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Wechselwirkungen zwischen Literatur und Architektur
Das Max Frisch-Archiv in Zürich hat die Laufzeit der von Margit Unser kuratierten Ausstellung Es wird nicht über Literatur gesprochen. Der Architekt Max Frisch bis zum 31. März 2017 verlängert. Sie zeigt in einer kleinen aber feinen Ausstellung anhand von Fotos, Plänen, Entwurfsskizzen, Zeitungsartikeln und Briefen Wechselwirkungen zwischen Frischs literarischem Werk und seiner Tätigkeit als Architekt auf.
Redaktion: Jørg Himmelreich – 6.9.2016
«Mit fünfundzwanzig Jahren muss ich nochmals auf die Schulbank zurück. Eine Freundin, als wir heiraten wollten, war der Meinung, dass ich vorerst etwas werden müsste.» Max Frisch warf seine Träume von der Schriftstellerei vorerst über Bord und begann 1936 an der ETH Zürich ein Architekturstudium. Was ihn zu dieser Wahl bewogen hat, war «das Unpapierne, Greifbare, Handwerkliche, die stoffliche Gestalt, und erst das wirkliche Bauen, vor allem die Verwirklichung eigner Entwürfe». Frisch schloss sein Studium 1940 ab und arbeitet danach 14 Jahre lang als Architekt.
Sein erster eigener Bau entstand bereits 1940–1941 – ein Einfamilienhaus für seinen Bruder Franz in Arlesheim in Baselland. Zwei Jahre später beteiligte er sich am Wettbewerb für den Bau des Freibads Letzigraben in Zürich, für den 65 Projekte eingereicht wurden. Max Frisch gewann den 1. Preis und erhielt CHF 3 000 Preisgeld. Dies ermöglichte es ihm, sich an der Selnaustrasse 16 in Zürich ein eigenes Architekturbüro einzurichten. Er nahm in der Folge an diversen Wettbewerben teil und verdiente sein Auskommen mit kleineren Umbauten. Aus kriegswirtschaftlichen Gründen und Kosteneinsparungen wurde mit dem Bau des Freibads Letzigraben erst im August 1947 begonnen. Im Juni 1949 wurde das Bad eingeweiht. Im Vorfeld ludt Frisch «Kritiker, Helfer, Begleiter auf literarischem Gebiet» zu einer Vorbesichtigung ein mit dem Versprechen: «Es wird nicht über Literatur gesprochen.»
1950 baut er im liechtensteinischen Schaan ein weiteres Einfamilienhaus, dieses Mal für den Haaröl-Fabrikanten Carl Franz Ferster. Die örtliche Bauleitung besorgte der bundesdeutsche Architekt Ernst Sommerlad, der als Wegbereiter der Moderne im Fürstentum Liechtenstein gilt. Trotz reibungsloser Bauarbeiten kam es kurz vor Fertigstellung mit dem Bauherrn zu einem Zerwürfnis, das 1952 in einem Gerichtsprozess endete. Zum damaligen Zeitpunkt schrieb Max Frisch das Hörspiel Herr Biedermann und die Brandstifter. Sicherlich kein Zufall, dass die Hauptfigur im Theaterstück sein Vermögen ebenfalls mit Haarwasser gemacht hat.
Doch auch während seiner Tätigkeit als Architekt brach Max Frisch nie endgültig mit der Literatur. Bereits 1939 veröffentlichte er die «Blätter aus dem Brotsack». 1944 erschien sein dritter Roman J’adore ce qui me brûle oder Die Schwierigen. Sein Welterfolg mit dem Roman Stiller (1954) ermöglichte es Frisch sein Architekturbüro aufzugeben und fortan vom Schreiben zu leben. Der letzte ausgeführte Entwurf des Architekten Frisch ist ein zweites Haus für seinen Bruder Franz, das 1960 in Porza im Tessin realisiert wurde.
Vitrine 2 – der Städtebau-Theoretiker
Die berufsbedingte Auseinandersetzung mit Architektur beeinflusste Max Frischs schriftstellerische Arbeit auf verschiedenen Ebenen. Schon 1941 hielt er im Essay Kunst der Erwartung – Anmerkung eines Architekten ein Plädoyer für Sprossenfenster, weil diese noch den «Zauber der Beschränkung», die «Weite der Ahnung und Erwartung» in sich trügen und die «Ausschweifung des täglichen Blickes» beschränkten. Seine Freuden und Leiden als junger Architekt beschrieb er im zweiteiligen Zeitungsartikel «Das erste Haus» (1942). Auch in seinem Tagebuch 1946–1949 beschäftigten ihn architektonische Fragen. Ein einjähriger Aufenthalt in den USA und eine Reise nach Mexiko (1951–52) wurden für ihn zum Auslöser einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Städtebau seiner Zeit. In seinem Reisealbum aus Mexiko Orchideen und Aasgeier schwärmte er: «Soviel gute, sogar hervorragende Beispiele fortschrittlicher Architektur habe ich noch nirgends getroffen. Besonders Hochhäuser.»
Die Architektur in der Schweiz musste ihm nach seiner Rückkehr als spiessbürgerlich und bieder-behaglich erschienen sein. Seine erste öffentliche Kritik am schweizerischen Städtebau, die eine Architekturdebatte auslöste, äusserte er 1953 in seinem Vortrag cum grano salis. Im Hörspiel Der Laie und die Architektur (1954) forderte er zum ersten Mal explizit eine Politisierung der Stadtplanung: Der Städtebau müsse Aufgabe der Gesellschaft, «das geistige Anliegen aller» werden. «Wie wollen wir leben?» sei die Frage der Stunde.
Max Frischs intensive Diskussion mit dem Soziologen und Nationalökonomen Lucius Burckhardt und dem Historiker und Publizisten Markus Kutter münden in der polemischen Schrift achtung: die Schweiz (1955). Die drei Verfasser schlugen vor, für die Landesausstellung in Lausanne 1964 eine moderne Musterstadt zu bauen, anstatt eine herkömmliche Landesausstellung zu realisieren. Die Vorschläge wurden in der Öffentlichkeit breit diskutiert und stiessen sowohl auf Begeisterung, als auch auf strikte Ablehnung. Frischs Antworten auf die lebhaften Debatten im In- und Ausland wurden in diversen Zeitungsartikeln publiziert.
In seinem Radiovortrag «Vom Zu-Hause-Sein in unserer Zeit» (1956) tauchte zum ersten Mal der Vorschlag einer Etagencity als Lösungsmodell für die Probleme der innerstädtischen Entwicklung auf. Frisch, Burckhardt und Kutter griffen in ihrer Schrift die neue Stadt (1956) dieses Modell auf, gleichzeitig verwarfen sie aber die zuvor postulierte Idee einer Musterstadt für die kommende Landesausstellung.
Für den Vortrag Why Don’t We Have The Cities We Need? reiste Max Frisch im Juni 1956 zur 6. Internationalen Design-Konferenz nach Aspen in Colorado. Darin entwarf er die Vision einer neuen Stadt als Treffpunkt unterschiedlicher sozialer Schichten. Wichtig waren ihm begehbare Freiräume und kurze Verbindungswege, wo der Fussgänger «Teil der Gesellschaft» sein kann. In Anschluss an die Reise, die ihn auch nach Mexiko und Kuba führte, entstanden weitere Artikel über die vertanen Chancen der modernen Architektur. Auch in seinen zur damaligen Zeit entstehenden Romanen Stiller (1954) und Homo faber (1957) flossen seine Beschäftigung mit Architektur und Städtebaufragen ein.
Vitrine 3 – der Gutachter
Im Juli 1963 schrieb der Zürcher Stadtrat einen öffentlichen Projektwettbewerb für einen Neubau des Schauspielhauses Zürich aus, der mit der städtebaulichen Gestaltung des Heimplatzes verbunden war. Max Frisch gehörte dem Preisgericht an. Der formulierten Bauaufgabe wurde ein Exposé Frischs vorangestellt. Darin hiess es: «Die Bühne des neuen Schauspielhauses soll sich eignen für die Darstellung der vorhandenen dramatischen Literatur; [...] diese aber [...] ist für die Rahmenbühne geschrieben und zwar bis zur Avantgarde.» Bereits drei Jahre zuvor war Frischs kurze Abhandlung Wie soll man neue Theater bauen? erschienen. Schon darin hatte er sich gefragt, wie ein zeitgemässer Theaterraum aussehen solle und war zum Schluss gekommen: «Hier gibt es nichts zu erfinden. [...] Wir brauchen keine ganz andere Art von Bühne.» Die Wettbewerbsjury entschied sich im Mai 1964 für das Projekt des dänischen Architekten Jørn Utzon. Im Januar 1965 legt Max Frisch auf Einladung des Hochbauamtes eine 25-seitige Expertise vor, in der er das mittlerweile überarbeitete Projekt kritisch durchleuchtete. Auch wenn er Utzons Projekt sehr schätzte, gerade weil es einen verkehrsfreien Heimplatz vorsah, kritisierte er dennoch den überdimensionierten Theatersaal. Er legte der Expertise eigene Pläne bei, die seine Vorstellungen vom Innenleben des neuen Schauspielhauses zeigten. Im Dezember 1968 erschien ein Flugblatt der Arbeitsgruppe der Sozialdemokratischen Partei der Stadt Zürich mit dem Vorschlag, das vorgesehene neue «Basement» unter dem Heimplatz nicht für Läden herzurichten, sondern der Öffentlichkeit beziehungsweise der Jugend zur Verfügung zu stellen. Zu den Unterzeichnern des Flugblatts gehörte auch Max Frisch. Nach weiteren Projektierungen verwarf der Stadtrat Anfang der 1970er-Jahre das Projekt.
Neben dieser langjährigen Tätigkeit als Gutachter war Max Frisch auch bei mehreren kleineren öffentlichen Projekten als Preisrichter beauftragt. Aufgrund seiner Erfahrung mit dem Bau des Freibads Letzigraben sowie den Projekten für eine Strandbadanlage in Pfäffikon (1947) und ein Seebad in Horgen (1950) sass er als Spezialist für Bäderbau bei den Wettbewerben für ein Schwimmbad in Aarau (1952) und die Freibad-, Spiel- und Sportanlagen in Zürich-Heuried (1957) in der Jury.
Kritiker der Postmoderne
Auch in der aktuellen Ausgabe der archithese 3.2016 lassen wir Max Frisch mehrfach zu Wort kommen. Auch wenn Frisch in Vorträgen und Schriften als Kritiker der modernen Architektur auftrat: Mit den Alternativvorschlägen der Architektur-Postmoderne konnte er sich noch weniger anfreunden. Lesen Sie mehr im «Selbstgespräch» in archithese Postmoderne – neu gelesen.