganten und filigranen Wohnhaus verstanden werden. Einfach und roh ist der Bau ein spezifisch organisierter Raum, bei dem der Architekt seine Versuche der Raumabhängigkeiten und Zweckdienlichkeit auf die Spitze getrieben haben mag, die aber mit der heutigen Wohnraumfrage und dem Trend des minimalistischen Wohnens oder der Tiny House-Bewegung immer noch (oder wieder) aktuell sind. 

 

Späte Rache? 
Die eigenwillige Geschichte der Aneignung und das vielschichtige Verhältnis zwischen Eileen Gray und Le Corbusier sowie die damit verbundenen bruchstückhaften Überlieferungen inspirierten Andreas Schneider und Estelle Bertholet, eine solche Situation zu reproduzieren, um sich dadurch intensiv mit der Frage des Kontrollverlustes auseinandersetzen zu können. Mittels einer nationalen Ausschreibung, auf welche sich rund ein Dutzend Bewerber meldeten, wurde ein Künstler oder eine Künstlerin gesucht, einen Teil der Ausstellung zu vereinnahmen und – ähnlich wie Le Corbusier in der Villa – mit Malerei die Charakteristik des im Massstab 1:3 nachgebauten Cabanon gänzlich oder zumindest teilweise zu verändern. 

 

Think Pink! 
Den Zuschlag bekam Nici Jost. Die Künstlerin, die zusammen mit der Farbenfabrik Fiocchi ein eigenes pinkes Farbsystem entwickelt hat, arbeitet mit subtilen Nuancen, die eine spielerische Auseinandersetzung auf die psychologischen Auswirkungen der oftmals provokant wahrgenommenen Farbe mit sich bringt. Der Nachbau des Le Cabanon, der vor dem Kunstraum in der Luft hängt, ist aussenseitig mit einem Pinkton gestrichen, der fluoreszierende Pigmente enthält und zumeist im Rohbau als Markierungsfarbe verwendet wird. Die aussagekräftige Farbe sticht den Passanten schon von weitem ins Auge und kontrastiert so die umliegende Monochromie, die das Basler Dreispitz-Quartier vorweist. Im Innern ist die Hütte mit dem passenden Farbton Cell Pink ausgestaltet, welche namentlich an das klaustrophobische Gefühl einer Zelle erinnert, welche auch Le Cabanon bei dem ein oder anderen Besucher auslösen kann. Der fehlende Boden der Hütte sowie die von Le Corbusier entworfene Inneneinrichtung der Ferienhütte befinden sich im inneren Teil des Salon Mondial, wobei letztere – umgeben von einer raumumfassenden Wellen-Wandmalerei – lediglich als «skeletartige» Gittermodelle dargestellt werden. Die Inszenierung wird durch das auditive Rauschen von Naturgewalten untermalt und soll den Tod Le Corbusiers aufgreifen, der beim Schwimmen vor der idyllischen französischen Szenerie einen Herzinfarkt erlitt und ertrank. Unterstrichen wird die Installation durch verschiedene, zum Teil kritische Zitate Grays gegenüber Le Corbusiers Werk. 

 

Urheberschaft und Gesamtkunstwerk
Andreas Schneider und Estelle Bertholet finden mit der Installation eine ausgewogene Mischung zwischen Glorifizierung und Kritik und lassen es dem Betrachter offen, sich weitere Gedanken zu machen oder die Werke einfach auf sich wirken zu lassen. Die Ausstellung vermag leider nicht zur Gänze über den Konflikt zwischen den beiden aufzuklären – auch bedingt durch die stark voneinander abweichenden Überlieferungen –, doch regt die intensive Auseinandersetzung mit der Thematik der Urheberschaft zum Denken und Hinterfragen ideologischer Blickpunkte an. 

 

Die Installation Lost in Control ist vom 18. Mai bis zum 30. Juni 2019 in den Räumen des Salon Mondial am Dreispitz in Basel zu sehen.

 

archithese 4.1991 Eileen Gray betrachtet das Gesamtwerk der irischen Designerin und (Innen-) Architektin.

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