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Mehr Sensibilität für Bestand und Kontext

Elf flotte Vorträge deuteten beim archithese-Pecha Kucha am Dienstag im S AM eine gemeinsame Stossrichtung an.

 

Text: Jørg Himmelreich – 13.5.2016
Fotos: Anna Valentiny

Die Redaktion der archithese hatte elf Architektinnen ausgewählt, weil sie in ihren Bauten ein neues Gleichgewicht zwischen Rücksichtnahme auf das Vorgefundene und zugleich einen kraftvollen Gestaltungswillen zu sehen glaubte. Im S AM sprachen dazu sowohl spannende Newcomer, als auch etablierte Protagonisten der Schweizer Architekturszene. Es ging bei der Veranstaltung nicht darum, genuin Neues freizulegen. Einige räumliche und formale Elemente der gezeigten Projekte wirkten dann auch vertraut: Analoge Konzepte und Minimalismus schwangen genauso nach, wie Kollhoffscher Neoklassizismus, As Found, Brutalismus, Bündner Schule oder Motive der autonomen Architektur. Es wurde keine Einordnung versucht, sondern der Dialog zwischen spezifischen Arten des Zusammenfügens und- führens entsponnen. Tom Munz` Haus in Egnach am Bodensee oder die Beiträge von Christian Scheidegger und Gilbert Isermann zeigten Ersatzneubauten als spezifische Interpretationen des lokalen aber auch des langfristigen kulturellen Kontextes. Zudem gab es Umbauten in innerstädtischen Situationen und Agglomerationsräumen zu sehen – von Martina Wuest, Martin Bühler, Ralph Blättler und Caroline Fiechter. Mal stricken die Autoren die Narration der Orte weiter, wie Sergio Marazzi mit dem Haus zum Baumgarten, mal erfanden sie wie Urs Meister beim Baumeisterhaus in Neu-Oerlikon gar die Geschichte des Ortes retroaktiv neu. Neun der präsentierten Projekte sind fertiggestellt, eines ist noch «Work in Progress» und eines leider gescheitert: Sarah Miebach zeigte den Entwurf für die Berliner Zentralbibliothek – ein Projekt, welches mittlerweile durch einen Volksentscheid gegen die Überbauung des Flugplatzes Tempelhof in die Schublade wanderte.

 

Alt und neu auf Augenhöhe
Martin Klopfenstein zeigte den Umbau eines Stalls und Heuraumes im Emmentaler Rüegsauschachen und erklärte daran die architektonische Haltung des Berner Architektentrios Freiluft. Er nutzt das Potenzial des Pecha Kucha-Formats aus, indem er auf zwanzig Folien ebenso viele Prinzipien präsentierte, welche sie beim Entwerfen leiteten – mit Humor, indem er beispielsweise mit einer leeren Folie den Faktor Zeit darstellte. Sie haben eine kraftvolle, drei Etagen hohe baumartige Betonskulptur in die Scheune gepflanzt, welche die Geschossdecken trägt und das alte, instabil gewordene Dach abstützt. In poches finden Küchen, Bäder, Schränke und Ablagen Platz. Dieses Gewebe aus alt und neu, bei dem alle Zeitschichten auf Augenhöhe sind und sich sympathisch komplementär verhalten, ist eine prägnante von elf Artikulationen dessen, was die Redaktion als «neues Feingefühl» bezeichnete.

 

Spielarten des Feingefühls
Martin Bühler suchte eine architekturtheoretische Herangehensweise an den Begriff Feingefühl. Er holte die Zuhörer augenzwinkernd mit einem Ausflug in die Astrologie ab und spürte dann sechs Interpretationen nach, indem er sie bei wichtigen Vertretern der Architektur (-geschichte) verortete: Respekt und Takt (Kasura Villa), Feingefühl für Natur (Kazuo Shinohara), das Material (Valerio Olgiati), den Ort (Rem Koolhaas), die Geschichte (Hans Döllgast) und die Logik (Junya Ishigami). Anschliessend setzte er sein «Haus mit den dünnen Wänden» in Zürich zu diesen sechs Ebenen in Bezug, um sie allesamt – vom feinfühligen Umgang mit dem Material (verschiedene als Zwischenwände eingezogene Stahlbleche mit unterschiedlichen Anmutungen) bis zu jenem mit der Natur (wilder Garten) – in seinem Projekt aufzuzeigen.

 

Gleichgewichte
Mit dem «Haus zum Baumgarten», welches für ein altes Ehepaar als «letzte Station auf dem Lebensweg gestaltet wurde, sorgte Sergio Marazzi (Marazzi Reinhardt Architekten) für ein stark atmosphärisches Schlaglicht. Ein historisches Fachwerk-Bauernhaus der Auftraggeber wurde nicht etwa aufwändig sanierten, gedämmt oder umgestaltet, sondern dient künftig lediglich noch als Sommerhaus. Für die kalten Monate steht im neu ein eingeschossiger Anbau mit keilförmigem Grundriss zur Seite. Dieser duckt sich entlang der Baulinie und einer Geländekante. Seiner rautenförmig angeordneten Haut aus sägerohen Lärchenbrettern lässt ihn wie einen raumhaltigen Jägerzaun wirken und macht ihn mit dieser Camouflage-Technik beinahe unsichtbar. Durch das niedrige neue Volumen blieb Blick von der Strasse auf die historische Fassade des Altbaus frei und macht den Betrachter dennoch zugleich mit der dezent bildhaften und zugleich rätselhafte Präsenz des Neubaus neugierig.

Für die Redaktion war der kurzweilige Abend in Basel zugleich auch Recherche und Labor: Er nährte die Überzeugung, das es sich lohnt diesen Themenbereich weiter zu verfolgen.

 

Wer die Veranstaltung verpasst hat, kann sich alle Vorträge hier als Videos ansehen.

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