Gameful City: Die Stadt wird zum Spielfeld
«Smart City» – unter diesem Label werden Entwicklungskonzepte subsumiert, welche die Städte der Zukunft effizienter aber auch grüner und sozial inklusiver machen sollen. Dabei stehen vor allem neue digitale Technologien im Fokus; sie sollen den grossen urbanen Problemen zu Leibe rücken. Doch die per Masterplan umgesetzte Technikvision geht vielfach an den Bedürfnissen der Stadtgesellschaft vorbei. Zudem erfordert die Smart City Bewohner, die nicht blosse Konsumenten städtischer Leistung sind, sondern in der Lage aktiv mitzugestalten. Das Konzept «Gameful City» eröffnet nun eine humanere Alternative: Das Spielerische rückt den Menschen ins Zentrum und macht den Stadtbürger zum Agent of Change. Sie erzieht «smarte» Bürger, welche sich als mündige Akteure in partizipative Prozesse einklinken können.
Text: Nora S. Stampfl – 20.3.2017
Foto: David Grandmougin
Jeden Abend wird die Fassade der Tel Aviver Stadtverwaltung zu einer gigantischen Spielfläche und lädt zum Tetris-Spielen ein. Dabei wird jedes Fenster des Gebäudes zu einem Pixel auf einem 3 000 Quadratmeter grossen «Display». Über zwei 1,5 Meter hohe, auf dem Platz davor angebrachte Joysticks können Spielbegeisterte gegeneinander antreten. In London lassen sich indes über eine App die Wasserfontänen am Granary Square steuern, um wie im Viedospiel Snake «Schlangen» über den Platz laufen zu lassen. Mehrere Spieler können gleichzeitig über die Bewegungssensoren ihrer Smartphones ihre Schlange lenken. Und das Kunstprojekt Puzzle Facade verwandelt das Linzer Ars Electronica Center in einen riesigen Zauberwürfel; Passanten können diesen über ein spezielles Interface, welches die Farbflächen auf der Fassade verändert, lösen.
Es mehren sich Beispiele solcher Spielkonzepte im öffentlichen Raum. Verwirklicht werden diese Ideen mit Hilfe digitaler Technologien. Denn Smartphones und mobiles Internet, Geolokalisierung und Augmented Reality sowie ein immer dichteres Netz aus Sensoren sorgen dafür, dass eine digitale Schicht die Stadt überzieht. Weil die physische Architektur einer Stadt heuteeng verwoben ist mit einer unsichtbaren Informationsarchitektur, kann die Stadt zum Spielraum avancieren.
Mehr als Spielerei: Die Gameful City
Während die genannten Projekte jeweils viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, geht die Verbindung von Stadt und Spiel weit darüber hinaus, als bloss Videospielklassiker aufs Tapet zu bringen. Denn Städte bieten völlig neue Räume für Spiel. Zudem kann das Spielerische mehr als nur unterhalten, sondern durch Verhaltensbeeinflussung der Stadtbewohner Effekte haben. Eindrucksvoll demonstrierte dies die von der Schwedischen Gesellschaft für Verkehrssicherheit zusammen mit Volkswagen veranstaltete Speed Camera Lottery: Die «Lotterie» an der jeder Fahrer automatisch teilnahm, der sich an das Tempolimit hielt und die sich aus den Bussgeldern der Temposünder finanzierte, konnte die Durchschnittsgeschwindigkeit in Stockholm um 22 Prozent gesenkt werden.
Mit dem Schlagwort Gameful City wird der bewusste Einsatz von Spielprinzipien umschrieben, um Schnittstellen zwischen Bürgern und dem «Betriebssystem» der Stadt zu schaffen und ersteren neue Möglichkeiten zu eröffnen, mit der Stadt zu interagieren. Das Beispiel der Speed Camera Lottery zeigt eindrucksvoll, wie Spiele Situationen gestalten können, um Menschen zu einem bestimmten Verhalten zu animieren. Spielerisch wird etwa auch dazu ermuntert, auf das Auto zugunsten umweltfreundlicherer und gesünderer Verkehrsmittel zu verzichten. Das Mobilitätssystem mo verknüpft Fahrradverleihsysteme, öffentlichen Nahverkehr und Carsharing-Unternehmen, indem Nutzer mit ihrer Mitgliedskarte Zugang zu all diesen Verkehrsmitteln erhalten. Für die Nutzung werden sie mit mo-Meilen belohnt – je umweltfreundlicher die Mobilitätswahl, desto mehr Meilen werden gutgeschrieben. In Singapur lenkt Travel Smart Rewards Verkehrsströme von Peak- zu Off-Peak-Zeiten, indem Fahrgäste für jeden gefahrenen Kilometer Punkte verdienen. Wer dabei ausserhalb der Stosszeiten zusteigt, erspielt sich schneller Belohnungen. In einer Pilotphase konnten deutliche Nachfrageverschiebungen erreicht werden. Das von der EU geförderte Projekt EnerGAware indes stellt Transparenz über den eigenen Energieverbrauch her, führt aber auch tatsächliche Ersparnis herbei. Denn das Spiel motiviert – nicht zuletzt durch den Wettbewerb mit anderen Teilnehmern – zu veränderten, energiebewussteren Verhaltensweisen.
Doch Spiele liefern nicht nur ein motivationsförderndes Anreiz- und Belohnungssystem, sie können auch als Räume der Kommunikation und Interaktion, als Forschungs- und Experimentierfeld, als Orte des Probehandelns und Austestens aufgefasst werden. So entsteht derzeit eine Reihe von Spielen, wie etwa Community PlanIt oder Play the City, die Stadtplanungsprozesse mit spielerischen Mitteln aufladen und Bürger auf diese Weise an der Gestaltung ihres Umfelds beteiligen. Dabei werden verschiedene Spielformate genutzt, um die verschiedenen städtischen Stakeholder an kollaborativen Entscheidungsfindungsprozessen oder Konfliktlösungen zu beteiligen. Bürger erhalten etwa die Möglichkeit, sich auf einer Online-Plattform auszutauschen, sie haben Missionen auszuführen und erhalten dafür Punkte, welche sie für lokale Projekte ausgeben können. In der Gameful City könnte die Zukunft der Stadtentwicklung dann so aussehen: Wie in der Fantasiestadt SimCity werden Bewohner an der Stadt basteln, Ideen einbringen, Projekte austesten und Szenarien von Ressourcenallokationen und deren Effekte in Modellen echter Städte «durchspielen».
Gameful City als Wegebereiter der «Human Smart City»
Mit ihrer neuen Auffassung von Stadt, in der das Spielerische neue Beziehungen – zwischen den spielenden Bürgern sowie zwischen Menschen und Räumen – herstellt, könnte die Gameful City zum Wegbereiter einer humaneren Alternative zur Smart City werden. Denn in der «Human Smart City» steht stets der Mensch im Mittelpunkt und dies ist auch in Spielen zentral. So bildet die Idee der Human Smart City einen Kontrapunkt zum technologiefixierten Smart-City-Konzept, das heute als Allheilmittel für die vielfältigen Herausforderungen der Stadtentwicklung mantrahaft ins Feld geführt wird. Die Vision der schlauen Stadt umfasst ein hochtechnologisiertes System. Dabei ruft die am Reissbrett entworfene und nach streng kybernetischen Grundsätzen gesteuerte Smart City die Maschinenmetapher des 20. Jahrhunderts in Erinnerung: Die «Stadt als Maschine» ist perfekt organisiert, funktioniert reibungslos, der städtische Alltag geht störungsfrei vonstatten, getrimmt auf die Erreichung höchstmöglicher Effizienz. Darstellungen der smarten Vorzeigestädte wie Masdar in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Songdo in Südkorea erinnern an urbane Räume aus Science-Fiction-Filmen oder Videospielen – sauber und aalglatt. Weil die smarte Stadt nicht die Bedürfnisse der Stadtgesellschaft ins Zentrum rückt, sondern auf technologische Machbarkeiten fokussiert, weil sie «Lösungen» liefert für Probleme, die nie existierten, bringt kaum etwas das Dilemma der Smart City trefflicher auf den Punkt als ein Bonmot des britischen Architekten Cedric Price aus dem Jahr 1966: «Technology is the answer, but what was the question?»
Die urbanen Herausforderungen erscheinen heute als zu gross und komplex, als dass sie allein durch Technologie zu lösen wären. Vielmehr muss Technologie als Mittel wirken, in der Stadt der Zukunft ein Mehr an Demokratie, Kreativität und Partizipation zu orchestrieren. In einer wahren Smart City braucht es demnach vor allem «Smart Citizens», die nicht bloss passive Konsumenten städtischer Leistungen sind, sondern sich als Akteure in partizipative Prozesse einbringen.
Bereits R. Buckminster Fuller wollte in den 1960er-Jahren mit seinem World Game nach ganzheitlichen Lösungen für die grossen Weltprobleme suchen. Der amerikanische Architekt und Visionär war überzeugt, Spiele böten eine geeignete Oberfläche , um komplexen Herausforderungen durch spontane Kooperation zu begegnen. In dem computergesteuerten Spiel konnten die Teilnehmer Effekte ihrer eigenen Ideen in einer globalen Dimension erkennen. Fuller betrachtete das World Game als demokratischen Prozess, in den Menschen ihre Werte, Fantasie und Problemlösungskompetenz einbringen, um globale Herausforderungen durch bottom-up Mobilisierung statt top-down Planung zu überwinden. Darum kreist auch die Idee der Gameful City: «To win everybody had to win», wie es Fuller formulierte.
Nora S. Stampfl ist Inhaberin des f/21 Büro für Zukunftsfragen in Berlin und befasst sich mit Fragen des gesellschaftlichen Wandels, etwa dem Trend zur «Gamification».
> Wie Spieltheorie zum Forschungsinstrument avancieren kann und hilft, Transmigration zu verstehen.
> Mehr Visionen künftiger Städte finden Sie in archithese 4.2016 Science-Fiction.